Wenn die Ernte näher rückt, findet Hussen Endere nur noch wenig Schlaf. Denn dann tauscht er das Holzhaus, in dem er gemeinsam mit seiner Frau Fatima lebt, gegen eine zeltähnliche Hütte aus Ästen und Blättern, die er neben seinem Gemüsefeld aufgestellt hat. Rund zwei Wochen lang verbringt der 46-jährige Landwirt die Nächte in dem Unterschlupf, der keinen Komfort bietet. Dafür hat er aber einen guten Blick auf seine Pflanzen. Und so liegt er dann da, im Mondlicht, unter einer dünnen Decke. In Griffweite: ein kleiner Haufen Steine in Wurfgeschoss-Größe. “Ich döse vielleicht mal ein, aber beim kleinsten Geräusch bin ich sofort hellwach”, sagt Hussen. Die Diebe, die er vertreiben will, kommen auf leisen Pfoten. Es sind Hasen, die wittern, welche Köstlichkeiten hier auf 500 Quadratmetern im sandigen Lehmboden stecken. Faustgroße Rote-Bete-Knollen etwa. Oder knackige Karotten in sattem Orange. Äthiopiens Bodenschätze.
In diesen Nächten bewacht Hussen Endere ein kleines Vermögen: Rund 70 Zentner der schmackhaften Wurzeln hat er bei der vergangenen Ernte aus dem Boden gezogen. Rund 10.000 Birr, umgerechnet etwa 400 Euro haben Fatima (39) und er dafür auf dem Markt erhalten.
Noch vor anderthalb Jahren wuchsen auf derselben Fläche 100 Kilo Weizen mit einem Verkaufswert von 1.600 Birr, umgerechnet rund 65 Euro. Und weil sich oberhalb des Feldes eine Quelle befindet, kann Hussen Endere es sogar regelmäßig bewässern. “Auf diese Weise können wir bis zu drei Mal im Jahr Gemüse ernten”, erklärt er.
Zwei Jahre ist es her, dass Mitarbeiter von Menschen für Menschen das Dorf Bille Agere in der Projektregion Wore Illu erstmals aufsuchten, um Hussen und den anderen Bauern von den Vorteilen des Gemüseanbaus zu erzählen. Sie erklärten ihnen, wie wichtig eine ausgewogene Ernährung für die Gesundheit ist. Und sie rechneten ihnen vor, wie viel sie ernten und welchen Umsatz sie auf den Märkten machen könnten. Etwa ein Drittel der Menschen in den Entwicklungsländern ist von chronischer Mangelernährung betroffen. Der Grund dafür ist, dass die Menschen sich nur Brot und Brei aus verschiedenen Getreidesorten leisten können. Essen, das zwar den Magen füllt, dem aber wichtige Nährstoffe wie Vitamin A, Jod, Zink oder Eisen fehlen. Zieht sich dieser einseitige Speiseplan über einen längeren Zeitraum, können “Mikronährstoffdefizite” auftreten, der so genannte “versteckte Hunger”. Seine Folgen für Erwachsene sind Mangelerscheinungen wie Erschöpfung und Anfälligkeit für Infekte. Während der Schwangerschaft kann die Mangelernährung zu Fehlentwicklungen beim Ungeborenen führen. Zudem haben die Mütter nach der Geburt oft nicht genug Muttermilch, um zu stillen. Für viele Kinder beginnt auf diese Weise ein Leidensweg, der sich nicht selten mit den Jahren verschlimmert: Nährstoffmangel kann Wachstumsstörungen, Behinderungen, Immunschwäche, Blindheit und viele weitere gesund heitliche Schäden nach sich ziehen. Unicef zufolge ist jedes vierte Kind auf der Welt mangelernährt.
Was die Mitarbeiter von Menschen für Menschen über das Gemüse und seine Wirkung erzählten, leuchtete den Bauern aus Bille Agere zwar ein. Viele von ihnen hatten Kartoffeln oder Karotten auch schon auf dem Markt gesehen – allein das hatte gereicht, um ihr Interesse zu wecken: Gemüse lässt sich vergleichsweise teuer verkaufen.
Und doch scheuten die meisten den Anbau. Was, wenn das Experiment scheitern würde? Sie hätten wertvolle Feldfläche verschenkt und würden einen Teil ihrer Ernte verlieren. Ein Opfer, dass sich äthiopische Kleinbauern nicht leisten können. Die ersten, die den Schritt wagten, waren Hussen Endere und seine Frau Fatima. Sie hatten zwar auch noch nie Gemüse angebaut, doch die Quelle oberhalb eines ihrer Felder erhöhte die Chancen auf gute Erträge. Also säten sie Karotten und Rote Bete, zunächst auf 50 Quadratmetern.
Das entspricht einem Prozent ihres gesamten Ackerlandes. “Wir wussten nicht, was passieren würde”, erzählt Hussen. “Aber die Mitarbeiter von Menschen für Menschen haben ja an Universitäten studiert. Ich dachte mir: Sie werden schon wissen, was sie tun.” Der Mut sollte sich auszahlen. Wenige Monate später zogen Hussen und Fatima die ersten dicken Knollen aus dem Boden. Und säten wieder Karotten und Rote Bete, diesmal allerdings schon auf 500 Quadratmetern Land. Kaum hatte der Bauer die ersten Wurzeln geerntet, zogen die Nachbarn nach und dann weitere Familien aus der Umgebung. Mittlerweile ist die Zahl der Gemüsebauern in der Gegend um das Dorf Bille Agere auf 74 gestiegen. Auf insgesamt 10 Hektar Land wachsen jetzt neben Zwiebeln und Kohl auch Kartoffeln, Rote Bete und Karotten.
Mangelernährung ist kein Problem, das nur Menschen in den Entwicklungsländern betrifft. Auch in der Überflussgesellschaft kann falsche Ernährung zu Mangelerscheinungen führen. Gleichwohl lebt die überwältigende Mehrheit der rund zwei Milliarden Menschen, die an “verstecktem Hunger“ leiden, in den Entwicklungsländern.
Der Schlüssel zu einer besseren Versorgung dieser Menschen ist eine innovative Landwirtschaft. Sie schafft Ernährungssicherheit und kann zum Motor einer erfolgreichen, nachhaltigen Entwicklung werden. Zudem bietet sie jungen Menschen Beschäftigung und wirkt so der anhaltenden Landflucht entgegen. Die Zukunft der Entwicklungsländer scheint sich auf dem Land zu entscheiden. Und das Ziel, das die UN formuliert haben, ist ehrgeizig: Um die wachsende Weltbevölkerung zu ernähren, müsse die globale Landwirtschaftsproduktion bis 2050 um 60 Prozent gesteigert werden.
Es ist später Nachmittag, die Sonne steht nicht mehr so hoch am Himmel. Zeit, die Felder zu bewässern. Hussen Endere zieht sich die Schuhe aus, krempelt die Hosenbeine hoch und marschiert mit einer Hacke über der Schulter zu dem Bachlauf oberhalb seines Feldes.
Hier oben hat er einen kleinen Damm aus Erde errichtet. So sammelt sich das Wasser in einer Senke. Mit ein paar Hieben mit der Hacke öffnet er nun den Damm – schon plätschert das Wasser talwärts und flutet allmählich sein Gemüsefeld.
