Die reguläre Arbeit geht wie bisher weiter, aber alle KollegInnen sind sich der Gefahr durch Covid-19 sehr bewusst. Die MitarbeiterInnen waschen und desinfizieren sich regelmäßig die Hände und gehen auch auf soziale und physische Distanz.
Corona-Tagebuch aus Äthiopien: Mein schwerer Abschied voller Wut und Hoffnung
Die Corona-Epidemie hat längst auch Äthiopien erreicht. Die Fallzahlen stiegen zuletzt immer stärker an, die Sorge vor einer weiteren Ausbreitung ist groß. Der Großteil der Mitarbeiter des Büros von Menschen für Menschen in Addis Abeba arbeitet mittlerweile aus dem Homeoffice.
Das Coronavirus und Menschen für Menschen: Antworten auf die wichtigsten Fragen
Darunter Henning Neuhaus, der zusammen mit Muluneh Tolesa für die PR-Arbeit der Stiftung in Äthiopien zuständig ist. Henning lebt seit August 2018 in Addis Abeba und ist dort einer von nur zwei nicht-äthiopischen Mitarbeitern im Project Coordination Office (PCO).
An dieser Stelle berichtet Henning regelmäßig in seinem Corona-Tagebuch über die Lage in Addis Abeba sowie unseren Projektgebieten auf dem Land und beschreibt, wie Äthiopien den Alltag mit dem Virus meistert.
Sie wollen mithelfen, die Ausbreitung des Coronavirus in Äthiopien zu stoppen? Erfahren Sie hier mehr über unsere Soforthilfe-Maßnahmen.
“Manchmal verlaufen Abschiede nicht so, wie man sich das in seinen Gedanken zuvor ausgemalt hat. Ich dachte, ich werde eine große Feier haben, alle noch einmal umarmen und mit meinen Freunden auf eine großartige gemeinsame Zeit anstoßen. Nach knapp dreieinhalb Jahren endet meine Zeit bei Menschen für Menschen.
Ich werde für eine Weile zurück nach Europa – genauer gesagt in die schönen Niederlande – gehen, um dort meinen Master zu machen. Ich freue mich auf dieses nächste Kapitel, bin aber auch wehmütig, weil ich ein liebgewonnenes Äthiopien hinter mir lasse, das durch die Ereignisse der vergangenen zweieinhalb Wochen stark erschüttert ist.
Der Morgen nach der Ermordung des Sängers Hachalu Hundessa begann wie so oft damit, dass ich bei einer Tasse Kaffee die Nachrichten auf Twitter las. Die Ermordung des bei vor allem jungen Oromos beliebten Sängers dominierte jede Timeline und jeden Newsfeed. Kurz darauf erhielt ich die ersten Warnungen, dass für diesen 30. Juni überall im ganzen Land Demonstrationen angekündigt sind und man lieber daheim bleiben sollte.
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Bedrückende Stille in Addis - zunächst
Kurz danach erschienen in den sozialen Medien die ersten Videos von jungen Männern mit Stöcken, die lautstark demonstrierend durch Addis zogen und meine Mitbewohner und ich bekamen ein mulmiges Gefühl im Bauch. Dann wurde auch schon das Internet abgeschaltet und kurz darauf der Strom. Eine bedrückende Stille machte sich breit. Wir vertrieben uns die Zeit damit Bücher zu lesen, die man schon immer lesen wollte, es aber Zeitgründen nie geschafft hat, und beschlossen schließlich am Nachmittag einen Gin Tonic auf unserer Terrasse zu trinken. Die Sonne schien und wir dachten: “Das wird schon wieder.”
Dann hörten wir die ersten Schusssalven, vielleicht 500 Meter entfernt von unserem Haus. Mit Hilfe von Telefonketten informierten wir uns, wie es unseren Freunden in anderen Teilen der Stadt geht. Bei einigen wurde direkt vor der Haustür geschossen und wir hörten von den ersten Zerstörungen und Plünderungen im Stadtgebiet von Addis. Bis spät in die Nacht vernahmen wir vereinzelte Schüsse aus unterschiedlichen Himmelsrichtungen.
Stadt Shashamene zerstört
Am darauffolgenden Mittwoch gingen uns die langsam die Lebensmittel aus und wir wollten eine Freundin zu uns holen, die alleine in ihrem Haus war und Angst hatte. Wir kamen aber nicht weit. Unweit von unserem Haus sahen wir aus der Ferne ein Dutzend Jugendliche mit Stöcken und Macheten in unsere Richtung laufen. Ohne eine Sekunde zu zögern drehte ich unter quietschenden Reifen um und fuhr zurück nach Hause.
In den Tagen danach entspannte sich die Lage in Addis Abeba deutlich, jedoch wurde auch das Ausmaß der Zerstörung sichtbar. Entlang der Bole Road, der wichtigsten Hauptstraße, war fast jede Fensterscheibe zerstört worden und einzelne Geschäfte waren geplündert. Es gab kaum Verkehr und Sicherheitskräfte, schwer bewaffnet auf Pickups sitzend, patrouillierten in Straßen.
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Es wurde auch klar, dass Addis im Vergleich zu Städten wie Ziway oder Shashamene noch recht glimpflich davon gekommen war. Besonders letztere ist teilweise nur noch aus das ausgebrannte Gerippe einer Stadt und ersten Schätzungen gehen davon aus, dass alleine dort 150 Menschen bei den Unruhen ums Leben kamen. Nach offiziellen Angaben verloren bei den Ausschreitungen insgesamt 239 Menschen ihr Leben.
Corona rückt in den Hintergrund
Das Coronavirus rückte in dieser Zeit in den Hintergrund. Besonders in den ersten Juliwochen konnte längst nicht so viel getestet werden wie zuvor. Auch führte die landesweite Abschaltung des Internets dazu, dass Updates bezüglich der Pandemie nur spärlich durchdringen konnten. Es ist auch zu erwarten, dass es durch die Unruhen und die damit einhergehenden Versammlungen zu einem erneuten Anstieg der Infektionszahlen geben wird.
Ich verlasse somit ein tief gespaltenes Land, welches sich zusätzlich noch im Würgegriff einer globalen Pandemie befindet und zu allem Überfluss noch von einer der schlimmsten Heuschreckenplagen seit Jahrzehnten heimgesucht wird. Das löst in mir nicht nur Trauer, sondern auch Wut aus. Denn dieses Äthiopien mitsamt seinen Menschen, welches ich in den letzten Jahren meine Heimat nennen durfte, hat all das nicht verdient. Es ist ein Land mit unermesslichem Potenzial und es macht mich wütend mit anzusehen, wie das zarte Pflänzchen der Entwicklung und des Friedens durch externe und interne Faktoren leidet.
Ich bin ein von Grund auf optimistischer Mensch, auch wenn es mir in solch stürmischen Zeiten schwerfällt, meinen Optimismus beizubehalten. Trotzdem ist es meiner Meinung nach das Wichtigste, auch an solchen dunklen Tagen nicht die Hoffnung zu verlieren und an das Gute zu glauben. Ich bin unendlich dankbar für die Zeit, die ich hier in Äthiopien hatte.
Und ich hoffe eines Tages zurückzukehren und ein besseres Äthiopien zu besuchen, so wie es die Menschen hier auch verdient haben.
“Man hat inzwischen das Gefühl, dass sich die meisten Menschen in Äthiopien mit der neuen “Corona-Normalität“ abgefunden haben. Wie schon oft erwähnt, muss das Leben trotz der schwierigen Situation weitergehen. Trotzdem möchte ich heute über zwei Schicksale berichten, die repräsentativ dafür stehen, wie Covid-19 das Leben von vielen Menschen in Addis Abeba in vielerlei Hinsicht erschwert hat.
Wie viele hier in Addis haben auch wir in unserem Haus eine Haushälterin, die ab und zu kommt. Meseret ist Mitte 30 und hat vier Jahre lang als Zimmermädchen in einem Luxushotel in Dubai gearbeitet. Mittlerweile ist die alleinerziehende Mutter zurück in ihrer Heimat und zieht hier ihre zwei Söhne groß. Eigentlich ist Meseret immer eine Frohnatur, die viel lacht und immer gut gelaunt ist.
Die Sehnsucht nach den Kindern ist groß
Letztens jedoch kam sie morgens zu uns und sah sehr traurig aus. Auf die Frage, was denn los sei und ob es ihr gut gehe, erzählte sie, dass sie ihre beiden Kinder schon seit März nicht mehr gesehen habe. Sie fing an zu weinen und sagte, dass sie ihre Kinder zu ihrer Mutter aufs Land gebracht hat, als das Coronavirus in Addis ausbrach, um sich und ihre Kinder zu schützen. Zwar telefoniert sie täglich mit ihren Kindern, jedoch ist die Sehnsucht groß und sie weiß nicht, wann sie ihre Söhne das nächste Mal sehen wird.
Auch Fekadu, ein befreundeter Taxifahrer, leidet unter der aktuellen Situation. Seine wichtigsten Kunden sind Expats, die er schon seit mehr als 20 Jahren durch Addis fährt. Fekadu ist immer pünktlich und ein sehr zuvorkommender Mann. Letztens habe ich ihn angerufen, weil ich bei einem Bekannten auf einen Drink vorbeigeschaut habe. Ich hatte Fekadu schon lange nicht mehr gesehen und erkundigte mich, wie sein Geschäft in den letzten Monaten während Covid-19 gelaufen ist.
"Actually, the business is not fine"
“Business is fine, Henning”, sagte er kurz und wir schwiegen uns für fünf Minuten an. Dann jedoch drehte er sich zu mir und sagte: “No, actually the business is not fine.” Er berichtete, dass viele seiner Stammkunden das Land nach Ausbruch von Covid-19 verlassen haben.
Vor Corona brachte Fekadu auch Kinder von Expats morgens zur Schule und holte diese wieder ab. Da die Schulen schon seit März geschlossen sind, gibt es auch diese Einkommensquelle nicht mehr. Früher musste Fekadu sogar manchmal Gästen absagen, da er so viele Fahrgäste und Termine hatte. Nun freut er sich über jeden Fahrgast, den er noch hat und der ihn anruft.”
“Fast ein Monat ist seit meinem letzten Eintrag in das Corona-Tagebuch vergangen. Da sich die Covid-19-Fallzahlen in Äthiopien noch Anfang Mai in Grenzen hielten, sah es für eine Weile so aus, als würde sich das Virus nicht so schlimm ausbreiten wie zu Beginn befürchtet. Diese Hoffnung ist allerdings in den letzten vier Wochen verschwunden.
