
Ein Dorf im Wandel
Mehal Wonz vor dem Neuanfang
Eine der ersten Gemeinden im Projektgebiet Ankober, in der sich Menschen für Menschen engagiert, ist Mehal Wonz. In der Baumschule gedeihen Setzlinge. Mutige Landwirtinnen und Landwirte stellen nach und nach die Bewirtschaftung der Felder um. Ihre Erfolge sollen anderen ein Vorbild sein, so wie Mehal Wonz einmal für weitere Gemeinden.
Als Negash Bekele an diesem Morgen in der Baumschule ankommt, hocken bereits eine Handvoll Frauen und Männer im Schatten eines Wellblechdaches. Aus dem Lautsprecher eines alten Handys krächzt äthiopischer Pop. Während einer der Arbeiter aus Folie runde Behälter formt, befüllen andere diese mit einem Gemisch aus Erde, Sand und Kompost. „Presst es nicht zu fest hinein“, merkt Negash an.

Der Entwicklungsberater von Menschen für Menschen beginnt nahezu jeden seiner Arbeitstage in der Baumschule. Die Arbeiterinnen und Arbeiter platzieren die Erdröhrchen auf einem dafür angelegten Beet. Bald werden sie in ihnen Samen pflanzen: Ägyptischer Flusshanf für Viehfutter, Silbereiche als Schattenspender auf dem Feld, weiße Kordie für Bauholz. „Auch Fruchtbäume wollen wir heranzüchten“, erklärt Negash. An ihnen fehlt es in der Region Ankober, 170 Kilometer nordöstlich von Addis Abeba, obwohl sie bestens für den Anbau geeignet ist. „Die hoch gelegenen Gebiete sind gut für den Apfelanbau, im Tiefland gedeihen Bananen und Mangos und in den Mittellagen, wie hier in Mehal Wonz, wachsen Kaffee oder Papaya“, sagt Negash. In den nächsten Monaten wird er die rund ein Dutzend Tagelöhner, allesamt Bewohnerinnen und Bewohner des Dorfes, anleiten, die Setzlinge zu pflegen, bevor sie im Projektgebiet verteilt werden.
Vorbilder gesucht
Zum Beispiel an Abebe Agulale, dessen Grundstück nebenan liegt. „Hier könnte ich Avocados oder Kaffee anpflanzen, dort drüben Zwiebeln!“, ruft der Landwirt und zeigt eifrig auf unterschiedliche Bereiche seines Grundstücks. „Gute Idee!“, antwortet Negash. Der 25-Jährige ist nach seiner Stippvisite in der Baumschule bei Abebe vorbeigekommen.

„Doch denk daran, was ich dir erklärt habe. Pflanze die Gemüsesorten und Früchte, die Bäume und Sträucher miteinander auf einem Teil deines Feldes an. Dann spenden sie sich gegenseitig Schatten und halten den Boden fruchtbar.“ Abebes Haus ist größer als die meisten im Dorf, sogar zweistöckig. Im oberen Teil befindet sich das Schlaf- und Wohnzimmer, unten ein Viehstall. Dass er die Tiere aus dem Wohnraum verbannen muss, hat der heute 22-Jährige bereits in der Schule gelernt. Ebenso, dass er die Kochstelle separieren und für sich und seine Frau eine Latrine errichten sollte. Nach der achten Klasse brach er die Schule ab. „Ich hätte gerne weitergelernt“, sagt er. Doch die weiterführende Schule war zu weit weg. Daraufhin überließ sein Vater ihm ein Viertel seines Ackerlands, einen halben Hektar, und die Wohnhütte, die Abebe ausbaute. Ebenso zur Starthilfe gehörte ein Ochse und 2.000 Birr, damals umgerechnet rund 60 Euro. „Mein Vater sagte: Den Rest musst du selbst schaffen“, erinnert sich Abebe. Das nahm sich der junge Landwirt zu Herzen. Auf dem Feld baut er Teff, Weizen und Gerste an, für den Eigenbedarf und zur Herstellung von lokalem Bier und Gin, außerdem Erbsen und Bohnen. Für die 2.000 Birr pachtete Abebe ein kleines Stück zusätzliches Land, pflanzte Zwiebeln und Kartoffeln, die die Entwicklungshelfer der Regierung verteilt hatten. Durch den Verkauf des Gemüses sparte er Geld an, um weiteres Ackerland zu pachten. Außerdem handelt er mit Hopfen. „Ich konnte noch einen Ochsen und eine Kuh anschaffen, die ein Kalb zur Welt brachte, außerdem einen Esel und Schafe“, sagt Abebe. „Mein Vater ist stolz, was ich erreicht habe.“
Als er davon erfuhr, dass sich die Stiftung in seinem Dorf engagiert und in der direkten Nachbarschaft eine Baumschule entsteht, war er neugierig. „Er kam von sich aus auf mich zu“, sagt Negash. Bauern wie Abebe, anpackend und offen für Veränderung, sind wichtig für Menschen für Menschen. Besonders zu Beginn eines neuen Projektes. „Ihre Nachbarn sehen die Erfolge der Modellbauern und interessieren sich ebenfalls für unsere Arbeit.“