Während Hussen und seine Frau durch ihr Feld waten, haben sich ein paar hundert Meter weiter, im Gemeindehaus von Bille Agere, Dutzende von Frauen aus dem Dorf zum gemeinsamen Kochen versammelt. In mehreren Teams schälen und hacken sie die neuen Gemüsesorten und verrühren sie zu würzigen Eintöpfen. Auf einer Bank werden die fertigen Gerichte aufgereiht und verkostet. Im Anschluss tauschen die Frauen untereinander Rezepte und Tipps aus.
“Der Anbau der neuen Pflanzen ist der erste wichtige Schritt. Der zweite besteht darin, die Ernährungsgewohnheiten der Menschen zu verändern“, sagt Zumera Eberia.
Die 25-jährige Sozialarbeiterin leitet das Frauenprojekt in Bille Agere, zu dem neben der Kochaktion auch die Verbesserung der hygienischen Situation in den Haushalten und die Verteilung von holzsparenden Öfen zählt. Vor allem die Männer seien stur, was ihre Ernährung betreffe, weiß Abiot. Am liebsten äßen sie “Injera”, ein Fladenbrot aus Sauerteig mit “Shiro”, einem würzigen Bohnengericht.
“Es dauerte eine Weile, bis sie die neuen Gerichte kosteten”, sagt auch Taito Muhye, 43, die Sprecherin der Frauengruppe von Degnu. Nach einiger Zeit aber hätten sie sich darauf eingelassen. “Und jetzt merken sie, wie gut ihnen diese Speisen tun.” Vor allem die Kinder klagten weniger über Bauchschmerzen, seien kräftiger und seltener krank.
Den Kindern von Hussen und Fatima geht es auch besser, seit zu Hause mehr Gemüse auf dem Speiseplan steht. Eine wichtige Voraussetzung auch für Erfolg in der Schule. Anders als ihre eigenen Eltern, bestehen Hussen und Fatima nicht darauf, dass die Kinder den Hof übernehmen. Wichtiger erscheinen ihnen ein guter Schulabschluss und eine Berufsausbildung. “Bei uns im Dorf träumen viele junge Leute davon, ins Ausland zu gehen, nach Saudi-Arabien zum Beispiel. Aber wer dann geht, kehrt oft bitter enttäuscht wieder zurück.” sagt Hussen Endere. “Meinen Kindern will ich das ersparen. Ich will ihnen zeigen, dass dieses Land in Wahrheit reich ist, wenn wir nur alle hart dafür arbeiten.”
“Früher baute ich Weizen an – und war arm: Ich verdiente nur 4.000 Birr im Jahr (160 Euro). Aber dann half uns Menschen für Menschen. Sie brachten Material und Maurer, die uns zeigten, wie man einen Bewässerungskanal. Jetzt können wir Bauern das Wasser vom Fluss auf unsere Felder leiten”, so Said Ahmed.
“Die Experten erklärten uns auch, wie man all diese Gemüsesorten anbaut, die wir bislang kaum kannten. Wie früher pflanze ich Zwiebeln an; aber jetzt sind auch Tomaten, Rote Bete, Kartoffeln und Salat hinzugekommen. Dass unser Gemüse jetzt so üppig wächst, das haben auch die Stachelschweine entdeckt.
Aber mein zwölfjähriger Sohn Kamal und ich sind auf der Hut. Wir verbringen die Nächte in einer Hütte aus Stroh direkt am Gemüsefeld, um die gefräßigen Tiere in Schach halten zu können. Unsere schöne Ernte erzielt auf dem Markt in der Bezirksstadt gute Preise. Mein Jahreseinkommen ist jetzt sieben Mal höher! Ich kann sagen: ich bin ein reicher Mann.”
Merdia Adem ist stolz auf den Landwirtschaftspreis, den sie von Beamten für ihren mustergültigen Hof mit prächtigen Hühnern und üppigen Gemüsebeeten erhalten hat. “Letztlich habe ich den Preis Menschen für Menschen zu verdanken”, sagt die 40-jährige Bäuerin.
Früher machten Merdia Adem ihre Hühner keine rechte Freude. Es waren kleine, zähe Tiere mit wenig Fleisch. Nur jeden zweiten Tag legten sie ein winziges Ei. Und abends, wenn die Bäuerin aus Borecha nachzählte, fehlte häufig eines: Die Hühner liefen frei herum und immer wieder schlug einer der Milane zu, die am Himmel ihre Kreise zogen. Heute gibt es für die Greifvögel keine Beute mehr zu holen: Merdias Federvieh schläft jetzt in einem akkurat errichteten Hühnerhaus, die Wände sind aus Bambus geflochten, das Dach mit Stroh gedeckt. Der Auslauf ist eingezäunt, unbehelligt darf der Hahn seinen leuchtenden Kamm präsentieren und sich als Herr der Lage gebären. Die gut genährten Hennen mit ihrem dichten, gesunden Gefieder scharren selbstvergessen, in einem extra Gatter pickt ein halbes Dutzend Küken um die Wette
Die Äthiopienhilfe hat Merdia Adem zu ihrer Bilderbuch-Hühnerzucht angeregt: Die Stiftung bringt Vogelarten, die leistungsfähiger sind als die lokalen Arten, in die entlegenen Projektgebiete und gibt sie zu einem subventionierten Preis ab.
Jede Bäuerin kann fünf Hühner und einen Hahn bekommen. Die Landwirtschaftsexperten von Menschen für Menschen geben Kurse, wie die Tiere gehalten werden müssen, damit die Bauernfamilien den maximalen Nutzen daraus ziehen. “Die Hühner geben nun jeden Tag ein schönes Ei”, sagt Merdia Adem. “Wir haben nicht nur genug für den Eigenverbrauch, sondern können Eier und Junghühner auf dem Markt verkaufen.”
Schon vor rund einem Jahrzehnt starb Merdias Mann Sutuma. Merdia war mit sieben Kindern plötzlich allein. Umso erstaunlicher ist der relative Wohlstand auf ihrem Hof: Im Haus gibt es lokal produzierte Holzmöbel und eine solarstrombetriebene Lampe. Mit einem billigen Mobiltelefon hält die 40-jährige Kontakt zu einem ihrer Söhne, der in der Stadt Yanfa die weiterführende Schule besucht. Sie hat die 14-jährige Betuka und den zehnjährigen Abdo aufgenommen, die Kinder ihres Bruders, der zu arm ist, um sie durchzubringen.
Für ihren Erfolg gäbe es zwei Gründe, sagt die Bäuerin. Erstens: “Meine Kinder und ich ziehen alle an einem Strang.” Zweitens: “Alles, was man auf meinem Hof sieht, kam durch Menschen für Menschen. Ich befolge jeden Rat der Landwirtschaftsexperten und betreibe meinen Hof so, wie ich es in den Trainings gelernt habe.”
Auf den Gemüsefeldern wachsen Rote Bete, Tomaten, Kartoffeln, Zwiebeln und Knoblauch in gut gepflegten Beeten. Das Saatgut hat sie von der Äthiopienhilfe erhalten. Das Gemüse gedeiht in so einer Pracht, dass Merdia unlängst einen Landwirtschaftspreis der Regierung erhielt: “Ich sei ein Vorbild für andere, sagten die Beamten”, erzählt Merdia und lächelt bescheiden.
Wie lässt sich Entwicklung in einem abgelegenen Dorf am besten verbreiten? Menschen für Menschen setzt auf Modell-Farmer: Mutige Frauen und Männer, die Neuerungen gegenüber aufgeschlossen sind, werden besonders gefördert. Im Dorf Thaye wurde die Bäuerin Melke Jemam so zum Vorbild für andere Familien.