Seit dem 24. Mai, als es auf einmal 88 Neuinfektionen an einem Tag gab, steigen die Neuinfektionen rapide an. Das zeigt deutlich, dass die sogenannte “Community Transmission”, also die Übertragung außerhalb der bis dahin bekannten Ansteckungsketten, in vollem Gange ist. Inzwischen verzeichnet jede Region in Äthiopien Corona-Infizierte. Es ist schon bedenklich, dass sich die Zahl der Infizierten vom 16. Mai bis zum heutigen Tag von 306 auf 3.521 mehr als verzehnfacht hat.
Das jüngste Corona-Opfer war 19 Jahre alt
Aktuell gibt es 60 Todesfälle durch Covid-19 in Äthiopien zu beklagen, wobei das jüngste Opfer gerade einmal 19 Jahre alt war. Auch hier entwickeln also keineswegs nur ältere Menschen schwere bis tödliche Verläufe. Jedoch überlasse ich die Frage, inwiefern Vorerkrankungen wie Tuberkulose den Krankheitsverlauf beeinflussen, lieber den Virologen.
Auch in zwei Projektregionen von Menschen für Menschen gibt es die ersten vereinzelten Fälle von Covid-19: In der Kleinstadt Seyo im Projektgebiet Dano hat sich ein junger Mann mit Corona infiziert und wurde in das nächstgelegene Quarantänezentrum in Guder eingewiesen. Auch eine 17-Jährige in der Region Ginde Beret ist Anfang Juni erkrankt und begab sich in Quarantäne. Ihre Kontakte wurden glücklicherweise negativ getestet.
Zum Schutz der gefährdeten ländlichen Regionen bemühen wir uns nach wie vor, PPE-Materialien (Personal Protective Equipment) von lokalen Produzenten zu akquirieren und in unseren Projektgebieten zu verteilen.
Regelmäßiges Fiebermessen überall
Wie hat sich jedoch das Alltagsleben in den letzten vier Wochen entwickelt? Wenn man hier in Addis Abeba keine Maske in der Öffentlichkeit trägt, könnte man recht schnell Ärger mit der Polizei bekommen, die rigoros die Einhaltung der Maskenpflicht kontrolliert. Generell ist die Polizeipräsenz deutlich angestiegen: Sie stehen an Bushaltestellen, sorgen dafür, dass Abstand gehalten wird, und begleiten Mitarbeiter vom Gesundheitsamt, die von Tür zu Tür gehen und Fieber messen.
Die Vorsichtsmaßnahmen beschränken sich dabei nicht nur auf die Großstädte. Dies erlebte ich vor zwei Wochen selbst, als ich mit meinen Freunden nach langer Zeit mal wieder aus Addis raus gefahren bin. Wir sind nach Ankobar, der alten Kaiserstadt von Menelik II., gereist, um dort das Wochenende in der Natur fernab von Addis zu verbringen. Selbst in dieser sehr ländlichen Gegend wurden wir zweimal von der Polizei und der lokalen Gesundheitsbehörde zum Fiebermessen angehalten.
Hätten wir in dieser Situation Fieber oder andere Coronasymptome gehabt, wären wir unverzüglich in eine der zahlreichen Quarantäneanstalten vor Ort gebracht worden. Zum Glück ging es uns allen gut und wir hatten ein wunderbares Wochenende.
"Corona-Normalität"
Nichtsdestotrotz habe ich das Gefühl, das sich bei den Menschen trotz der steigenden Infektionszahlen eine gewisse “Corona-Normalität” eingebürgert hat. Wie ich schon mehrmals in diesem Tagebuch erwähnt habe, ist ein Lockdown in einem Land wie Äthiopien nur schwer bis kaum möglich umzusetzen. Die meisten Menschen sind darauf angewiesen ihrer täglichen Arbeit nachzugehen, um das Überleben ihrer Familie zu sichern. Das Leben muss daher weitergehen. Trotz Corona.
Bundesliga-Profi Neven Subotic (Borussia Dortmund, Union Berlin) gründete im Jahr 2012 seine gleichnamige Stiftung, welche wie unsere Organisation Entwicklungsprojekte in Äthiopien umsetzt. Die Neven Subotic Stiftung konzentriert sich dabei auf Maßnahmen aus dem Bereich WaSH (Wasser, Sanitär, Hygiene) im Norden des Landes.
In Rahmen der Gesprächsreihe “n2s im Gespräch”, in der der Fußballstar und Leiter seiner Stiftung sich mit Ansprechpartnern vor Ort über die aktuelle Corona-Lage austauscht, hat Neven Subotic auch unseren Tagebuch-Autor Henning Neuhaus eingeladen, über den neuen Lebensalltag in Äthiopien zu berichten. Entstanden ist ein spannendes und informatives Gespräch über die Auswirkungen des Ausnahmezustands und die Veränderungen im gesellschaftlichen Leben sowie in unserer Entwicklungsarbeit.
Den heutigen Tagebuch-Eintrag gibt es deshalb im Videoformat – viel Spaß beim Anschauen!
“Not macht bekanntlich erfinderisch und während der globalen Corona-Pandemie bewahrheitet sich dieses Sprichwort tagtäglich. Überall auf der Welt gibt es aktuell große und kleine Innovationen, die unser Leben in dieser Krise sicherer machen sollen. So auch im ATTC, dem technischen College von Menschen für Menschen in Harar. Wie in allen Hochschulen im Land wurden auch hier die Studentinnen und Studenten nach Hause geschickt, der Lehrbetrieb ist momentan eingestellt.
Die Lehrer haben zur Zeit ungewollt viel Freizeit, andererseits verfügt das College über eine vollausgestattete Metallwerkstatt. Also wurden die Lehrkräfte von der Fakultät für Fertigungstechnik kreativ und haben vergangene Woche den ersten Prototyp einer mit Fußpedalen betriebenen Handwaschanlage gebaut. Mit dem einen Fuß öffnet und schließt man die Leitung zu einem Wasserkanister, mit dem anderen Fuß pumpt man Seife aus einem fest installierten Seifenspender in die Hände.
Prototyp soll in Serienproduktion gehen
Dr. Abebe Fanta, der Präsident des ATTC sagte mir dazu: “Der erste Prototyp funktioniert schon sehr gut. Wir wollen diesen aber noch etwas verbessern.” Dr. Abebe erzählte außerdem, dass geplant ist, diese Maschinen nicht nur an unser Büro in Addis Abeba zu liefern, sondern auch in die Projektgebiete von Menschen für Menschen. Nachdem der Finanzierungsplan und eine Materialauflistung fertig erstellt sind, kann die Produktion losgehen – und Hände waschen mit den Füßen wird vielleicht der neue Trend in Äthiopien.”
“Am Montagnachmittag war viel los bei uns im Büro: Recht kurzfristig gab uns die Regionalregierung von Oromia Bescheid, dass wir an diesem Nachmittag unsere zugesagten Hilfsgüter zur weiteren Verteilung ins Büro der Regionalregierung in Addis Abeba bringen können.
Muluneh gibt also sofort unseren Kollegen Bescheid, die Materialien auf einen LKW zu verladen. Leichter gesagt als getan. Immerhin steht in unserem Lager ein ganzer Frachtcontainer voll mit 6000 Gesichtsmasken, 1580 Flaschen Handdesinfektionsmittel und 2000 Flaschen Flüssigseife mit einem Gesamtwert von knapp 12.300 Euro, dessen Inhalt nun auf einen Lastwagen verladen werden muss.
Mit vereinten Kräften schleppen meine Kollegen die Kartons und Muluneh und ich versehen diese noch mit MfM-Stickern – damit auch klar ist, von wem die Materialien kommen. Die Sonne brennt an diesem Tag vom Himmel und für alle Beteiligten ist es furchtbar anstrengend. Glücklicherweise sind wir nach einer knappen Stunde fertig und machen uns auf den Weg zum Büro der Regionalregierung von Oromia.
Hilfsgüter im Stau von Addis Abeba
Scheinbar nutzt aktuell die Stadtverwaltung von Addis den derzeit verminderten Verkehr, um die Straßen in der Stadt zu erneuern oder auszubauen. Dies führt jedoch dazu, dass sich an diesen einzelnen Stellen ellenlange Staus bilden, in dem wir mit unserem Lastwagen stecken bleiben. Muluneh und ich werden schon etwas nervös, da wir Angst haben zu spät zu der Übergabe zu kommen. Nach einer weiteren Stunde haben wir es schließlich geschafft und erreichen das Oromia-Büro.
Das Bürogebäude ist recht neu und der dementsprechend geht der Fahrstuhl noch nicht. Muluneh und ich ächzen die Treppen hoch bis in den fünften Stock, um dort Dhaba Dabale, den Vorsitzenden der “Oromia Region Covid-19 Prevention Task Force”, über unsere Ankunft zu informieren. Ich denke mir, es wäre ein nettes Fotomotiv, wenn ich eine Kiste mit Desinfektionsmittel mitnehme, um diese dann stellvertretend für den ganzen LKW zu übergeben.
Die Hilfsbereitschaft ist groß
Im Büro von Herrn Dabale schaut dieser auf meine Kiste und bedankt sich recht herzlich für die Spende. Sofort korrigiert Muluneh ihn und sagt, dass auf dem Hof ein ganzer LKW voll beladen mit Materialien steht. Ein Assistent schaut aus dem Fenster und schlägt die Hände über dem Kopf zusammen: “Wir dachten, dass ihr nur die eine Kiste bringt! Soviel haben wir gar nicht erwartet! Wo sollen wir jetzt kurz vor Feierabend denn noch Leute finden, die uns helfen den Truck zu entladen?”
Die Lösung ist aber schnell gefunden. Wie so oft hier in Äthiopien ist die Hilfsbereitschaft untereinander groß und eine Gruppe Jugendlicher, die sich in der Nähe des Büros aufhalten, erklärt sich sofort bereit, den Truck mit Hilfsgütern zu entladen. “Das sind Materialien für unsere Mitmenschen. Selbstverständlich helfen wir da sofort”, sagt einer der jungen Männer. In Windeseile ist der LKW entladen und die Dankbarkeit und Erleichterung bei allen Beteiligten groß. Für uns kann der Feierabend kommen und für die Menschen in Oromia die dringend benötigte Hilfe zum Schutz vor Covid-19.”
“Dass die globale Pandemie sich auch auf den Welthandel auswirkt, spürt man auch hier in Äthiopien. Dies betrifft besonders die Waren, die aus dem Ausland eingeführt werden. Auch wenn die Auswahl geringer ist, findet man in den Supermärkten in Addis Abeba fast alles, was es auch in Europa zu kaufen gibt. Da diese Produkte aus Übersee kommen, versteht es sich von selbst, dass diese deutlich teurer sind als etwa in Deutschland. Mit der Ausbreitung von Covid-19 und den damit einhergehenden Verzögerungen im globalen Warenverkehr, mangelt es nun an vielen Produkten, die vorher gut erhältlich waren. Ich persönlich merkte dies, als es auf einmal bestimmte ausländische Hygieneartikel nicht mehr vorrätig gab oder sich der Preis für Parmesankäse fast verdoppelt hatte.
