Rund ein Dutzend Mädchen und Jungen warten hier bereits vor den Zapfhähnen. Nach einer Viertelstunde sind Chaltu und Melaku dran. „Das ging schnell“, sagt Chaltu, reinigt den Kanister und lässt Wasser aus dem Hahn in die Öffnung schießen. „Morgens vor dem Unterricht warten wir hier mehr als eine Stunde.“ Als die beiden fertig sind, bindet Chaltu sich den 20-Liter- Kanister mit einem Tuch auf den Rücken. Ihr Bruder Melaku schultert einen 10-Liter-Kanister. Dann tragen sie die schwere Last den Hang empor und nach Hause.
Die Sorge um Trinkwasser gehört zum Alltag in Seyo. Wo man hinsieht: gelbe Kanister. Sie stehen vor den Hütten in der Sonne und warten auf ihren nächsten Einsatz. Gebeugt unter der Last der gefüllten Plastikgefäße marschieren Frauen und Kinder durch die staubigen Straßen. Einige Bewohner der Kleinstadt haben in dieser Mühsal eine Marktlücke entdeckt. Mosisa Kalbessa zum Beispiel. Bis zu 20-mal am Tag treibt er seinen Esel zur Wasserstelle, füllt zwei 20-Liter-Kanister und bringt das Wasser gegen einen kleinen Botenlohn zu seinen Auftraggebern. Der Esel heißt „Robi“, zu Deutsch: „Regen“.
Bürgermeister Sintayehu hat die offiziellen Stellen schon oft um Unterstützung beim Bau einer lokalen Wasserversorgung gebeten. „Man sagte mir immer, wir müssten noch warten. In anderen Städten sei die Not noch größer.“ Dabei hat sich die Lage in Seyo in den vergangenen Jahren dramatisch verschlechtert: 2005 zählte die Stadt etwa 3.000 Einwohner. 2011, als Bürgermeister Sintayehu sein Amt antrat, waren es bereits 10.000. Seither sind nochmal 5.000 Menschen hinzugekommen.