Neun Jahre war Melke Jemam in der Schule und immer begierig darauf, Neues zu erfahren. Doch dann war mit dem Lernen Schluss: Weder gab es eine weiterführende Schule im Dorf noch Ausbildungsplätze. Also wurde sie Hausfrau und Bäuerin, wie alle anderen Frauen auch.
“Aber wie ausgetrocknete Erde sich nach Regen sehnt, so dürstete ich nach Wissen”, sagt die 38-Jährige. Als Menschen für Menschen in ihr Dorf Thaye im Projektgebiet Wogdi kam, erkannte sie ihre Chance – und wurde “Modell-Farmerin”: “Ich nehme an Kursen teil, mit dem neu erworbenen Wissen kann ich mein Leben ändern – und das von anderen auch.”
“Viele Bauern neigen dazu, Neues abzulehnen”, erklärt Adane Nigus, Projektleiter von Menschen für Menschen in Wogdi. “Denn Neues bedeutet zunächst immer ein Risiko.”
Deshalb seien mutige Menschen wie Melke Jemam so wichtig: “Wir geben ihr und anderen Modell-Farmern Trainings in verbesserten landwirtschaftlichen Methoden und versorgen sie mit Gemüsesamen, Hühnern und anderem Input.” Als Gegenleistung geben die Landwirte ihr neues Wissen an Verwandte und Nachbarn weiter: “So strahlt Fortschritt und Entwicklung in ganze Dörfer aus.”
Melke Jemam kocht jetzt an einem holzsparenden, raucharmen Zementofen. Die Mutter von vier Kindern hat bei der Äthiopienhilfe einen Kurs in Hauswirtschaft belegt und gelernt, wie man möglichst effizient Gemüse zieht und Hühner hält. Sie hat erfahren, wie sie ihre Kinder abwechslungsreich ernähren kann.
Und dass es aus hygienischen Gründen nicht gut ist, wenn das Federvieh auch im Haus herumpickt. Ihr Mann hat nach ihren Anweisungen eine Latrine gebaut, so wie es die Entwicklungsberater erklärt haben. “Besser wir reden nicht über die Vergangenheit!”, sagt die Bäuerin und schüttelt den Kopf.
Früher mussten sich die Familienmitglieder draußen im Busch erleichtern. Was die Fliegenplage verstärkte und Krankheiten wie Durchfall und Augeninfektionen Vorschub leistete – und natürlich als würdelos empfunden wurde.
“Ich kann gar nicht sagen, was die wichtigste Veränderung durch Menschen für Menschen ist”, sagt Melke Jemam. “Ganz wichtig ist, dass wir jetzt besser essen und mehr Einkommen haben.” In einem Kurs der Stiftung lernte sie das Schneidern. Nun näht sie Röcke für Nachbarinnen und Schuluniformen für die Kinder.
Aber am meisten verdient die Familie mit dem Verkauf von Gemüse. Ihr Feld kann bewässert werden, dadurch können Melke Jemam und ihr Ehemann ständig säen und ernten und die Überschüsse auf dem lokalen Markt verkaufen. “So wird auch das Nahrungsangebot für die Bevölkerung in der Region insgesamt besser”, freut sich Projektleiter Adane Nigus.
Es gackert und kräht überall in der äthiopischen Region Dale Wabera. Hühner gehören hier nahezu auf jeden Hof. Eier legen die heimischen Arten aber wenige. Das “Hühnerset”, das Menschen für Menschen an die Familien verteilt, ändert das. Diese legen im Vergleich zu den herkömmlichen Hühnern bis zu fünf Mal so viele Eier. Eine wertvolle Bereicherung für die Ernährung und für ein kleines Einkommen abseits der Landwirtschaft. Auch Jamila Mohammed setzt auf die Hilfe im Federkleid.
Freudiger Empfang auf dem Gelände der regionalen Projektzentrale der Äthiopienhilfe in Kake. Erwartet werden: Großstadthühner. Hochgewachsen, kräftig, legefreudig. Anschließend wird die begehrte Fracht verladen und zu den Familien auf die Dörfer gebracht. Zehn Kilometer weiter wartet auch Jamila Mohammed darauf, ihre neuen gefiederten Haustiere kennenzulernen: Fünf Hennen und ein stolzer Hahn werden auf ihren Hof in Jaro Chaffe einziehen.
Bislang hatte die 35-Jährige wenig Freude mit ihren Hühnern. Ihre kleinen, zähen Tiere legten mit etwas Glück ein winziges Ei in der Woche. Und weil sie überall frei herumliefen, waren sie leichte Beute für Greifvögel und streunende Hunde. So fehlte häufig eins, wenn die Bäuerin am Abend nachzählte.
So wie Jamila Mohammed geht es vielen Kleinbäuerinnen und Kleinbauern in der Region Dale Wabera. Mit den neuen Hühnern ändert sich das.
Die Äthiopienhilfe kauft die Tiere in Addis Abeba und gibt sie als “Starthilfe” günstig an die Familien. Die Hühner haben nicht nur mehr Fleisch auf den Knochen als die lokalen Arten. Sie legen auch gut fünf Mal mehr Eier – ein wertvolles Plus für Speiseplan und Geldbeutel. Die Idee der Hilfsorganisation reicht aber weiter. “Wir wollen, dass sich unsere Tiere mit den hiesigen Arten kreuzen”, erläutert Landwirtschaftsexperte Zerihun Gezahegn von Menschen für Menschen. “Die heimischen Hühner haben nämlich einen Vorteil: Sie sind viel besser an die Umwelt angepasst. Die neue Züchtung soll dann leistungsfähig und robust zugleich sein.”
Soweit der Plan. Nicht immer laufe das aber reibungslos, räumt der Projektleiter ein: “Die lokalen Hennen sind oft zu klein für die kräftigen Hähne. Vor allem aber neigen die neuen Hühner dazu, sich schneller mit Krankheiten anzustecken, als wir dachten.”
Den Familien verlangt die Haltung also viel ab. Die Hühner bekommen sie deshalb erst, wenn sie einen Stall mit eingezäuntem Auslauf gebaut haben und einen speziellen Kurs besucht haben.
“Wir unterstützen die Bäuerinnen und Bauern und beraten sie beim Bau artgerechter Hühnerhäuser. Außerdem lernen sie in unseren Schulungen, wie sie die Hühner so halten, dass sie sich gut entwickeln.” – Landwirtschaftsexperte Zerihun Gezahegn
In Jaro Chaffe ist Jamila Mohammed jetzt gut auf ihre Geflügelschar vorbereitet. Allein um das spezielle Training zu besuchen, lief sie die drei Stunden bis nach Kake an vier Tagen. Den Fußmarsch nahm sie gern auf sich. “Ich weiß jetzt, dass sich meine Hühner am liebsten in ihrem neuen Stall aufhalten und wie ich sie mit besonderem Futter viel besser versorgen kann”, erzählt sie stolz.
Gute Tipps hat auch ihre Freundin Addidi Guso für sie. Denn die Hennen von Familie Lamu sind inzwischen nicht nur gut genährt mit einem dichten, gesunden Gefieder. Allein mit dem Verkauf der Eier verdient die Mutter in der Woche fast 100 Birr (entspricht derzeit rund 3 Euro). Ihr Geheimnis für besonders große Eier ist etwas Sesam, das sie in das Futter mischt.