Heute habe ich mich im Büro mit den Kolleginnen und Kollegen über meine persönlichen Erkenntnisse ausgetauscht. Und auch sie berichteten mir, dass auch bei lokalen Produkten, etwa Teffmehl, deutliche Preissteigerungen zu spüren seien. Meine Kollegin Bahritu erzählte mir, dass sie in der Zeitung sehr viele Stellenausschreibungen für LKW-Fahrer gesehen habe. Das läge daran, dass viele Lastwagenfahrer Angst hätten, in das benachbarte Djibouti zu fahren. Dort liegt der nächste Hafen, über den Äthiopien seine Importe bezieht. „Allerdings hat sich das Coronavirus dort deutlich stärker ausgebreitet und die Gefahr, sich zu infizieren, ist höher als in Äthiopien,“ erzählt Bahritu.
Preissteigerungen auch im ländlichen Äthiopien
Aber auch in den ländlichen Regionen hat Covid-19 Auswirkungen auf den Binnenhandel. Berhanu Bedassa, unser Projektmanager in Ginde Beret und Abune Ginde Beret berichtete uns etwa, dass die Preise für Teff, Mais und Sorghum pro Zentner um bis zu 15 Prozent gestiegen seien.
Er erzählt mir, dass die Bauern Angst hätten auf den Wochenmarkt zu gehen, da die Großhändler aus Addis Abeba möglicherweise mit dem Coronavirus infiziert sein könnten. Daher blieben die Bauern lieber mit ihren Waren zu Hause, obwohl sie vergleichsweise gute Preise dafür erhalten würden, so Berhanu. Am Ende trifft es die Endverbraucher hier im Land, die für ihre Lebensmittel deutlich mehr zahlen müssen.”
“In dieser Woche hat Menschen für Menschen die erste Lieferung mit Hygieneartikeln und Desinfektionsmittel an die Regionalregierung von Harar übergeben. Damit ist unsere Organisation dem Aufruf von diversen Regionalregierungen gefolgt, sie im Kampf gegen die Ausbreitung Covid-19 zu unterstützen. Auch für die Regionen Amhara und Oromia bereiten wir gerade solche Hilfslieferungen vor.
Am Mittwoch vergangener Woche wurden die Materialien für Harar in Addis auf Pickups verladen und nun durch den Kanzler unseres Agro Technical and Technology College (ATTC), Dr. Nega Tolla, an die Regionalregierung in der Hauptstadt Harar offiziell übergeben.
Die Hilfe durch Menschen für Menschen kommt genau zum richtigen Zeitpunkt. Alleine in dieser Woche wurden im Osten Äthiopiens drei Personen positiv auf Covid-19 getestet, die sich zuvor in Puntland aufgehalten hatten. Puntland ist ein halbautonomer, international nicht anerkannter Staat innerhalb Somalias, der an den Osten Äthiopiens grenzt. Auch gibt es einige Infizierte in Dire Dawa, der größten Stadt im östlichen Äthiopien.
Gefahr durch Grenzgänger
Da es mich wunderte, warum es immer mehr Infektionen im Osten des Landes gibt, fragte ich meinen Kollegen Muluneh. „Die Grenze zwischen Somalia und Äthiopien ist fließend. Da es eine endlose Halbwüste ist, kann keiner wirklich kontrollieren, wer diese überquert.“, erklärte Muluneh, der in seiner beruflichen Karriere schon fast alle Ecken Äthiopiens kennengelernt hat.
Der politisch fragile Nachbarstaat Somalia hat laut Johns Hopkins Universität aktuell 928 bestätigte Fälle von Covid-19, weit mehr also als der große Nachbar Äthiopien. Die ethnische Gruppe der Somalis lebt grenzübergreifend und es herrscht ein reger Handel und Verkehr zwischen Somalia und dem östlichen Teil Äthiopiens.
Dies birgt natürlich die Gefahr, dass nicht nur Handelsgüter die Grenze überqueren, sondern auch Menschen mit Coronavirus. Deswegen ist es besonders wichtig, diese Region des Landes nicht aus dem Auge zu verlieren. Mit den übergebenen Materialien trägt unsere Organisation dazu bei, die gefährdeten Menschen in der Region Harar vor Covid-19 zu schützen.”
“Religion spielt im Leben der Menschen in Äthiopien eine überaus große Rolle und die jeweiligen religiösen Feste werden immer intensiv zelebriert. Sei es das orthodoxe Osterfest, welches vor drei Woche von den Christen im Land gefeiert wurde, oder nun der Fastenmonat Ramadan. Immerhin sind knapp 34 Prozent der Äthiopier muslimischen Glaubens. Wie das Osterfest ist auch der Ramadan in diesem Jahr stark durch Covid-19 beeinträchtigt. Daher habe ich mich gefragt, wie die Muslime in Äthiopien diesen wichtigen Fastenmonat in Zeiten der Pandemie verbringen?
Als ich heute im Büro war, habe ich direkt meine liebe Kollegin Bizu gefragt, wie es ihr ergeht. Bizu macht nicht nur den besten Kaffee von Bole Bulbula, sie ist auch immer für einen Scherz zu haben und wir lachen viel und gerne zusammen. Als ich mir dann meinen üblichen Morgenkaffee bei Bizu einschenke, kommen wir ins Gespräch über den Ramadan.
“Es ist schon alles anders als sonst. Wie alle Kirchen im Land ist auch unsere Moschee schon seit Ende März geschlossen. Wir beten nur noch zu Hause und ich vermisse das gemeinsame Freitagsgebet in der Moschee.”, erzählt Bizu, während sie eine neue Kanne Kaffee aufsetzt.
Lebensmittel und Geld für die ärmeren Familien
Ich frage sie, wie es nun während des Ramadans ist, wo eigentlich zum täglichen Fastenbrechen, dem “Iftar”, viele Menschen zusammenkommen und gemeinsam essen? Bizu sagt, dass sie und ihre Familie normalerweise während des Ramadans die Armen aus ihrem Viertel zum gemeinsamen abendlichen Fastenbrechen einladen.
“Jetzt können wir das natürlich nicht so machen. Es ist ja gerade nicht möglich, so viele Menschen auf einmal bei uns im Haus haben, weil das ja auch gegen die Regularien der Regierung verstößt. Daher haben wir uns im Viertel organisiert und verteilen Lebensmittel und etwas Geld an die ärmeren Familien in unserer Nachbarschaft, damit diese auch mit ihren Familien ‘Iftar’ zelebrieren können.”
Auf das Wesentliche besinnen
Während ich mir schon die zweite Tasse Kaffee gönne, erzählt mir Bizu, dass es beim Ramadan besonders darum geht, gemeinsam mit allen – egal ob reich oder arm – das Fasten zu brechen und sich wieder auf das Wesentliche zu besinnen. “Dass wir das in diesem Jahr nicht so feiern können wie sonst, ist sehr schade. Aber ich bete dafür, dass wir alle das gut und heil überstehen und nächstes Jahr alles wieder wie gewohnt stattfinden kann.”
Nach unserem Gespräch möchte ich noch ein Foto von Bizu machen und wir lachen wieder, weil sie sagt: “Henning, man sieht doch gar nichts von mir auf dem Bild!”
“Normalerweise sind innige Begrüßungen hier in Äthiopien sehr üblich. Als Zeichen des Respekts und der Freude wird aus einem Handschlag schnell eine innige Umarmung. In Zeiten von Covid-19 hat sich dies natürlich geändert – eine der ersten Präventivmaßnahmen hier im Land war das Verbot von Händeschütteln.
Da die Menschen aber trotzdem gerne ihre Respektbekundung zur Begrüßung beibehalten wollen, hat sich in den vergangen Wochen recht schnell eine neue Form der Begrüßung eingebürgert: Hand aufs Herz und eine kleine Verbeugung!
Eine der ersten, der diese neue Form der Begrüßung nutzte, war Takele, der Wächter auf unserem Grundstück. Jedes Mal, wenn wir uns seitdem sehen, begrüßen wir uns auf diese Weise. Ich finde dies sehr rührend und habe es daher heute kurz im Video für euch festgehalten:
“Das Projektgebiet Borena liegt knapp 600 Kilometer nördlich von Addis Abeba, seit 2011 betreibt Menschen für Menschen dort ein integriertes ländliches Entwicklungsprojekt. Der Hauptort Mekane Selam ist in den letzten neun Jahren von einer verschlafenen Ortschaft zu einer mittelgroßen Stadt mit rund 15.000 Einwohnern angewachsen.
Inzwischen gibt es dort eine Universität, eine Berufsschule und diverse Hotels, die die Stadt mit Leben füllen. Mich hat interessiert, wie die aktuelle Situation in kleinen und mittelgroßen Städten wie Mekane Selam ist und daher habe ich gestern unseren dortigen Projektmanager Adane Negus angerufen. Dieser war gerade auf den Rückweg von seinen Osterferien und fuhr von Addis Abeba nach Mekane Selam. Da das Handy am Ohr während dem Auto fahren in Äthiopien genauso verboten ist wie bei uns, hat er mich auf den nächsten Morgen vertröstet.
Polizei kontrolliert und misst Fieber
Heute morgen berichtete Adane mir dann, dass er während der zehnstündigen Autofahrt an diversen Checkpoints der Polizei vorbeikam. Dort wurde kontrolliert, ob er die vorgeschriebene Personenanzahl in seinem Fahrzeug einhält. Auch Überlandbusse fahren vereinzelt wieder von Addis aus durch das Land. Allerdings nur, wenn sie maximal die Hälfte der möglichen Passagiere mitnehmen und somit in dem Fahrzeug genügend Abstand zwischen den Fahrgästen ist.
Nach Mekane Selam geht die Strecke über den blauen Nil und eine steile Serpentinenpiste führt durch vertrocknete Schluchten bergauf in die Kleinstadt. Kurz vor dem Ortseingang, so berichtet Adane, gab es erneut einen Checkpoint. Hier wurde erneut die Anzahl der Passagiere überprüft und es wurde auch bei jedem Fieber gemessen. Ist die Körpertemperatur zu hoch, geht es direkt und ohne Umweg in die örtliche Quarantäneeinrichtung.
Mekane Selam ist in den letzten Jahren zu einer mittelgroßen Stadt angewachsen (Archivbilder)
Auf meine Frage, wo denn die Verdachtsfälle untergebracht werden, antwortet Adane, dass die derzeit geschlossene Universität zur Quarantänestation umfunktioniert wurde. Wer allerdings etwas mehr Komfort möchte und es sich leisten kann, der kann auf eigene Rechnung auch in eines der Hotels gehen, das ebenfalls für diesen Zeck umfunktioniert wurde. Adane sagt, dass sich aktuell 20 Personen in Mekane Selam in Quarantäne befinden.
