So wie Abiye und Lakew geht es vielen Menschen in Äthiopien. Das Land hat eine der höchsten Blindenrate der Welt. Laut der Hilfsorganisatoin Licht für die Welt sind etwa 2,4 Prozent der Bevölkerung am Grauen Star erkrankt. Er ist nach der Trachomerkrankung die zweithäufigste Ursache für Erblindung.
Grauer Star kann durch eine Routineoperation geheilt werden. Doch mangelt es, wie in vielen afrikanischen Staaten, an medizinischem Personal: Laut WHO ist ein Augenarzt in Afrika statistisch gesehen für eine Million Menschen zuständig, in Deutschland für rund 13.000. Die überwiegende Anzahl praktiziert in den großen Städten wie Addis Abeba. Für Menschen in entlegenen Gebieten sind sie oft unerreichbar. Zu weit die Reise, unerschwinglich der Transport, die Unterkunft in der Stadt und die Kosten für die Operation.
Um ihnen dennoch eine Chance auf eine Heilung zu geben, organisiert Menschen für Menschen mehrmals im Jahr kostenlose Operationen. Mitarbeiter wie Tiringo Hibiste kontrollieren bei einer Voruntersuchung, ob die Patienten tatsächlich an Grauem Star leiden oder beispielsweise an der bakteriellen Infektion Trachom. Die kann die Krankenschwester selbst behandeln. Die Operation am Grauen Star führt ein dafür ausgebildeter Augenarzt, wie Fekadu Kassahun, durch. Neben seinem Job in einem Krankenhaus in der Hauptstadt arbeitet er mit der Äthiopienhilfe zusammen. Die Stiftung bezahlt dem Arzt und seinen Helfern ein Tagegeld, die Linsen und das benötigte medizinische Material wie Nadeln, Watte und Desinfektionsmittel. Für Transport und Logis kommen die Regierung und das Krankenhaus auf. Im ersten Halbjahr 2019 konnte Menschen für Menschen so 593 Graue Star-Operationen ermöglichen.
Bevor er zum ersten Mal in ein Projektgebiet kommt, müssen Mitarbeitende der Stiftung auf die anstehende Möglichkeit von Operationen hinweisen. “Die Menschen wissen oft nicht, woran sie erkrankt sind und dass wir ihnen helfen können”, erklärt Fekadu. “Mittlerweile kennen viele jemanden, den wir heilen konnten.” So war es auch bei Abiye und Lakew. Ein Mann ihrer Kirchengemeinde gewann durch die Operation sein Augenlicht zurück.
“Wir sind sicher, dass wir in guten Händen sind”, sagt der 85-jährige Abiye. Zunächst hatte er seinen jüngeren Bruder getröstet, der nach und nach immer schlechter sehen konnte. Als er vor vier Jahren ebenfalls merkte, dass sich seine Sicht eintrübt, bekam er große Angst. “Ich wollte nicht so enden wie er”, erinnert sich Abiye. “Oft habe ich mich gefragt, was wir als Familie falsch gemacht haben, warum wir so verflucht wurden.”