Jamila möchte all das Gelernte selbst versuchen. Das Gackern auf ihrem Hof sei jetzt auch Vergnügen. Es klingt nach einer besseren Zukunft für sie und ihre Familie in Jaro Chaffe.
Um Bauern und Landwirtschaft in Äthiopien zu stärken, arbeitet Menschen für Menschen eng mit Familien in ländlichen Regionen zusammen. Mitarbeitende der Stiftung unterstützen sie dabei, neue Anbaumethoden zu testen, die eine reichere Ernte versprechen und helfen ihnen, Haus und Hof neu zu organisieren.
Die Sonne steht schon tief, als Mulu Mergia das Grundstück von Bekana Sirna erreicht. „Bekana, ich bin es“, ruft sie, öffnet das klapprige Gatter zu seinem Garten und krault den kleinen Hund, der ihr halb freudig, halb müde entgegenspringt.
Vier Kleinbauern hat Mulu heute schon besucht, hat Getreide, Gemüse und Vieh begutachtet – und gemeinsam mit ihnen Zukunftspläne geschmiedet. Bekana und seine Familie sind die letzten für heute, bei Dunkelheit will sie zu Hause sein.
Mulu Mergia ist als “Development Agent” bei Menschen für Menschen in der Projektregion Dano, rund 200 Kilometer westlich von Addis Abeba, tätig. Die Aufgabe der studierten Agrarexpertin ist es, die Erträge der Kleinbauern und -bäuerinnen in der Region zu steigern. Ihre Kundschaft: 35 “Modellfarmer”. So nennt die Stiftung Landwirtschaftsbetreibende, die sich besonders offen für Veränderungen zeigen – und mittelfristig anderen Bauern und Bäuerinnen als Vorbilder dienen können. “Sobald unsere Modellfarmer und -farmerinnen Erfolge verzeichnen, kopieren die übrigen ihre Methoden”, weiß Mulu. “So können wir langfristig die Landwirtschaft einer ganzen Region verändern.”
Wenig später sitzen sie auf kleinen Holzschemeln unter einem der Bäume in seinem Garten: Der Kleinbauer Bekana Sirna, die schmutzige Hose in die Gummistiefel gesteckt, und Mulu Mergia in geblümter Bluse. “Ich pflanze Mais, Sorghumhirse und Teff an”, erzählt Bekana. “Doch was ich ernte, reicht gerade so für die Familie.” Er sagt, er würde gerne etwas mehr produzieren, um Frau und Kindern mehr Sicherheit bieten zu können. “Ich weiß aber nicht, wie ich das machen soll.”
“Du solltest Kaffee und Soja anpflanzen”, rät Mulu. “Die Preise auf dem Markt sind gut.” “Und die Einnahmen könntest du wieder investieren – zum Beispiel in eine Bienenzucht.” Bekana überlegt einen Moment. “Früher hatte ich mal Bienen”, erinnert er sich und zeigt auf einen verwaisten Bienenstock, der in einem Baum in seinem Garten hängt. “Aber der Ertrag war immer mager.” Mulu sagt: “Dann zeigen wir dir, wie man einen modernen Bienenkasten baut, mit dem du viel mehr Honig produzieren kannst”. Bekana schaut zu dem alten Bienenstock hinüber. „Meinst du wirklich?”
Kaffee und Soja statt Hirse und Mais: Was nach einer einfachen Umstellung klingt, ist für viele äthiopische Kleinbauern kaum realisierbar. Zwar gelten gerade Kaffee und Soja als „Cash Crops“, also Pflanzen, deren Früchte sich zu Geld machen lassen. Doch in der Regel fehlen Menschen wie Bekana die Mittel, um in Setzlinge zu investieren. Zudem dauert es einige Jahre, bis die jungen Pflanzen gewachsen sind, und gute Erträge liefern – Jahre, in denen an dieser Stelle kein Getreide wachsen kann.
Und dann ist da noch die Angst, das Experiment mit den neuen Pflanzen könnte scheitern. In diesem Fall hätte man einen Teil der Getreideernte umsonst geopfert. „Bauern wie Bekana wirtschaften am Existenzminimum“, sagt Mulu. „Sie können sich keine Verluste leisten.“ Zudem fehle es an Know-how. „Unser Ziel ist es, gemeinsam mit ihnen das landwirtschaftliche Potenzial zu heben.“ Um das Risiko der Modellfarmer und -farmerinnen zu mindern, unterstützt Mulu sie intensiv beim Umbau ihrer Landwirtschaft. Sie schenkt ihnen Setzlinge und zeigt, wie man sie erfolgreich zieht. Dabei achtet sie darauf, dass die Bauern die neuen Pflanzen nur auf einem Teil ihres Landes setzen. Zudem verteilt sie Setzlinge mit unterschiedlichen Reifezeiten: Kaffeepflanzen oder Obstbäume tragen erst nach einigen Jahren Früchte, doch Gemüse wirft bereits nach kurzer Zeit Erträge ab. „Ich begleite die Bauern so lange, bis der nachhaltige Erfolg der Umstellung gesichert ist.“
„Ich begleite die Bauern so lange, bis der nachhaltige Erfolg der Umstellung gesichert ist.“ – Mulu Meriga
Seit der Gründung der Stiftung Menschen für Menschen im Jahr 1981 hat sich die Zahl der Menschen in Äthiopien von 36 auf 106 Millionen etwa verdreifacht. Mittlerweile sinkt zwar die Geburtenrate, doch die Bevölkerung wächst weiter – und mit ihr der Bedarf an Lebensmitteln. Schon heute leben die meisten hungernden Menschen in Afrika und Asien – und die Mehrheit von ihnen auf dem Land, dabei werden gerade dort die meisten Lebensmittel hergestellt. Nach Schätzungen der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) produzieren Kleinbauern und -bäuerinnen in Afrika und Asien rund 70 Prozent der lokalen Lebensmittel. Das bedeutet auch: Sie sind der Schlüssel zur Ernährungssicherheit ihrer Länder. “Wer die wachsende Bevölkerung in Äthiopien versorgen will, muss die Kleinbauern fördern”, sagt Mulu Mergia.
Wie das gelingen kann, zeigt die Geschichte von Tesfaye Dhaba.
Der Kleinbauer lebt mit seiner Frau Meseret und den gemeinsamen Töchtern Birtukan und Chaltu nur wenige Kilometer von Bekana Sirna entfernt. Bis vor etwa zwei Jahren baute Tesfaye, ähnlich wie Bekana, ausschließlich Teff und Sorghumhirse an.
Auch er konnte seine Familie mehr schlecht als recht ernähren. Um zusätzlich etwas zu verdienen, half er anderen Bauern bei ihrer Ernte. Ein schlecht bezahlter Nebenjob.
Vor etwa drei Jahren traf Tesfaye zufällig bei einem Nachbarn auf Mulu Mergia. Sie hatte dem Nachbarn Kaffeesetzlinge mitgebracht und erklärte ihm, worauf man achten muss, wenn man sie pflanzt. Tesfaye fragte, ob er auch solche Setzlinge haben könne, und schon am nächsten Tag stand Mulu vor seiner Tür – mit 50 Pflänzchen. “Manche Menschen sind eher bereit, ein Risiko einzugehen”, berichtet Mulu. Als Tesfaye die Kaffeepflanzen sah, habe er sich doch ein wenig gefürchtet vor der Veränderung. “Aber ich dachte mir: Wenn sie studiert hat, wird sie schon wissen, wovon sie spricht”, sagt er. Und so machten die beiden sich an die Arbeit.