Wochenmarkt auf die ganze Stadt verteilt
In einem meiner vorigen Tagebucheinträge habe ich über Tesfa berichtet, unseren stellvertretenden Projektmanager in Dano, der besorgt war, dass viele Menschen sich auf den Wochenmärkten tummeln. Adane hingegen erzählt, dass in der Stadt Mekane Selam der Wochenmarkt nicht mehr nur auf dem Marktplatz stattfindet, sondern die einzelnen Stände auf das ganze Stadtgebiet verteilt wurden, um die soziale Distanz besser zu wahren.
Wie überall in Äthiopien muss auch in Mekane Selam das Leben einigermaßen weitergehen, wenn auch mit der gebotenen Vorsicht. “Die Menschen sind zwar aufmerksam, aber nicht in Panik. Überall in der Stadt gibt es Handwaschgelegenheiten”, erzählt Adane. “Auch wir haben diese nicht nur am Eingang zu unserem Büro, sondern auch in unseren zahlreichen Baumschulen im Projektgebiet aufgebaut.””
“Gestern war ein besonderer Tag in meinem Corona-Äthiopien. Wie üblich in den vergangenen Wochen twitterte die äthiopische Gesundheitsministerin Dr. Lia Tadesse pünktlich um 13 Uhr das tägliche Covid-19-Update. Wie schon im Blog berichtet, erfahren wir, wie viele Menschen getestet wurden und wie viele Neuinfektionen es in den 24 Stunden zuvor gegeben hat.
Gestern kam die frohe Nachricht, dass es innerhalb von 24 Stunden erstmals keine neuen bestätigten Fälle im Land gab. So bleibt der aktuelle Stand bei 116 bestätigten Fällen.
Die tägliche, wirklich nüchterne und transparente Kommunikation der Gesundheitsministerin Lia Tadesse finde ich sehr hilfreich. Die ausgebildete Gynäkologin und Mutter ist gerade mal seit knapp mehr als einem Jahr im Amt und erlebt mit der globalen Corona-Pandemie eine ziemlich intensive Feuertaufe.
Natürlich gibt es immer eine Dunkelziffer, aber trotzdem habe ich den Eindruck, dass das Krisenmanagement und die rasch eingeleiteten Maßnahmen hier in Äthiopien eine schlimmere Ausbreitung des Virus soweit verhindert haben.
Corona-Testkapazitäten hochgefahren
Betrachtet man zum Beispiel Äthiopiens Nachbarstaat Djibuti, ist Lage prekärer: In dem Zwergstaat mit 959.000 Einwohnern gibt es laut Johns Hopkins Universität aktuell 986 bestätige Fälle von Covid-19. Das ist andererseits wenig überraschend, wenn man bedenkt, dass sich die Welt in Djibuti mit seinen Militär- und Handelshäfen sprichwörtlich die Klinke in die Hand gibt.
Auch bemerkenswert ist, wie Äthiopien in den letzten die Testkapazitäten hochgefahren hat. Beispielsweise konnten am 30. März gerade mal 66 Tests auf Covid-19 durchgeführt werden. Vorgestern waren es inzwischen innerhalb von 24 Stunden 965 Tests.
Riesiges Quarantäne-Zentrum in Addis
Aber sind die verhältnismäßig geringen Fallzahlen in Äthiopien ein Indikator dafür, dass das Schlimmste schon überstanden ist? Definitiv nicht. Wie ich berichtet habe, war vergangenes Wochenende das äthiopische Osterfest, die Menschen waren auf den Märkten einkaufen und haben gefeiert. Gut möglich, dass die Fallzahlen in den nächsten Wochen weiter ansteigen.
Gesundheitsministerin Tadesse twitterte kürzlich, dass die größte Veranstaltungshalle, die Millenium Hall in Addis Abeba, zu einem riesigen Corona-Quarantäne-Zentrum umfunktioniert wurde. Noch sind die ganzen Betten dort leer. Ich hoffe inständig, dass das auch so bleibt.
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Seit 1996 betreibt Menschen für Menschen neben den integrierten ländlichen Entwicklungsprojekten das Kinderheim “Abdii Borii” in Metu. Metu ist die Hauptstadt der Region Illubabor und liegt weit im Westen des Landes.
150 Kinder im Alter bis 17 Jahren haben dort ein neues Zuhause gefunden, in dem sie nicht nur eine Schulausbildung erhalten, sondern in ihren Betreuerinnen auch eine Zweitfamilie gefunden haben. Ich habe mich gefragt, wie das Kinderheim mit der Corona-Situation umgeht. Mein Kollege Muluneh hat daher bei Abebe Wolde, dem Leiter des Kinderheims, genauer nachgehakt.
TV-Unterricht in der Selbstisolation
Das Kinderheim hat sich sozusagen in die freiwillige Selbstisolation begeben, um Mitarbeiter und Kinder zu schützen. Wer von den Mitarbeitern in Abdii Borii entbehrlich ist, wurde nach Hause beziehungsweise ins Homeoffice geschickt. Auf dem Gelände des Kinderheims befinden sich nur Abebe Wolde, eine Krankenschwester, ein Fahrer, drei Köchinnen und pro Haus eine Betreuerin.
Wie überall in Äthiopien ist auch die hauseigene Schule vorerst geschlossen und die Lehrkräfte sind zu Hause. Damit den Kindern ohne Unterricht nicht langweilig wird, hat das äthiopische Fernsehen den Bildungsauftrag übernommen. Täglich werden Sendungen mit unterschiedlichen Bildungsinhalten ausgestrahlt.
Isolation so angenehm wie möglich gestalten
Es gibt im Kinderheim jedoch auch die schon etwas älteren Bewohner, die bereits auf weiterführende Schulen oder auf das College gehen. Wie die Schulen wurden auch die höheren Bildungseinrichtungen auf unbestimmte Zeit geschlossen. Die Jugendlichen, die eine Familie haben, sind dementsprechend nach Hause gegangen. Die Jugendlichen aus Abdii Borii sind zur Zeit 14 Tage in Quarantäne im Gästehaus auf dem Gelände des Kinderheims untergebracht.
Generell, meinte Abebe, sei die Stimmung in Abdii Borii den Umständen entsprechend gut und alle versuchen, den Kindern die Isolation so angenehm wie möglich zu gestalten. “Abdii Borii” bedeutet auf Oromifa übrigens “Hoffnung auf morgen”. Ein Leitspruch, den wir uns alle in dieser Zeit zu Herzen nehmen sollten.
“43,5 Prozent aller Äthiopier sind orthodoxe Christen, für sie ist Ostern das wichtigste religiöse Fest des Jahres. Mit dem gestrigen Ostersonntag endete die knapp zweimonatige Fastenzeit, in der sich die Gläubigen ausschließlich vegan ernähren. An Ostern wird das Fasten gebrochen und die, die es sich leisten können, kommen mit der ganzen Großfamilie zusammen und feiern ausgiebig.
Es ist nicht unüblich, ein Schaf, eine Ziege oder als ganze Nachbarschaft sogar einen Ochsen zu schlachten. Was aber bei keinem äthiopischen Osterfest fehlen darf, ist “Doro Wot”. Ein scharfer Hühnereintopf, der zusammen mit dem traditionellen Brot “Injera” gegessen wird. Wenn man üblicherweise am Ostersonntag durch Addis läuft, fällt nicht nur auf, dass die Menschen sich in ihrer besten Festtagskleidung herausgeputzt haben, sondern dass sie diesen so wichtigen Tag in vollen Zügen genießen.
Polizisten vor geschlossenen Kirchentoren
Anders in diesem Jahr. Die mehr als 100 bestätigten Infektionen durch Covid-19 in Äthiopien hatten die Regierung dazu veranlasst, die Bevölkerung zu ermahnen, das diesjährige Osterfest im kleinen Kreis daheim zu feiern. Dass diese Mahnung nicht nur eine Floskel war, sah ich am Karfreitag, als ich durch die Stadt fuhr: Vor jeder Kirche standen Polizisten und die sonst immer geöffneten Kirchentore waren verschlossen. Stattdessen wurde der Gottesdienst im Fernsehen übertragen.
Ein anderes Bild auf dem Markt: Ich fuhr an einem der größeren Wochenmärkte vorbei und war überrascht, wie viele Menschen dabei waren, ihren Ostereinkauf zu erledigen. Auf den Bürgersteigen wurden Hühner, Ziegen und Gemüse angeboten. Es ist klar, dass dabei die Abstandsregeln nicht immer eingehalten werden können. Doch anders als in Europa kann man hier nicht einfach in den Supermarkt gehen, um für die Feiertage einzukaufen.
Ruhiger Ostersonntag in Addis
Das Leben eines Großteils der äthiopischen Bevölkerung ist im Alltag nicht einfach geschweige denn besonders komfortabel, sondern von vielen Hürden und Unannehmlichkeiten gekennzeichnet. Das Osterfest ist davon eine der wenigen Ausnahmen.
Trotzdem hielten sich die Menschen zum größten Teil an die Vorgabe, die Feierlichkeiten am Ostersonntag nur im kleinen Familienkreis zu begehen. Am Ostersonntag war es wie erwartet sehr ruhig in Addis. Hier und da gingen Leute in Festtagskleidung spazieren, Autos waren kaum unterwegs.
"Corona kann uns das nicht nehmen"
Ich war überrascht, dass der kleine Kiosk in meiner Straße geöffnet hatte. Surafel, der Besitzer, saß dort mit seinen Kumpels und trank das selbstgebraute Bier “Tella”. Da Gastfreundschaft in Äthiopien ein hohes Gut ist, konnte ich sein Angebot, ein Glas von dem Gebräu zu trinken, nicht ablehnen.
Surafel erzählte mir, dass seine Frau bei ihrer Familie Ostern feiert, und dass es das erste Mal in ihrer Ehe ist, dass sie nicht zusammen Ostern feiern. “Wir in Äthiopien sind sehr gläubige Menschen und Ostern ist das wichtigste Fest des Jahres”, sagte mir Surafel. “Das Coronavirus kann uns das nicht nehmen.” Und sein Kumpel Fekadu pflichtete ihm bei: “Anstatt mit der Großfamilie und mit allen Freunden feiern wir dieses Jahr im kleinen Kreis. Aber Corona kann uns nicht besiegen, denn Gott ist auf unserer Seite!”
Seit dem ersten Fall von Covid-19 in Äthiopien am 12. März ist nun etwas mehr als ein Monat vergangen. Inzwischen haben wir 85 bestätigte Fälle und es ist zu erwarten, dass die Zahlen weiter steigen werden. Jedem hier im Land ist bewusst, dass eine Masseninfektion wie in vielen anderen Ländern unbedingt vermieden werden muss. Um den Menschen Hygiene und die Wichtigkeit von sozialer Distanz im ganzen Land bewusst zu machen, braucht es vor allem eines: Aufklärung.
