Äthiopiens starke Frauen
Abgeschlossenes Projektgebiet Borena (2011 - 2023) Schwerpunkt: Einkommen
Menschen für Menschen ermöglicht Mikrokredite, mit denen sich vor allem junge Frauen eine eigene Existenz aufbauen können. Melkam Merchaw aus Mekane Selam ist eine von ihnen. Gemeinsam mit ihrem Ehemann hat sie eine Schlosserei gegründet.
An diesem Vormittag lässt Melkam Merchaw vor ihrer Werkstatt die Funken fliegen. Eine junge Frau in rußschwarzer Arbeitskleidung, das karierte Tuch wie ein Turban um den Kopf gewickelt, dunkle Sonnenbrille im Gesicht, in den Händen ein zischendes Schweißgerät. So etwas sieht man nicht alle Tage, zumal nicht im ländlichen Äthiopien. „Es gibt Leute, die finden es nicht gut, dass eine Frau diese Arbeit tut“, sagt sie. „Ich glaube, sie sind nur neidisch, weil ich eine eigene Werkstatt habe“, sagt Melkam.
Schweißnähte ziehen – und ganz nebenbei am Frauenbild Äthiopiens schmieden: Seit Melkam Merchaw gemeinsam mit ihrem Mann Welde Gebreal eine Schlosserwerkstatt am Rand der Kleinstadt Mekane Selam, rund 400 Kilometer nördlich von Addis Abeba, gegründet hat, ist sie nicht nur Handwerkerin, sondern auch Symbol für einen neuen, selbstbewussten Typ Frau in Äthiopien.
„Meine eigene Mutter ist der Meinung, dass Frauen lieber auf dem Hof oder im Haus arbeiten sollten“, sagt sie. „Ich kann das nicht verstehen. Ich will unabhängig sein – und diese Arbeit macht das möglich.“
Mit dem Mut der Hoffnungslosen
Die Geschichte von Melkam beginnt so, wie viele Geschichten junger Äthiopier beginnen. Nach der Schule hatte sie keine Chance, einen Beruf zu lernen oder zu studieren. „Ich war das dritte von acht Kindern“, sagt Melkam. „Eine Ausbildung für mich konnten sich meine Eltern nicht leisten.“ Um etwas Geld zu verdienen, arbeitete sie in einem Café. Hier traf sie Welde. Die beiden verstanden sich gut und wurden nach einigen Monaten ein Paar.
„Ich will unabhängig sein – und diese Arbeit macht das möglich.“
Melkam Merchaw, 26
Doch das Geld, das sie verdienten, reichte nicht für ein eigenes Zuhause. „Also versuchten wir unser Glück in Addis Abeba“, erzählt Melkam. Sie fanden Arbeit im Straßenbau – für umgerechnet 13 Euro am Tag. „Für ein kleines Zimmer reichte das, aber es war nicht genug, um sich etwas aufzubauen.“ Eines Tages erhielten sie einen Tipp von einem Freund: Eine Firma bot Trainings für Schweißer an. „Erst guckten die Leute komisch, als eine Frau vor ihnen stand“, sagt Melkam. „Aber als sie sahen, dass ich arbeiten kann, durfte ich das Training beginnen.“
Perspektive in der Heimat
Nach dem Training arbeiteten die beiden für den Betrieb. “Die Arbeit machte uns Spaß, doch die Bezahlung war schlecht”, sagt Melkam. Zudem waren sie beide weit weg von ihren Familien, die nördlich von Addis Abeba leben. Sie beschlossen, die laute und dreckige Hauptstadt wieder zu verlassen – und zurück zu gehen, in die Nähe ihrer Familien. “Mekane Selam schien uns eine gute Wahl”, sagt Melkam. “Die Stadt wächst, also entstehen hier sicher auch Jobs, dachten wir.
Auf der Suche nach Arbeit erfuhren sie, dass Menschen für Menschen in Mekane Selam in der Projekregion Borena aktiv ist und Mikrokredite ermöglicht. „Wir baten um einen Termin und trugen unsere Idee, eine Schlosserei zu gründen, vor.“ Gemeinsam mit Mitarbeitenden der Stiftung erstellten sie einen Businessplan und wenig später hielten sie ihren ersten Mikrokredit in den Händen: 6.000 Birr, umgerechnet rund 180 Euro, ihr Startkapital. Sie mieteten sich eine Wellblechhütte am Stadtrand, kauften Gerätschaften und nahmen ihre ersten Aufträge an.
Erfolg dank harter Arbeit
Schnell stellte sich heraus, dass der erste Generator zu schwach war. “Wir brauchten einen größeren”, sagt Melkam. Von einem weiteren Kredit, diesmal über 10.000 Birr, umgerechnet rund 300 Euro, kauften sie ein leistungsstärkeres Gerät. Eine bessere Ausstattung machte größere Aufträge möglich – und so konnten sie beide Kredite schnell wieder zurückzahlen. Heute sind Melkam und Welde gefragte Schlosser in Mekane Selam. Sie konstruieren Stahlgerüste für den Hausbau oder reparieren reihenweise Schulbänke.
Am Nachmittag kommen ihre Kinder, die fünfjährige Ruhama und die sechsjährige Elshadie, aus der Schule. Melkam und Welde legen die Maschinen zur Seite und nehmen die Mädchen auf den Arm. “Unsere Töchter sollen einmal mehr Möglichkeiten haben als wir”, sagt Melkam.