Wenn Mulu Mergia heute skeptischen Bauern zeigen will, was sie mit ihrer Hilfe erreichen können, geht sie mit ihnen in Tesfayes Garten.
Sie zeigt ihnen die Beete, in denen Zwiebeln, Rote Bete und Chilis sprießen, das Elefantengras, mit dem Tesfaye das Vieh füttert. Und weiter hinten die kniehohen Kaffeepflanzen – rund 700 Stück sind es mittlerweile. “In drei Jahren werfen diese Pflanzen 20 Zentner Kaffee ab“, schätzt sie. Tesfaye muss schmunzeln, wenn er an diese Besuche denkt. “Manche Bauern, die hier waren, hatten Zweifel”, erinnert er sich. Sie seien es nicht gewohnt, dass eine Frau Anweisungen gebe. “Aber wenn sie sehen, wie Mulu auf dem Feld die Hacke schwingt, folgen sie ihrem Rat.”
Fünf Kühe hatte Tesfaye, als Mulu ihn kennenlernte. Mit Unterstützung von Menschen für Menschen stockte er seine Herde auf zwölf Tiere auf: zehn Milchkühe und zwei Ochsen. Die Ochsen kauft Tesfaye, wenn sie noch jung sind, um sie später, wenn sie größer und kräftiger sind, gewinnbringend zu verkaufen. Das gut genährte Tier, das in seinem Vorgarten grast, sei bald soweit, sagt Tesfaye. Neu sind auch zwölf Bienenkästen, ganz hinten im Garten: 14 Kilo Honig produziert Tesfaye jedes Jahr. Daneben steht ein kleiner Eukalyptushain. “Das Holz nehmen wir für den Ofen und für Reparaturen am Haus”, erzählt er. Ein neues Kornsilo aus Lehm schützt das Getreide vor Ratten und anderen Tieren.
Nach einiger Zeit brachte Mulu eine Kollegin mit. Seblework Negash ist Sozialarbeiterin bei Menschen für Menschen. Sie hilft Familien wie der von Tesfaye dabei, Haus und Hof neu zu organisieren.
Mit Hilfe der Stiftung ersetzten Tesfaye und seine Frau Meseret ihre windschiefe Holzhütte mit Grasdach durch ein Haus mit abgetrennter Küche und holzsparendem Herd. In einer Ecke des Gartens installierten sie eine geschlossene Latrine. “Mangelnde Hygiene ist der Grund für viele Krankheiten”, weiß Seblework. “Wenn wir die größten Gefahren wie Tiere in der Küche oder offene Latrinen bannen, können wir viel verändern.”
Doch auch starker Regen kann Feldern und Weideland Schaden zufügen, vor allem, wenn das Land gerodet oder überweidet ist und keine Bäume, Büsche oder Gräser die talwärts stürzenden Wassermassen bremsen. Dann schwemmen die Fluten wertvollen Mutterboden fort und fräsen im Laufe der Zeit tiefe Gräben ins Land, die den Ackerbau zusätzlich erschweren.
Ein solcher Erosionsgraben klafft wie eine Wunde auch im Land von Abol Ali. Der 46-jährige Kleinbauer pflanzt Getreide und Hülsenfrüchte in der Hügelland schaft am Rand des Dorfes Aba Grigia im Projektgebiet Wore Illu an. Oberhalb seiner Felder stand einst ein Eukalyptuswald, doch die Bäume fielen längst dem Hausbau in der Gegend zum Opfer.
Die Folge: In den Regenzeiten spülen die Wassermassen wertvolles Erdreich talwärts. Der Graben, der dadurch auf Abol Alis Land entstand, beginnt als kleiner Riss und wächst binnen 100 Metern Länge zu einer regelrechten Schlucht heran. Breite: 20 Meter, Tiefe: 7 Meter. “Die Erosion und der Graben haben meine Ernte zuletzt von Jahr zu Jahr schrumpfen lassen”, sagt Abol Ali.
Gemeinsam mit den Bauern will Menschen für Menschen die landwirtschaftliche Produktivität steigern. Dazu gehören neben dem Einsatz effektiver Anbaumethoden auch Maßnahmen zum Erhalt der natürlichen Ressourcen, die die Erosion und das Auslaugen der Böden verhindern. Denn genügend fruchtbare Acker- und Weideflächen bedeuten auch: genug Nahrungsmittel für die Bauern und Hirten und ihre Familien. Viele von ihnen können auf diese Weise sogar neue Einkommensquellen durch den Verkauf von Erzeugnissen auf dem Markt erschließen.
Vor dem Start eines Projektes erstellen Mitarbeiter von Menschen für Menschen eine Bedarfsanalyse für die Region. Unsere einheimischen Entwicklungsberater erläutern den Kleinbauern die Vorteile der Vorhaben und Maßnahmen im Bereich Ressourcenschutz und wählen innovationsfreudige Bauern aus.
Der Erfolg dieser “Modellfarmer”, die unter anderem aufgrund von Bodenstabilisierungsmaßnahmen und Baumanpflanzungen bereits nach einem halben Jahr mehr Ernte einfahren, überzeugt in der Regel auch jene Bauern, die zuerst skeptisch waren. “Derzeit arbeiten wir an der Aufforstung von 237 Hektar Wald. Zudem stabilisieren wir Erosionsgräben auf einer Länge von insgesamt 21 Kilometern”, sagt Nigistu Eshetu, 30 Jahre, Projektmanager für Aufforstung in Wore Illu.
Gemeinsam mit Menschen für Menschen ist Abol Ali die Rückgewinnung seines Ackerlands angegangen. Auf der Hügelkuppe oberhalb seines Hauses hat er 2.000 Eukalyptussetzlinge gepflanzt, die er von der Stiftung erhalten hat. In wenigen Jahren werden sie zu einem Wäldchen herangewachsen sein, das den Boden stabilisiert. Darunter, an den Rändern seiner Terrassenfelder, sprießen jetzt Büsche und dichte Gräser. Sie festigen den Boden und dämmen so die weitere Erosion ein. Ein größeres Problem ist der Graben: Er ist zu mächtig, als dass man ihn mit Schaufeln zuschütten könnte.
Deshalb hat Menschen für Menschen mit der Hilfe zahlreicher Dorfbewohner steinerne Talsperren im Graben installiert. Oberhalb dieser sogenannten “Gabionen” staut sich das abfließende Wasser. Das Erdreich, dass es mit sich führt, bleibt wie in einem gigantischen Sieb hängen, wodurch der Graben bei jedem Regenguss gleichsam ein Stück weiter zuwächst. Neu gepflanzte Bäume und Gräser stabilisieren den Boden zusätzlich. Die Wunde verheilt.
Wie lässt sich die Landwirtschaft in einer traditionellen und abgelegenen dörflichen Gemeinschaft möglichst rasch und nachhaltig umbauen? Menschen für Menschen setzt auf mutige Bauern und Bäuerinnen, die Neuerungen gegenüber aufgeschlossen sind. Diese Modellfarmer und -farmerinnen werden intensiv gefördert. Ihre imposanten Erfolge machen sie zu Vorbildern und in kurzer Zeit ganze Dörfer zu Nachahmenden.