Ich war ziemlich überrascht darüber, dass Ethiotelecom, der staatliche und einzige Mobilfunkanbieter, schon in der ersten Woche von Corona in Äthiopien eine simple aber geniale Idee hatte, um auch in den tiefsten Winkel dieses Landes jeden über Covid-19 zu informieren. Bei jedem Telefonanruf – egal ob mobil oder Festnetz – wurde das klassische Freizeichen durch eine automatische Ansage auf Amharisch ersetzt, die über Symptome von Covid-19, Prävention und Hilfe über informiert.
Corona-Aufklärung per Megafon
Aber natürlich reicht das nicht, denn besonders in ländlichen Gebieten, gibt es auch viele Menschen die kein Mobiltelefon besitzen. Ich habe aus dem MfM-Projektgebiet Abune Ginde Beret ein Video geschickt bekommen, das zeigt, wie einer meiner Kollegen mit einem Megafon durch eine ziemlich leere Ortschaft läuft und über Coronavirus informiert. Als ich mir dieses Video zum ersten Mal ansah, war ich wirklich überrascht darüber, wie leer die Straßen Ort ist. Es scheint so, dass das Motto #stayathome in Abune Ginde Beret ziemlich ernst genommen wird.
Anders sieht es offenbar im Projektgebiet Dano aus. Gestern rief ich den stellvertretenden Projektmanager Tesfa an und er erzählte mir, dass gestern mal wieder Markttag in Ijaji war und es wie gewohnt prall gefüllt mit Bauern aus der gesamten Region war. Diese Menschen können auf ihre oft einzige Einkommensquelle kaum verzichten.
Ostern ohne Ochsen
An diesem Freitag beginnt hier in Äthiopien das orthodoxe Osterfest, einer der höchsten Feiertage und normalerweise Anlass, Familie und viele Freunde zu treffen und zusammen zu feiern. Zusammenkünfte mit mehr als vier Personen sind durch den in der letzten Woche verhängten Ausnahmezustand jedoch verboten. In Addis werden Zuwiderhandlungen gegen die neuen Versammlungsverordnungen mit hohen Geldstrafen und bis zu drei Jahren Gefängnis bestraft.
Die Äthiopier, mit denen ich mich in letzten Tagen unterhalten habe, meinten, dass sie dieses Osterfest nur im engsten Kreis der Familie feiern werden. Es werden nicht wie sonst Ochsen geschlachtet und auch die Großfamilie wird nicht zusammenkommen. So ein Osterfest gab es meines Wissens noch nie in der äthiopischen Geschichte. Ich werde euch am Montag dann meine Eindrücke schildern.
Seit meinem letzten Tagebucheintrag ist nun eine Woche vergangen. Ich hatte geplant, mich mit einigen Freiwilligen zu treffen, die Hilfe für Bedürftige in der Coronakrise organisieren. Ich hatte viel darüber gehört, wie sich auch hier in Äthiopien Nachbarschaftshilfen organisieren und Spenden für die Menschen sammeln, die schon ohne Corona um das tägliche Überleben kämpfen müssen.
Ich war in Kontakt mit einer Gruppe von Jugendlichen, die sich selbst organisiert hatten, und wir hatten geplant uns am vergangenen Donnerstag für ein Interview zu treffen. Sie riefen mich an und meinten, dass sie sehr beschäftigt seien und sich gerne am darauffolgenden Freitag mit mir treffen wollen. Jedoch wurden unsere Pläne endgültig über den Haufen geworfen, als die äthiopische Regierung am Freitagnachmittag den landesweiten Ausnahmezustand ausrief.
Seit letzter Woche gilt der landesweite Ausnahmezustand
Jedoch wurden unsere Pläne endgültig über den Haufen geworfen, als die äthiopische Regierung am Freitagnachmittag den landesweiten Ausnahmezustand ausrief. Das kam nicht weiter überraschend, denn die meisten hier hatten die Befürchtung, dass dies auf Grund der immer weiter steigenden Fallzahlen sehr bald passieren würde. Jedoch führte diese Ankündigung auch dazu, dass die Freiwilligen unser Treffen wieder absagten.
Am Freitag und am Samstag war noch ziemlich unklar, welche neue Regelungen der Ausnahmezustand genau beinhaltet. Viele waren besorgt, ob nun die Ausgangssperre kommt. Erst am Sonntagabend gab es für mich Klarheit, als die Deutsche Botschaft eine Übersetzung der Regelungen an alle Deutschen in Äthiopien verschickte.
Keine Treffen mit mehr als vier Personen
Bis auf weiteres ist für die nächsten fünf Monate ein Regelkatalog in Kraft, aus dem ich ein paar Punkte vorstellen möchte:
- Jegliche Art von Treffen mit mehr als vier Personen sind untersagt
- Händeschütteln ist verboten
- Es ist verpflichtend, im öffentlichen Raum einen Mundschutz zu tragen. Dabei sind auch Eigenkreationen erlaubt – solange man nur etwas vor dem Mund hat
- Öffentliche Verkehrsmittel und Privatfahrzeuge dürfen nur noch mit maximal der Hälfte der möglichen Passagiere besetzt sein
- Kinos und sonstige Unterhaltungseinrichtungen bleiben geschlossen
- Vermieter dürfen die Miete nicht erhöhen und Arbeitnehmer wegen Covid-19 nicht entlassen werden
Das Lächeln ist noch zu sehen
Diese Liste geht noch weiter mit mehr administrativen Regelungen. Der von vielen befürchtete Lockdown tritt nach diesem Papier nicht ein – trotzdem fühlt es langsam danach an. Addis wirkt seit diesem Wochenende immer mehr wie eine Geisterstadt. Heute musste ich kurz ins Büro fahren und war überrascht, dass entlang der Stadtautobahn, wo sich sonst viele Fußgänger aufhalten, kaum Leute unterwegs waren.
Mir ist jedoch aufgefallen, dass überall in der Stadt nun Hinweisschilder hängen, die über das Coronavirus aufklären. Bei meinen vereinzelten Interaktionen mit den Menschen hier fand ich es trotz allem sehr schön zu sehen, dass man das Lächeln der Leute auch unter einer FFP-2-Maske noch sehen kann.
“Inzwischen haben wir uns alle hier in Addis an die täglichen Tweets oder Postings auf Facebook der äthiopischen Gesundheitsministerin Dr. Lia Tadesse gewöhnt, in der sie über den aktuellen Stand der Neuinfektionen berichtet. Es wird immer erwähnt, wie alt die jeweiligen PatientInnen sind, ob sie eine Reisegeschichte ins Ausland vorweisen und ob sie Kontakt mit bereits bestätigten Infizierten hatten. Bei den bisherigen Infektionen war es bis jetzt immer der Fall, dass diese Infektionskette zurückverfolgt werden konnte.
Die Lage wird ernster
Das änderte sich gestern mit Fall Nummer 44: Bei der 65 Jahre alten Frau aus Dukem, einer kleinen Stadt 37 km südlich von Addis Abeba, konnte weder eine Reisegeschichte, noch der Kontakt mit einer bereits bestätigten Infektion nachgewiesen werden. Somit hat Äthiopien nun den ersten offiziellen Fall von COVID-19 unabhängig der bereits bekannten Infektionsketten. Was bedeutet das für Äthiopien? Es bedeutet, dass die Lage ernster wird und dass der Virus sich schon weiter als bekannt hier im Land ausgebreitet hat.
Jetzt ist jeder Tag Weltgesundheitstag
Der Zufall will es, dass heute Weltgesundheitstag ist. Wenn ich mir jedoch unsere aktuelle Situation seit Jahresbeginn anschaue, habe ich das Gefühl, dass inzwischen jeder Tag Weltgesundheitstag ist. Hier in Äthiopien wird vor allem vermehrt spürbar, dass der Virus längst nicht mehr nur auf Addis Abeba begrenzt ist. Die letzten Infektionen zeigen, dass er inzwischen auch schon in den ländlichen Gebieten angekommen ist. Dort wo die Gesundheitsversorgung deutlich schlechter ist und wo es an vielen einfachen Dingen mangelt um dem Virus Einhalt zu bieten.
Es mangelt an Grundlegendem
In Deutschland beispielsweise gibt es aktuell ca. 25.000 Beatmungsgeräte, welche insbesondere für ältere PatientInnen überlebenswichtig sein können. Im Gegensatz dazu hat Äthiopien mit seinen mehr als 100 Millionen Einwohnern nur 435 von solchen wichtigen Beatmungsgeräten. Auch mangelt es besonders im ländlichen Raum an Schutzanzügen, Atemschutzmasken und Medikamenten.
Menschen für Menschen hat daher die dringend notwendige Soforthilfe gestartet, um die mehr als 1 Million Menschen in unseren Projektgebieten – so gut wie es nur möglich ist – vor der sich immer weiter ausbreitenden Pandemie zu schützen. Es geht nicht nur um Schutzausrüstung und Medikamente, sondern auch um Hygienetrainings und sauberes Wasser.
Unsere Soforthilfe gegen eine weitere Verbreitung in Äthiopien
Ich habe diesen Blog vor knapp zwei Wochen angefangen, um die Menschen in Deutschland und Österreich über die Situation hier in Äthiopien auf dem Laufenden zu halten. Doch heute, am Weltgesundheitstag, bitte ich die Leserinnen und Leser dieses Tagebuchs sich vor Augen zu führen, dass mit einem kleinen Betrag hier in Äthiopien schon viel geleistet werden kann. Vielen Dank fürs Lesen und für Ihre Unterstützung unserer Arbeit für die Menschen hier in Äthiopien!
Hier geht’s zu unserer Corona-Soforthilfe-Aktion!
Mir ist es in diesem Tagebuch immer ein wichtiges Anliegen, auch die Situation in den Projektgebieten von Menschen für Menschen zu schildern. Hier in Addis hat man inzwischen das Gefühl, dass sich der Großteil der Menschen mit der neuen Situation und den entsprechenden Auswirkungen soweit wie möglich arrangiert hat. Doch wie ist die Lage im ländlichen Äthiopien? Wie bereits erwähnt, sind Hygiene und soziale Distanz dort in vielerlei Hinsicht schwer umzusetzen. Die Projektgebiete Ginde Beret und Abune Ginde Beret liegen ca. 180 km nordwestlich von Addis Abeba. Der Hauptort von Ginde Beret ist Kachisi mit ca. 14.000 Einwohnern und daher interessiert mich sehr, wie die aktuelle Situation in solch einer Kleinstadt und den umliegenden Dörfern ist. Ich rufe also unseren Projektmanager vor Ort, Berhanu Bedassa an, und es klingelt nicht lange bis er den Hörer abnimmt:
Hallo Berhanu, wie geht es dir und unseren KollegInnen? Wie gehen sie persönlich mit dieser Situation um?