Fünf Jahre. Länger brauchte es nicht für die Entstehung dieses Garten Eden: Sechs Meter hohe Papaya-Bäume sind aufgeschossen, die Mango-Bäume strecken ihre Äste zu ausladenden Kronen und tragen schwer an ihren Früchten, auch die Kaffeesträucher beugen sich bereits unter der Last von Abertausenden von Kaffeekirschen. Sie gedeihen prächtig im Schatten von Silbereichen, wie auch die Karotten und der Kohl in Beeten mit sorgfältig gelockertem Boden.
Man wandelt durch den üppigen Gemüse- und Obstgarten und ist fasziniert: Wie fruchtbar dieses Land ist, wenn man es nur mit Sachverstand bearbeitet! Seid Yimam, der Besitzer des Gartens, erntet mit Hilfe einer langen Stange eine Papaya und schenkt sie den Besuchern und Besucherinnen. Mit der Entspanntheit des Erfolgreichen sagt er: “Meiner Familie und mir geht es gut.”
Das war nicht immer so. Als das Entwicklungsteam von Menschen für Menschen im Jahr 2010 in das Dorf Finchiso im Projektgebiet Borecha kamen, vermochte Seid Yimam seine Kinder nur mangelhaft zu ernähren. Wie alle 19 Familien im Dorf baute er nur Getreide an. Aber in einem unterschied er sich von den anderen Menschen in seinem Dorf: Er war sofort bereit, sich auf die Fremden einzulassen.
Wenn das Team der Äthiopienhilfe zum ersten Mal in ein abgelegenes Dorf kommen, sehen sie sich zumeist mit Skepsis konfrontiert. Warum, so fragen sich die Einheimischen, wollen uns die Fremden helfen? Welchen Vorteil haben sie davon? Haben sie heimliche Pläne, eine versteckte Agenda? Seit Generationen bauen wir unser Land nach traditionellen Methoden an – warum sollen wir das plötzlich ändern?
“Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht”, heißt ein altes deutsches Sprichwort. Teferi Garedew, stellvertretender Projektmanager im Projektgebiet Borecha, sagt es mit anderen Worten: “Bauern neigen dazu, Neues abzulehnen. Denn Neues bedeutet immer Risiko.” Schlägt der Anbau eines Produkts auf dem knappen Land fehl, ist die Existenz der Familie gefährdet. “Also halten sich die Bauern gewöhnlich an das Alte, verharren in traditionellen Methoden – und damit in ihrer Armut.”
Um die Stagnation zu überwinden, setzt Menschen für Menschen auf ein einfaches und wirkungsvolles Konzept: “In jedem Dorf gibt es ein paar Ausnahme-Persönlichkeiten”, sagt Manager Teferi Garedew: “Bauern, die besonders mutig und innovationsfreudig sind. Das sind die besten Wegbereiter für Ernährungssicherheit.”
Die Stiftung fördert diese sogenannten Modellfarmer und -farmerinnen intensiv. Sie bekommen Samen und Setzlinge aus den stiftungseigenen Baumschulen zu einem vergünstigten Preis, und sie lernen von Fachleuten, wie sie durch einen ökologisch ausgerichteten Landbau mehr aus ihrem Boden herausholen – etwa über die Methode des “Agroforestry”, die auch Bauer Seid verfolgt.
Dabei werden konventionelle Getreidefelder in multifunktionale Gärten umgewandelt, in denen Ernten in mehreren Stockwerken möglich sind: Gemüse am Boden, Kaffee in Strauchhöhe, Obst an Bäumen. Die Zweige der Sesbania-Laubgehölze dienen als Viehfutter, außerdem gewinnen die Bauern wertvolles Bauholz, wenn der Schattenwurf der schnell wachsenden Silbereichen zu dicht wird und einzelne Bäume herausgeschlagen werden können.
Gewöhnlich sind lediglich zehn Prozent der Bauern innovationsfreudig. Die große Mehrheit ist abwartend. Aber sobald die ersten Ernten und Erfolge der Modellfarmer sichtbar werden, gebe es meist kein Halten mehr, sagt Teferi Garedew: “Plötzlich wollen alle unsere Produktionsmittel und Schulungen.”
In Finchiso begann die Äthiopienhilfe im Jahre 2010 mit Seid Yimam und zwei weiteren Modellfarmern zu arbeiten. Im Jahr darauf kamen sieben Pioniere dazu, im Jahr 2012 dann weitere sieben Familien. “Lediglich zwei Haushalte im Dorf sind nicht beteiligt”, bedauert Teferi Garedew. “Die Familienvorstände sind alt und nicht mehr bereit, sich auf Neues einzulassen.”
Die Ernten, die Bauer Seid einfährt, sind erstaunlich. Aus einem reinen Selbstversorger ist ein Unternehmer geworden, der das Nahrungsangebot in der Region erhöht: Dank verbessertem Saatgut erntete er auf seinem herkömmlichen Feld im Jahr 2014 eine Tonne Erdnüsse und zehn Tonnen Mais.
In seinem Agroforestry-Garten pflückte er unter anderem 500 Kilogramm Kaffeebohnen. Wenn er diese lagert und zu einem günstigen Zeitpunkt verkauft, erzielt er allein dafür über vier Euro pro Kilogramm. Seinen monatlichen Verdienst schätzt er nun auf 400 Euro – das ist sehr viel Geld in Äthiopien, wo ein einfacher Angestellter etwa 80 Euro Gehalt bekommt.
Seids wachsender Wohlstand ist überall sichtbar: Der Bauer trägt keine eingerissenen Plastikschlappen wie früher, sondern Socken und Lederschuhe. Seine Kinder schlafen jetzt auf Schaumstoffmatratzen und nicht mehr auf dem nackten Lehmboden.
Vor allem aber sieht man die Entwicklung der Familie an den vier Kindern selbst: Sie sind jetzt hellwach, und ihre schulischen Leistungen sind viel besser. “Früher fühlten sich meine Kinder oft schwach. Ständig war eines krank. Jede Woche war ich mit einem von ihnen bei der Gesundheitsstation”, erinnert sich der Bauer. “Damals hatte ich keine Ahnung von Ernährung, aber jetzt weiß ich den Grund: Wir aßen immer das Gleiche, nur Mais und Sorghum.”
Von dem Entwicklungsteam der Äthiopienhilfe hören die Menschen meist zum ersten Mal, wie wichtig es ist, Gemüse anzupflanzen und sich abwechslungsreich zu ernähren. Weltweit leiden Menschen am sogenannten “versteckten Hunger”, dem Mangel an Vitaminen und Mineralstoffen – Seids Familie gehört nicht mehr dazu. “Schaut euch die Kinder an!”, sagt der Vater stolz: “Wie gesund sie aussehen!”
Gerne gibt er sein Wissen an Menschen aus benachbarten Dörfern weiter – diese Gegenleistung verlangt die Äthiopienhilfe von den Modellfarmern und -farmerinnen: So strahlt das Konzept in ganze Regionen aus. Mogus Gizaw, 40, etwa, ist Bauer im Nachbardorf Sese: “Ich kannte Seid, und als ich seinen Garten sah, war mir klar: Das ist auch meine Zukunft.”
Sein Agroforestry-Feld hat er mit Unterstützung von Menschen für Menschen vor zwei Jahren angelegt – jetzt erntet er die ersten Papayas. Das Wissen um den Aufbau des Gartens erhielt er nicht nur von Seid, den er immer wieder besuchte und um Rat fragte, sondern auch in Vor-Ort-Schulungen durch das Landwirtschaftsteam der Äthiopienhilfe in den Gärten verschiedener Modellfarmer und -farmerinnen.
“Das Konzept ist gut”, sagt Manager Teferi Garedew. “Aber es funktioniert nur dank der Hingabe und Ausdauer unserer Mitarbeitenden.” Um Dorfgemeinschaften zu überzeugen, sei es wichtig, dass die Modellfarmer und -farmerinnen gleich im ersten Jahr signifikante Erfolge vorweisen können. “Deshalb müssen wir in der Regenzeit, wenn die Saat ausgebracht und die Setzlinge gepflanzt sind, ständig mit ihnen in Kontakt sein, ihnen Tipps geben: Wie tief muss ein Setzling in die Erde, wie weit soll der Abstand sein bis zum nächsten?” In der Regenzeit sind jedoch die Lehmpisten häufig nicht passierbar: “Also müssen unsere Fachkundigen zu Fuß zu den Bauern und Bäuerinnen. Vom Büro im Hauptort Yanfa bis zu Bauer Seid sind es 24 Kilometer – ein Sechs-Stunden-Marsch.”
Doch der Einsatz lohnt sich, denn nach einer Initialphase werden die Anstrengungen zum Selbstläufer. So erhielt Bauer Seid die aus Europa eingeführten verbesserten Gemüsesamen im Jahr 2010 zunächst für 20 Prozent des tatsächlichen Preises.
Zwei Jahre später, als die Akzeptanz und die Nachfrage nach Gemüse gestiegen waren, verlangte die Äthiopienhilfe 30 Prozent, im Folgejahr dann 50 Prozent, und seit 2014 bezahlen die Bauern die Samen zu 100 Prozent selbst. “So funktioniert Hilfe zur Selbstentwicklung”, erklärt Teferi Garedew: “Wenn wir uns aus einem Projektgebiet zurückziehen, kommen die Bauern ohne subventionierte Preise klar.”
Als Kind war Bauer Seid nur vier Jahre in der Schule, dann musste er sich als Hütejunge verdingen. “Mein erstes Paar billige Schuhe trug ich im Alter von 20 Jahren”, sagt Seid. “Alles, was ich heute bin, verdanke ich Menschen für Menschen.” Natürlich sollen es seine vier Kinder einmal noch besser haben. Am liebsten wäre es ihm, sie würden Landwirtschaft studieren und dann zurückkehren, um den Hof weiter zu professionalisieren und noch effizienter für die städtischen Märkte produzieren zu können. “Schauen Sie, wie weit ich gekommen bin”, sagt der Bauer. “Aber ich bin sicher, das ist nur der Anfang.”
Für Bauer Seid wurden die Produktionsmittel der Äthiopienhilfe zum Fundament seines Erfolges. Er erhielt zu einem subventionierten Preis:
Die Menschen in Äthiopien haben häufig nur Getreidearten zur Verfügung, die wenig Ertrag bringen. Deshalb versorgt Menschen für Menschen sie mit sogenanntem “verbessertem Saatgut”. Dieses stammt aus staatlichen landwirtschaftlichen Forschungsanstalten in Äthiopien, wo klassische und konventionelle Züchtung betrieben wird: Die Biologen kreuzen verschiedene Sorten, um das Saatgut besonders resistent, genügsam und ertragreich zu machen. So erreichen die Bauern und Bäuerinnen häufig eine Verdoppelung der Erträge. Die Gemüsesamen werden aus den Niederlanden importiert. Die Herstellerfirma Bakker Brothers setzt laut Eigenerklärung keinerlei Gentechnik ein.
Die Schönheit Äthiopiens wirkt atemberaubend. Doch die Landschaft ist bedroht. Die Menschen brauchen Bau- und Brennholz. Deshalb sind nur noch 12 Prozent der Landesfläche bewaldet. Menschen für Menschen setzt sich deshalb auf vielfältige Weise für den Ressourcenschutz ein.
Ohne Bäume sind die Hänge der Erosion schutzlos ausgeliefert: Wertvoller Mutterboden wird abgeschwemmt. Überall in den Projektgebieten richtet die Äthiopienhilfe deshalb Baumschulen ein. Über 200 Millionen Baumpflänzlinge hat die Äthiopienhilfe gezogen.
An Hängen bewahren ihre Wurzeln den Boden. Das Grundwasser erholt sich: Im Wald versickert der Regen, statt schnell abzufließen. Der Naturschutz dient den Menschen. Die Felder bleiben fruchtbar, die Brunnen führen mehr Wasser, und die Frauen verdienen als Arbeiterinnen in den Baumschulen häufig zum ersten Mal ihr eigenes Geld.
Vor der Aufforstung müssen steile Hänge terrassiert werden. Ein Arbeiter schafft pro Tag einen Terrassenwall von 4 Metern Länge. Dafür bekommt er den landesüblichen Tagelohn von einem Euro.
Die Äthiopienhilfe propagiert einfache, aus Zement gegossene Herde, die Holz sparen. Davon profitiert auch die Gesundheit der Menschen, weil die Herde weniger Rauch entwickeln als offene Feuerstellen.
Um die Holz-Ressourcen zu schonen, zeigt die Äthiopienhilfe den Bauern, wie sie ihre Häuser aus Steinen und Lehmmörtel errichten können. Wer ein Steinhaus baut, erhält als Anreiz Bleche für das Dach.
Menschen für Menschen hat junge Leute im Aufbau von Solaranlagen und LED-Lampen ausgebildet. Auch das schont die Holz-Ressourcen: Bislang beleuchteten viele Familien ihre Häuser mit offenen Feuern.
Abdi Hassan jätet Unkraut, um den Baumsetzlingen am Berg Kundudo Licht zu verschaffen. Seine Frau Karima bringt ihm eine Tasse Tee. Wenn Söhnchen Khalid erwachsen ist, wird der Hang wieder bewaldet sein.
Sie wohnen nur wenige Schritte voneinander entfernt – doch während Bauer Motuma bangen muss, ob er seine Familie ernähren kann, hat sich Nachbar Lelisa mithilfe von Menschen für Menschen auf seinem Land eine sichere Existenz geschaffen. Sein Erfolg inspiriert auch die vorsichtigen Bauern im Dorf.
Wenn Motuma Gobu nach einem langen Tag ins Bett fällt, teilt er das Schlafzimmer nicht nur mit seiner Frau Lomitu. Vier Rinder stehen in der fensterlosen Hütte. Es stinkt, Fliegen umkreisen Kuhdung auf dem Boden. Motuma traut sich nicht, die Tiere nachts unbeaufsichtigt zu lassen. “Ich habe Angst, dass sie jemand stiehlt”, erklärt er. Dass der enge Kontakt zum Vieh ihn und seine schwangere Frau krank machen könnte, nimmt er in Kauf: “Die Tiere sind mein wertvollster Besitz.”
Der 45-Jährige wohnt mit seiner Familie im Dorf Kersa, rund 250 Kilometer westlich von Addis Abeba. Auf zwei Hektar Land baut er Mais, Sorghum, Kichererbsen, Nigersamen, Teff und Kaffee an. Doch die Qualität der Bohnen reicht nicht, um sie auf dem Markt zu verkaufen.
“Wir können den Kaffee nur selbst trinken”, sagt Motuma. Barfuß steht er vor den drei Mangobäumen in seinem Garten. “Die werden immer wieder von Schädlingen befallen.” Die wenigen gesunden Früchte isst die Familie selbst. Auch der Rest der Ernte reicht meist gerade, um sie zu ernähren.