Welche Maßnahmen bei der Arbeit in den Dörfern habt ihr intensiviert, um auch dort die Menschen aufzuklären?
Wir haben unsere EntwicklungsberaterInnen und SozialarbeiterInnen darauf angewiesen, auf Gemeindeebene zusammen mit einflussreichen Personen, wie Bürgermeister, Ältestenräte oder religiösen Vertretern, ein Bewusstsein für Covid-19 bei den Menschen zu schaffen. Dieses Bewusstsein versuchen alle MitarbeiterInnen und auch ich persönlich bei den Menschen zu stärken.
Zusätzlich haben wir Präventionsmaterial an alle Gesundheitszentren und an das Krankenhaus in Kachisi verteilt.
Wir haben auch Informationsposter drucken lassen und diese an die Leute verteilt. Um mit gutem Beispiel voran zu gehen, haben wir zusätzlich alle Trainings oder sonstige Zusammenkünfte abgesagt. Wir raten den Menschen auch, andere Zusammenkünfte erst einmal zu meiden.
Ist den Menschen in Kachisi bewusst, dass Covid-19 sehr gefährlich sein kann?
Den Menschen hier ist das sehr bewusst. Sie haben davon entweder bereits im Fernsehen, im Radio oder einige wenige auch bei Facebook gelesen beziehungsweise gehört. Also aus den Medien, aus denen sie ihre tagtäglichen Informationen beziehen. Aber auch die Bezirksverwaltung und andere Regierungsbehörden versuchen die Menschen über das Coronavirus aufzuklären.
Was wissen die Menschen in Kachisi über die Covid-19-Situation in Europa und den Rest der Welt?
Den Leuten hier ist die weltweite Lage durchaus bewusst.
Und was ist mit den Leuten, die in den besonders entlegenen Dörfern wohnen?
Auch die wissen wie die Lage in Äthiopien und in Europa ist. Faszinierenderweise berichtet die Bevölkerung, egal ob hier in Kachisi oder in einem abgelegenen Dorf, dem Gesundheitsamt im Bezirk, wenn Neuankömmlinge ankommen. So können diese erst einmal isoliert und ihre gesundheitliche Entwicklung beobachtet werden. Es gibt aktuell einige Leute, die aus den arabischen Ländern nachhause kamen, sich in Quarantäne begaben und noch unter Beobachtung des Gesundheitsamts stehen.
Was sind denn die Hauptpräventivmaßnahmen, die von den Menschen in Kachisi und in den Dörfern getroffen werden, um eine Ansteckung durch Covid-19 zu vermeiden?
Alle Menschen, egal ob in den städtischen oder ländlichen Gebieten, waschen sich regelmäßig die Hände. Gerade jetzt zeigt sich, wie wichtig es ist, in den entlegenen Dörfern durch den Bau von Brunnen den Zugang zu sauberem Wasser zu sichern. Die Menschen haben außerdem ihre physischen Kontakte, wie zum Beispiel Händeschütteln, sehr stark minimiert. Allerdings muss vor allem die soziale Distanz der Leute noch stärker umgesetzt werden.
In Österreich sind seit dieser Woche Atemschutzmasken bei Besuchen im Supermarkt verpflichtend, in Deutschland wird die Bedeutung der Masken im Alltag immer stärker diskutiert. Einzelne Städte wie Jena sind bereits mit jeweiligen Verordnungen vorgeprescht, von meiner Familie und Freunden aus Deutschland höre ich aber, dass ihnen noch nicht so viele Menschen mit Schutzmasken im Alltag begegnen.
Sicherlich bieten die meisten Masken keinen hundertprozentigen Schutz vor COVID-19, jedoch ist der massenpsychologische Effekt als Zeichen des Bewusstseins für den Ernst der Lage und auch der Höflichkeit unbestreitbar. Die Maske zeigt, dass ich mich und andere schützen will, auch wenn ich keinerlei Symptome habe.
Bei meinen selten gewordenen Gängen durch die Stadt ist mir aufgefallen, dass hier in Addis bereits erstaunlich viele Menschen eine Atemschutzmaske oder wenigstens ein Tuch tragen. Sicherlich werden hier in Äthiopien diese Masken länger als vom Hersteller angegeben getragen. Trotzdem wird das wichtige Signal gesendet, dass die Menschen sich bemühen, den Virus nicht zu verbreiten. Es entsteht ein positiver Gruppenzwang.
Kritisch beäugt ohne Atemschutzmaske
Als ich heute im Supermarkt bei mir im Viertel war, war ich einer der Wenigen, die keine Maske trugen. Dementsprechend waren die Reaktionen der Leute: Ich wurde von Kunden und Supermarktmitarbeitern kritisch beäugt und einige machten sogar einen großen Bogen um mich. Ein unangenehmes Gefühl.
Ich fühlte mich schlecht und versuchte so schnell wie möglich meinen Einkauf zu beenden und das Weite zu suchen. Ich werde heute noch versuchen, mir über Bekannte eine eigene Atemschutzmaske zu organisieren, damit mir für die Zukunft unangenehme Szene wie diese erspart bleiben.
Not macht bekanntlich erfinderisch oder anders formuliert: Eine außergewöhnliche Situation erfordert außergewöhnliche Lösungen. Das dachte sich auch Yosef Arka. Der 29-Jährige studierte erfolgreich Maschinenbau an einem TVET, also einem technischen Berufsbildungszentrum, und hatte bis vor Kurzem noch seinen eigenen kleinen Metallfertigungsbetrieb. Jedoch hat sich auch für ihn die Auftragslage in der letzten Woche zunehmend verschlechtert.
In dieser misslichen Lage machte er jedoch folgende Beobachtung: Er sah, dass die Straßenreinigungskräfte, Schuhputzer, Polizistinnen und Polizisten täglich auf den Straßen von Addis mit vielen unterschiedlichen Menschen zu tun haben. Ihm wurde klar, dass diese Berufsgruppen einer besonderen Ansteckungsgefahr durch COVID-19 ausgesetzt sind. Da kam ihm die Idee, wie er seinen Mitmenschen helfen kann.
Mobile Handwaschanlage für 150 Menschen
Die Lösung ist simpel aber genial: Im Kofferraum seines Kleinwagens verbaute er einen Wasserkanister und durch eine Rohr wird das Wasser durch die Heckklappe geleitet. Außen an den Kofferraum installierte er ein simples Waschbecken, an dem auch sein Nummernschild befestigt ist. Es muss ja immerhin auch alles seine Ordnung haben.
Außen an den Kofferraum installierte er ein simples Waschbecken, an dem auch sein Nummernschild befestigt ist. Es muss ja immerhin auch alles seine Ordnung haben. An den Seiten des Waschbeckens gibt es noch Halterungen für Seife und Desinfektionstücher und schließlich leitet ein Abflussrohr das Abwasser auf die Straße.
Fertig ist die mobile Handwaschanlage, mit der Yosef nun durch die Straßen von Addis Abeba fährt! Mit einem vollen Wassertank können sich somit 150 Menschen die Hände waschen.
Yosef will seinen Mitmenschen helfen, nicht Geld verdienen
Yosef verlangt von seinen “Kunden” kein Geld für diese Dienstleistung. Wer aber die gleiche Vorrichtung an seinem Auto durch Yosef installieren lassen will, bezahlt ihm dafür 1000 Birr (rund 30 Euro). Yosef ist es jedoch wichtig, mit seiner Innovation keinen Gewinn zu machen: “Die 1000 Birr sind nur die reinen Materialkosten. Ich will meinen Mitmenschen etwas Gutes tun und mich daran nicht bereichern.”
Inzwischen hat er sogar vom äthiopischen Gesundheitsministerium die offizielle Erlaubnis, seine mobile Handwaschanlage auf den Straßen von Addis von jedem nutzen zu lassen. “Mein größter Wunsch wäre, wenn so viele Autobesitzer wie möglich sich diese Vorrichtung an ihrem Fahrzeug installieren und damit auf den Parkplätzen ihren Mitmenschen helfen würden.”
“Während ich mein zweites Wochenende in Quarantäne verbracht habe, hat sich die Lage in Äthiopien weiter verschärft. Mittlerweile gibt es hier 23 bestätigte Fälle von COVID-19, sieben mehr als noch am Freitag. In der 100 Kilometer südlich von Addis gelegenen Stadt Adama sind drei Fälle aufgetreten, was die Regierung am Wochenende dazu veranlasste, diese Stadt abzuriegeln.
In Addis selbst gab es am Wochenende zum ersten Mal gespenstische Szenen, wie man sie bisher nur aus Europa oder den USA kannte: ausgestorbene Straßen, kaum Fußgänger und geschlossene Geschäfte. Einen besonders bizarren Moment erlebte ich, als ich am Samstag tanken fahren wollte. Entlang der Bole Road, eine der wichtigsten Hauptstraßen in Addis, waren auf der rechten Spur überall Fahrzeuge geparkt.
Lange Schlangen vor den Tankstellen
Das ganze Bild ergab für mich zunächst keinen Sinn, da sonst kaum Autos oder Menschen unterwegs waren. Erst nach einer Weile bemerkte ich, dass all diese Fahrzeuge für die Tankstelle anstanden. Ich würde den Stau auf knapp einen Kilometer schätzen. Ich dachte mir, dass ich mein Glück in einem anderen Stadtteil versuche.
Doch auch dort ergab sich das gleiche Bild: Hunderte Meter lange Schlangen an Autos, die an einer Tankstelle anstanden. Es scheint so, als sei für die Äthiopier Benzin was Klopapier für die Europäer ist. Ich blickte auf meine Tankanzeige und beschloss, dass dieser zu einem Viertel volle Tank nun erstmal reichen muss und kehrte wieder nach Hause zurück.
Angst vor dem Lockdown
Ich erkundigte bei meinen äthiopischen Bekannten und diese erklärten mir, dass die Menschen Angst davor haben, dass in den nächsten Tagen die Tankstellen schließen könnten oder dass auf Grund der geschlossenen Landesgrenzen kein Benzin mehr in das Land kommt.
Ob diese Angst begründet ist, bleibt fraglich, da Tankstellen definitiv als “systemrelevant” zu sehen sind. Nichtsdestotrotz zeigt es, dass die Menschen Angst vor einem möglicherweise kommenden Lockdown haben und sich auf alle Eventualitäten vorbereiten.”
“In Deutschland und vielen anderen Ländern, die stark vom Coronavirus betroffen sind, wird zurzeit darüber gerätselt, welche langfristigen wirtschaftlichen Folgen die Pandemie haben wird. Mit dieser Sorge ist Europa nicht alleine, denn auch Äthiopien steuert schrittweise immer mehr auf einen Lockdown zu. Durch zahlreiche Crowdfunding-Kampagnen sehen wir in Deutschland gerade, dass es ziemlich schnell gehen kann, bis ein Unternehmen von den Auswirkungen des Virus in die Knie gezwängt wird.
Die Ersten, die es hier in Äthiopien traf, waren vergangene Woche die Nachtclubs und Bars, die auf Anordnung der Regierung sofort schließen mussten. Einige Restaurants, wie meine Lieblingspizzeria, arbeiten nur noch im Lieferdienst oder für Selbstabholer. Es ist sind aber nicht nur die Gastronomiebetriebe hier in Addis, die die Folgen von COVID-19 aktuell zu spüren bekommen.
Geschäfte und Straßen verwaist
Meine Freundin Maggi beispielsweise betreibt mit ihren Geschwistern einen Großhandel für Bürobedarf. Zu ihren Kunden zählen vor allem Regierungsbüros und NGOs, die der kleine Betrieb mit Büroartikeln versorgt. Da seit gestern alle Regierungsbüros und Ministerien so gut wie geschlossen sind bzw. sich die Mitarbeiter im Home Office befinden kommen keine neuen Aufträge mehr rein.
“Seit Anfang der Woche tut sich gar nichts mehr. Es klingelt weder das Telefon, noch kommt jemand vorbei um eine Großbestellung in Auftrag zu geben”, erzählt mir Maggi. Sie schickt mir ein Foto von der Straße, in der ihr Geschäft ist. Diese Gegend ist normalerweise der Ort in Addis, wo jedes Unternehmen sich bei den Händlern mit Büroartikeln, Computern oder sonstigen technischen Geräten ausstattet. Die Straße ist wie leergefegt.
Maggi berichtet, dass sie nächste Woche das Geschäft so gut wie zu machen werden. Ein bis zwei Mitarbeiter werden da sein, falls doch noch Kundschaft kommen sollte. Ich frage sie, wie lange sie das als kleines Unternehmen ohne große Aufträge durchhalten können: “Wir haben genügend Kapital um uns für etwa zwei Monate über Wasser zu halten. Danach wird es auch für uns kritisch.” Maggi erzählt, dass sie aber auch von anderen Geschäften gehört hat, die kaum Rücklagen haben und denen jetzt schon durch diese knapp zwei Wochen das Wasser bis zum Hals steht.
Auch Ethiopian Airlines von Corona bedroht
Es sind aber nicht nur die kleinen und mittelständischen Unternehmen, die durch diese Krise bereits in ihrer Existenz bedroht sind. Auch Ethiopian Airlines, die größte Fluggesellschaft Afrikas, musste bereits ihren Flugplan um 30 Destinationen kürzen. Fast 14.000 Mitarbeiter arbeiten für diese Fluglinie, sie ist für Äthiopien noch vor dem Kaffeeexport die wichtigste Quelle für dringend benötigte Devisen. Fallen diese Devisen weg, wird es für Äthiopien noch schwieriger Waren aus dem Ausland zu importieren.
Diese Eindrücke verheißen für ein schon vor COVID-19 wirtschaftlich schwaches Land wie Äthiopien nichts Gutes. Es wird wohl für die Regierung hier kaum möglich sein einen Rettungsschirm aufzuspannen, wie es in Deutschland für bedrohte Existenzen geplant ist. Daher könnten die wirtschaftlichen Folgen für Äthiopien weitaus verheerender sein als das Virus an sich.”
“Nachdem ich mich die vergangenen Tage meistens voller Zweifel über die hier in Äthiopien durchgeführten Präventionsmaßnahmen geäußert hatte, wurde ich heute Morgen eines Besseren belehrt. Ich war gerade dabei vom Supermarkt nach Hause zu fahren, als mir an einer großen Kreuzung auffiel, dass die Verkehrspolizei gezielt die Minibusse rauswinkte. Die Tür jedes Busses wurde geöffnet und ein Beamter in voller “Anti-Corona-Montur” schaute sich das Fahrzeug von innen an. Da ich selber im Auto saß, konnte ich nur kurz erblicken, wie einzelne Fahrgäste das scheinbar überfüllte Vehikel verlassen mussten.
Wieder daheim wollte ich mir noch einmal ein Bild der Lage machen und bin an die große Hauptstraße nah meines Hauses gegangen. Ich beobachtete für eine Weile das für Addis-Verhältnisse entspannte Verkehrsgeschehen. Und tatsächlich: Die Minibusse waren längst nicht so überfüllt wie ich dachte. Fast zwischen jedem Fahrgast war ein Sitzplatz frei. Langsam bekomme ich das gute Gefühl, dass die Menschen den Ernst der Lage verstanden haben und sehen, dass Händewaschen und soziale Distanz nur zusammen ein wirksames Mittel gegen COVID-19 sind.
Das Händewaschen wird einem übrigens auch immer leichter gemacht. Um die Verbreitung des Coronavirus zu stoppen, gibt es mittlerweile in ganz Addis Abeba entsprechende öffentliche Stationen. An Bushaltestellen, Bahnhöfen, Taxiständen oder öffentlichen Plätzen stehen Wasser und Seife bereit. So auch vor unserem Project Coordination Office (PCO) – wer das Büro betritt, egal ob Mitarbeiter oder Besucher, muss sich davor gründlich die Hände waschen.”
In den letzten Tagen habe ich nur über die Situation in Addis berichtet. Da ich heute mal wieder im Büro bin, konnte ich der spannenden Frage auf den Grund gehen, wie die Menschen in den ländlichen Gebieten Äthiopiens mit der aktuellen Situation umgehen. Immerhin leben rund 80 Prozent der Menschen hier auf dem Land.
Also nehme ich den Telefonhörer in die Hand und rufe unseren stellvertretenden Projektmanager Tesfa in unserer Projektregion Dano an. Dano liegt etwa 250 Kilometer westlich von Addis, in der dort liegenden Kleinstadt Ijaji hat Menschen für Menschen ein Projektbüro.
Kaum Schutzmasken erhältlich
Ich frage Tesfa nach seinen Eindrücken und er berichtet, dass auch im ländlichen Äthiopien längst die Angst vor Corona Einzug gehalten hat. “Hier in Ijaji verzichten die meisten Menschen inzwischen auf den üblichen Handschlag und vor Banken und öffentlichen Gebäuden muss man sich die Hände waschen. Die Leute versuchen in Ijaji etwas distanzierter miteinander umzugehen. Auch jeder Besucher in unserem Büro muss sich am Eingangstor gründlich die Hände waschen und mit Alkohol desinfizieren”, sagt Tesfa.
Außerdem erzählt er, dass kaum jemand eine Gesichtsmaske trägt. Das liegt aber daran, dass diese selbst in Addis inzwischen kaum noch erhältlich sind. Es ist also nicht verwunderlich, dass im ländlichen Raum gar keine Schutzmasken zu bekommen sind.
Für viele ist Corona noch eine weit entfernte Bedrohung
Mehr Sorgen macht sich Tesfa wegen der Menschen aus den umliegenden Dörfern. Diese gingen mit der Situation nochmal ganz anders um als die Menschen in Ijaji: “Am Samstag war hier in Ijaji der große Wochenmarkt. Aus allen Dörfern sind die Menschen in den Ort geströmt um ihre Waren zu verkaufen. Es war ein großes Gewusel und ich hatte das Gefühl, dass den Leuten vom Land der Coronavirus ziemlich egal ist”, berichtet mir Tesfa am Telefon. Es scheint, dass für viele Menschen auf dem Land COVID-19 immer noch eine surreale, weit entfernte Bedrohung ist.
Tesfa hingegen macht sich große Sorgen: “Meine Familie wohnt in Addis und sie verlassen das Haus nur zum Einkaufen. Wenn es hier auf dem Land zu Infektionen kommen sollte, wird das in einer Katastrophe enden, mit furchtbaren Folgen für die Menschen in den ländlichen Regionen.”
“Spätestens als am Donnerstagabend von der äthiopischen Regierung verkündet wurde, dass alle Bars und Nachtclubs wegen der Corona-Krise auf unbestimmte Zeit schließen sollen, wurde mir endgültig klar, dass die kommenden Wochenenden etwas ruhiger sein werden. Das Wochenende zuvor war ich noch bei einer kleinen Gartenparty bei Freunden eingeladen. Schon zu diesem Zeitpunkt war uns bewusst, dass dies unser letztes Zusammentreffen in großer Runde für eine unbestimmte Zeit sein wird.
Inzwischen haben wir in Äthiopien elf bestätigte Fälle und es ist zu erwarten, dass die Zahl weiter steigen wird. Das liegt unter anderem daran, dass Jack Ma, der reichste Mann Chinas, 10.000 Testkits an Äthiopien gespendet hat und diese am Sonntag hier in Addis eingetroffen sind. Da nun mehr Menschen einfacher auf das Virus getestet werden können, glauben viele, somit ein realistischeres Lagebild zu erhalten.
Saubere Hände allein reichen nicht
In den sozialen Medien häufen sich die Beiträge, die zeigen, wie wichtig Hände waschen ist. Allerdings wurde ich am Wochenende das Gefühl nicht los, dass viele Menschen hier in Äthiopien immer noch glauben, dass saubere Hände allein das Wichtigste sind um sich vor einer COVID-19-Infektion zu schützen. Das ist meiner Meinung nach ein sehr gefährlicher Trugschluss.
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Die Problematik ist das “Social Distancing”, also Abstand zu Mitmenschen halten, weil es der äthiopischen Kultur komplett widerspricht. Zwar ist es schön, auf Twitter oder Instagram zu sehen, wenn Betende vor einer Kirche Abstand halten oder wenn vor Busstationen Abstandsmarkierungen auf dem Boden zu sehen sind. Doch solche kreativen Ansätze kommen noch zu kurz. Erst heute hat Premierminister Ahmed Abyi auf Twitter eindringlich auf die Notwendigkeit hingewiesen:
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Dichtes Gedränge beim Gemüsehändler
Weil wir in unserer WG kein Obst und Gemüse mehr hatten, beschloss ich am Samstag in die Stadt zu fahren, um mir selbst ein Bild der Lage zu machen. Es war deutlich weniger auf den Straßen los und zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, dass die Leute es langsam ernst nehmen mit der sozialen Distanz. Wenig Autos und noch weniger Fußgänger prägten an diesem Tag das Stadtbild.