Nur ab und zu bleibt vom Mais und den Nigersamen etwas übrig. Damit verdient er umgerechnet etwa 150 Euro im Jahr. Braucht eines seiner Kinder Medikamente oder ist die Ernte durch Dürre oder zu starken Regen bedroht, wird das zur Katastrophe. “Dann kann ich nur noch beten.”
Kaum zu glauben, dass es ihm einst noch schlechter ging. „Ich hatte wirklich gar nichts“, erinnert er sich. Schließlich ersparte er sich als Tagelöhner ein Schaf, das Lämmer gebar. Durch ihren Verkauf konnte er nach und nach Rinder kaufen.
Eines der Lämmer behielt er und taufte es Bido. Es gibt ihm Hoffnung. Wenn er an ihm vorbeiläuft, tätschelt er ihm den Kopf. “Ich würde Bido niemals verkaufen oder schlachten.”
Wie Motuma teilen sich auch seine zwei Söhne, seine Mutter und Schwester die zweite Hütte auf dem Grundstück mit Tieren. Neben der dünnen Matratze der Kinder ist ein Kalb festgebunden, das Motuma kurz nach der Geburt von seiner Mutter trennte. Erst wenn seine Frau bei der Kuh genug Milch für die Familie gemolken hat, lässt er das Kalb beim Muttertier trinken.
In der Hütte ist es selbst am helllichten Tag dunkel. Im Schein einer Petroleumlampe picken ein paar Hühner auf dem staubigen Boden der Kochstelle nach Samen. Das Grasdach der Behausung ist durch den Ruß kohlschwarz gefärbt.
Seit fünf Jahren engagiert sich Menschen für Menschen im Dorf Kersa, das im Projektgebiet Dano liegt. Doch als Mitarbeitende der Stiftung begannen, Bauern und Bäuerinnen dabei zu unterstützen, Anbaumethoden und Tierhaltung zu verbessern, zeigte Motuma kein Interesse. “Ich war überzeugt, dass ich über Landwirtschaft besser Bescheid weiß als die Experten.”
Anders Lelisa Hindabu, der ihnen von Anfang an vertraute. „Wir hatten von der Arbeit von Menschen für Menschen gehört und waren glücklich, als sie zu uns kamen“, sagt seine Frau Tamire. Sogenannte Modellfarmer wie Lelisa und Tamire sind für die Stiftung wichtig. Die Erfolge dieser Landwirte, die offen für Veränderung und Vorschläge sind, können andere Bauern und Bäuerinnen ebenfalls überzeugen, ihre Landwirtschaft umzustellen.
Der 46-jährige Lelisa hat neben Sorghum, Mais und Teff auch Kaffeesetzlinge gepflanzt, die ihm Mitarbeitende von Menschen für Menschen gaben. Bevor sie sich rentieren, muss er sich allerdings noch etwas gedulden. Viele sind noch nicht reif. Das gilt auch für die Avocado- und Papayabäume. Da er aber auf den Rat der Landwirtschaftsfachkräfte die neuen Setzlinge nur auf einem Teil seines Feldes anbaute und zudem Gemüse pflanzte, muss er keine Ernteausfälle befürchten und kann mit Rote Bete, Kohl, Karotten und Tomaten den Speiseplan der Familie bereichern.
Seitdem sie nicht mehr nur das saure Fladenbrot Injera und Brot aus Mais, Sorghum und Teff essen, geht es allen besser: “Meine Kinder sind viel fitter, weniger krank”, sagt Tamire. In einem Kochkurs von Menschen für Menschen lernte sie, wie wichtig ausgewogene Ernährung für die Gesundheit ist und wie sie aus ihren neuen Zutaten schmackhafte Gerichte zubereiten kann. “Ich weiß jetzt, wie ich aus unseren Sojabohnen Milch gewinne. Die trinken wir manchmal zum Frühstück”, sagt sie.
Lelisa greift mit beiden Armen in einen Haufen Gras, verteilt es im Futtertrog der drei Ochsen, die sich in einem kleinen offenen Gehege drängen. Bald werden sie genug Gewicht auf die Waage bringen, dann kann Lelisa sie verkaufen. Für jeden Ochsen wird er umgerechnet rund 125 Euro einnehmen – nach nur drei Monaten Mast. Zuvor brauchte er dreimal so lang. Doch nach einem dreitägigen Training zur besseren Tierhaltung weiß er, dass sich seine Tiere zu viel bewegt hatten. “Wir sind mit ihnen immer zur Wasserstelle gelaufen, heute bringe ich ihnen ihr Wasser in den Stall.”
Die Äthiopienhilfe ermöglichte ihm außerdem, Elefantengras zu pflanzen, das er zusätzlich zu einer speziellen Tiernahrung seinem Vieh zum Fressen gibt. Die erste Ladung des Futters aus Ernteabfällen und nährstoffreichen Zusätzen bekam er noch umsonst. Heute kauft er es vom “Grünen Innovationszentrum”, das Menschen für Menschen in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) 2016 in Dano ins Leben rief.
Lelisa ist auch Imker. Im hinteren Teil seines Gartens summt und brummt es. Auf mehreren Etagen reihen sich Bienenkästen über- und aneinander. Er hatte sich schon früher in der Bienenzucht versucht, Mitarbeitende von Menschen für Menschen erklärten ihm daher, wie er seinen Ertrag vergrößern könnte, unterstützten ihn mit modernen Bienenstöcken und zeigten ihm, wie er sie selbst bauen kann. Von seinen mittlerweile 50 Bienenkästen erwartet er sich bald eine Jahresernte von 200 Kilogramm Honig, mehr als doppelt so viel wie zuvor.
Je erfolgreicher er ist, desto mehr hat Lelisa zu tun. Daher hat er einige Feldarbeiter eingestellt. Auch die fünf Kinder, die noch bei ihm wohnen, unterstützen ihn. Allerdings nur, wenn sie keinen Unterricht haben. Lelisa weiß: “Bildung ist das Wichtigste.”
Lelisa ist stolz darauf, was er erreicht hat. Als er vor fünf Jahren seine Landwirtschaft mit Unterstützung von Menschen für Menschen umstellte, stieß das bei einigen Menschen im Dorf nicht nur auf Begeisterung. “Sie warnten mich, dass ich mein Leben zerstören und unsere Tradition vergessen würde.“ Doch er ließ sich nicht beirren und sollte mit seiner mutigen Entscheidung Recht behalten: Mit dem Verkauf der Ochsen, des bereits reifen Kaffees und seines Ernteüberschusses verdient er heute im Jahr umgerechnet rund 3.100 Euro, knapp sieben Mal so viel wie vor fünf Jahren.
Sein Erfolg hat viele Menschen seines Dorfes überzeugt. Sie besuchen ihn, lernen von seinen Erfahrungen. Auch Motuma war schon bei ihm. “Manchmal denke ich, wie viel besser es mir gehen würde, wenn ich damals die Hilfe der Organisation angenommen hätte. Dann werde ich richtig sauer auf mich.”
Inzwischen hat er Menschen für Menschen um Hilfe beim Anbau von Kaffee, Soja, Gemüse und Obst gebeten. Auch in effektive Hühnerzucht will er investieren. “Wenn ich mich und meine Familie gut versorgen kann, möchte ich anderen helfen, denen es schlechter geht.” Dann wird aus dem Nachahmer ein weiteres Vorbild.
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