Vor jedem Geschäftsgebäude heißt es nun Hände waschen oder desinfizieren. So war es auch bei dem Obst- und Gemüseladen, den ich ansteuerte. Auf Anordnung des Wächters vor dem Geschäft, wusch ich meine Hände mit reichlich Seife und betrat den Laden. Was ich dort vorfand, war allerdings kein „Social Distancing“, sondern dichtes Gedränge. Zwar trugen alle Angestellten in dem Geschäft einen Mundschutz, jedoch machte ich mir mehr Sorgen um die anwesenden Kunden auf engem Raum. Mit vollen Einkaufstaschen und einem unwohlen Gefühl im Bauch verließ ich das Geschäft.
Die Probleme mit "Social distancing"
Wieder zu Hause angekommen, machte ich mir weiter Gedanken um das Thema soziale Distanz in Äthiopien. Mir wurde immer mehr klar, dass dies ein Privileg von wenigen ist, die es sich leisten können, sich sozial zu isolieren. Es gibt einen nicht unsignifikanten Anteil an Leuten hier in Äthiopien, die jeden Tag das Haus verlassen müssen, um überhaupt etwas zu essen zu haben oder ihrer (systemrelevanten) Arbeit nachzugehen.
Aber auch in den eigenen vier Wänden ist es fast unmöglich, soziale Distanz zu wahren. Mehrere Generationen wohnen meist auf engstem Raum zusammen, ein Äthiopier hat nur wenige Quadratmeter Wohnfläche zur Verfügung. In der äthiopischen Kultur ist körperliche Distanz ein Fremdwort: Die Menschen berühren sich beim Begrüßen ausgiebig, halten aus Zuneigung Händchen oder essen von einem gemeinsamen Teller, wenn sie freundschaftlich verbunden sind.
Weiterhin gibt es keinen starken Sozialstaat, der alle die auffängt, die von so einer Krise betroffen werden. Es ist sehr schwer – wenn nicht gar unmöglich – eine Stadt wie Addis Abeba in einen “Lockdown-Modus” zu versetzen. Die Menschen müssen hier miteinander agieren, damit der Laden sprichwörtlich am Laufen bleibt.”
“Nach zwei Tagen Homeoffice ist es wirklich mal wieder schön, die Wohnung zu verlassen und ins Büro zu fahren. Menschen für Menschen hat ein Schichtsystem im Büro eingeführt, um die Distanz zwischen Kolleginnen und Kollegen zu erhöhen. Das heißt, dass mein Kollege Muluneh heute nicht da ist und dafür ich vom Büro aus arbeite.
Es ist ein wunderschöner sonniger Morgen und der Straßenverkehr hat deutlich abgenommen. Wobei ich glaube, dass dies immer noch daran liegt, dass die Leute ihre Kinder nicht zur Schule bringen müssen. Die Geschäfte sind alle auf und erst herrscht reges Leben auf den Straßen von Addis.
Wie in den vergangenen Tagen tragen einige Schutzmasken und Gummihandschuhe. Inzwischen gibt es in Äthiopien neun registrierte Fälle. Nummer neun ist ein Australier, den ich persönlich kenne. Wir haben uns das letzte Mal auf einer Gartenparty vor fünf Wochen gesehen, als noch alles gut war. Jedoch bedrückt es einen, dass es die ersten Leute aus dem persönlichen Umfeld “erwischt” hat.
Gummihandschuhe und Abstand halten im Büro
Als ich ins Büro komme, ist das Erste was mir auffällt ein Schild an unserer Eingangstür, das darauf hinweist, wie man sich verhalten soll: Wasch deine Hände, Niese in die Armbeuge, und so weiter. Furno, unsere Sekretärin am Eingang hat das Händedesinfektionsmittel griffbereit, trägt Gummihandschuhe und begrüßt mich. Es ist sehr ruhig in unserem sonst so lauten Bürogebäude. Einige Büros sind nicht besetzt und hier und da sitzt jemand alleine in seinem Büro. Ich mache meine übliche morgendliche Begrüßungsrunde und winke in jedes Büro.
Nach der Mittagspause unterhalte ich mich mit Furno. Sie ist sehr besorgt über die Lage hier in Äthiopien. Ihre Kinder sind zu Hause mit ihrem Ehemann und sie wechselt sich mit ihrer Kollegin Elleni im Schichtdienst ab. Auch empfindet sie es als unangenehm, dass sie als Sekretärin direkt am Eingang mit so vielen Fremden zu tun hat: Egal ob es Gäste oder Kuriere sind.
“Ich sage denen immer, dass sie Abstand halten sollen. Ich weiß ja nicht, mit wem sie vorher Kontakt hatten”, erzählt die betrübte Furno. Die Handschuhe trägt sie, wenn sie mit Dokumenten von außen hantieren muss. Ihr kleines Handyradio versorgt sie rund um die Uhr mit den neuesten Entwicklungen.
Desinfektionsmittel seit Tagen ausverkauft
Ein Stockwerk höher sitzt mein Kollege Addisu alleine im Büro. Er ist erst vor kurzem Vater geworden und macht sich ebenfalls große Sorgen. “Unser Land ist auf so etwas nicht ausreichend vorbereitet”, sagt er. Er hat die Bilder von der katastrophalen Situation in Italien gesehen.
Als ich ihm dann erzähle, dass die Infektionszahlen auch in Deutschland kontinuierlich nach oben gehen, reißt er die Augen auf. Addisu erzählt, dass er die ganze Woche versucht hat Desinfektionsmittel zu kaufen. “Selbst reiner Alkohol ist in allen Apotheken ausverkauft und überall sind lange Warteschlangen”, berichtet er mit ruhiger Stimme weiter.
Trotz der Sorgen wird auch noch gelacht
Mein Eindruck ist, dass jeder von der Ungewissheit geplagt ist, wie sehr der Virus hier in Äthiopien wüten wird. Der hier zwar langsame aber stetige Anstieg an Infektionen lässt einen leicht in Panik verfallen. Denn jeder meiner Kolleginnen und Kollegen ist sich der Tatsache bewusst, dass die Kliniken in Äthiopien weder über ausreichend Beatmungsgeräte noch Intensivbetten verfügen. Daher ist es besonders schön, wenn man hört, dass auf unserem ruhigen Korridor ab und zu doch mal gelacht wird. Das gibt einem in einer solchen Situation Sicherheit und Kraft.”
“Lange Zeit war das neuartige Coronavirus für die Menschen in Äthiopien – wie für viele in Afrika – eine surreale Bedrohung – schwer greifbar, da es weit weg schien. Jedoch war vielen bewusst, dass es in unserer globalisierten Welt nur eine Frage der Zeit ist, bis es das Virus nach Äthiopien schaffen wird. Am Flughafen Addis Abeba, einem der Drehkreuze auf dem afrikanischen Kontinent, wurde schon Ende Januar damit begonnen die Körpertemperatur der Einreisenden zu messen.
Als sich die Lage in Europa Anfang März tagtäglich zuspitzte, wurden diese Kontrollen verstärkt und Einreisende mussten einen Fragebogen über ihre vorigen Aufenthaltsorte ausfüllen. Diese Maßnahmen beschränkten sich jedoch nur auf den internationalen Flughafen. Wenn man diesen einmal verlassen hatte, war alles wie zu Zeiten vor COVID-19 in Äthiopien.
Bedrohung durch Coronavirus wird immer realer
Das änderte sich, als die äthiopische Gesundheitsministerin Dr. Liya Tadesse Ende der vergangenen Woche bekannt gab, dass es nun auch in Äthiopien den ersten bestätigten Fall von Coronavirus gibt. Ein Japaner, der über Burkina Faso vier Tage zuvor nach Addis Abeba gereist war, wurde positiv getestet.
In den darauffolgenden Tagen bemerkte man, dass der Virus zu einer immer realeren Bedrohung wird. Besonders in den sozialen Medien wurde auf Amharisch und Oromifa vermehrt darauf hingewiesen, sich die Hände regelmäßig und gründlich zu waschen und welche Symptome das Virus mit sich bringt. Das öffentliche Leben ging weiter wie bisher, nur dass einige Leute nun Gesichtsmasken trugen.
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Kein Händeschütteln mehr bei Menschen für Menschen
Anfang der Woche verkündete die äthiopische Regierung, alle Schulen und Universitäten des Landes für 15 Tage zu schließen. Auch die christlichen und muslimischen Religionsführer appellierten, dass die Menschen Kirchen und Moscheen zum beten erst einmal meiden sollten. Inzwischen war die Zahl der positiv auf COVID-19 getesteten Menschen auf fünf gestiegen.
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In unserem Büro verzichtet man auf gegenseitiges Händeschütteln. Die räumliche Distanz wächst. Genauso wie die Dunkelziffer der möglichen Infizierten. Im Netz steigerte sich die Anzahl der Postings mit sogenanntem “Awareness Content” von Seiten der Regierung aber auch von Privatpersonen. Aber wie in Europa gibt es auch in Äthiopien Fake News und selbsternannte Experten versprechen durch krude Theorien Heilung oder gar Immunität.
Straßen leerer, Minibusse voll
Heute ist der 19. März und es gibt in Äthiopien offiziell sechs positive Corona-Fälle. Einige Unternehmen und internationale Organisationen wie die UN sowie NGOs wie Menschen für Menschen haben ihre Mitarbeiter ins Homeoffice geschickt. Dies geht aber selbstverständlich nur, wenn man eine Internetverbindung zu Hause hat.
Die Regierung teilt auf Twitter Fotos, auf denen öffentliche Anlagen zum Hände waschen und desinfizieren zu sehen sind. Der Straßenverkehr ist etwas weniger geworden, was daran liegt, dass niemand seine Kinder in die Schule bringen muss.
Die Minibusse – das Hauptverkehrsmittel in Addis – sind nach wie vor bis zum letzten Platz gefüllt. Die Geschäfte haben alle geöffnet und Menschen stehen dicht gedrängt beieinander. Sie lachen und feixen, als wäre nichts. Einige tragen Schutzmasken. Zum Beispiel die Essenslieferanten, die ich aus dem Homeoffice anrufe.
"Social Distancing" in Äthiopien kaum vorstellbar
Das beunruhigende ist, dass in Europa so gepriesene “Social Distancing” in einem Land wie in Äthiopien ziemlich schwer umzusetzen ist. Dieses Land ist in allem das Gegenteil von sozialer Distanz: Man isst von einem gemeinsamen Teller das Essen mit den Händen. Man füttert sich gegenseitig als Zeichen des Respekts und der Freundschaft.
Zur Begrüßung umarmt man sich und wenn man jemanden mag (egal ob Mann oder Frau), hält man auch gerne gegenseitig Händchen. Die Menschen teilen sich den Wohnraum und die Sanitäreinrichtungen. Ein Leben in sozialer Distanz ist für die meisten Menschen kaum vorstellbar. Alles ist sehr beunruhigend.”
Das Coronavirus und Menschen für Menschen: Antworten auf die wichtigsten Fragen