Wie überall an den Berghängen in Mehal Wonz stürzt oberhalb von Abebes Grundstück Wasser in die Tiefe. „Das Land ist fruchtbar und es gibt ausreichend Wasserquellen, doch die Bauern nutzen sie nicht richtig“, erklärt Negash. Zwar leitet Abebe über schmale selbstgegrabene Erdkanäle Wasser auf seine Felder, doch diese fallen immer wieder in sich zusammen. „In Zukunft wollen wir mit den Landwirten Kanäle aus Zement anlegen.“ Mit der richtigen Bewässerung könnte Abebe mehrmals im Jahr Gemüse und Früchte ernten, die sich gut verkaufen lassen und den Speiseplan seiner Familie erweitern. „Abebe hatte Glück und bekam immer wieder Unterstützung, hat diese aber auch entschlossen genutzt“, sagt Negash. „Daher bin ich sicher, dass er auch meine Tipps gut umsetzt und weitergibt.“
Es fehlt an allem
Am Nachmittag macht sich Negash auf den Weg zu seinem letzten Termin. Zwanzig Minuten läuft er von der Baumschule bergab, entlang des plätschernden Baches, an dessen schlammigem Ufer sich Frauen und Kinder waschen. Er kreuzt eine grüne Wiese, bevor er vor der Hütte von Fikirte Getachew stehen bleibt. Eigentlich wohnt die 44-Jährige hier mit ihrem Mann und sechs ihrer sieben Kinder. Doch wegen des Bürgerkrieges im Norden des Landes, musste ihre älteste Tochter ihren Job als Lehrerin aufgeben und kehrte mit ihrem Säugling nach Hause zurück. Zu zehnt teilt sich die Familie den aus Ästen gezimmerten Verschlag. Kocht Fikirte, füllt sich die Hütte mit Rauch. Es gibt keine Toilette und wenn es regnet, tropft es durch das löchrige Dach.
„Uns fehlt es an allem“, sagt Fikirte und streicht sich ihren schmutzigen Rock glatt. Auf einem Schemel sitzt ihr Mann Behailu. Vor drei Jahren erlitt er einen Schlaganfall. Es war abends, er ging über den Hof der Familie. „Dann lag ich auf dem Boden“, nuschelt er. Seine Sprache ist verwaschen, beim Laufen stützt er sich auf einen Stock, seine Hand ist gelähmt. „Ich dachte, dass er sich erholt“, sagt Fikirte.

Doch die Ärzte im Krankenhaus in Gorbela, der Bezirkshauptstadt, konnten ihm nicht helfen. „Ich muss mich um alles kümmern, auch um ihn“, sagt sie. Sie baut Weizen, Gerste und Teff an, etwas Kohl, Tomaten und Kartoffeln. „Ich versuche, unsere Ernte gut einzuteilen. Und doch ist es meist zu wenig.“ Vor einer Woche besuchte Negash sie zum ersten Mal. Er stellte sich und die Stiftung vor, bot ihr an, sie zu unterstützen, mit Gemüsesetzlingen oder indem er ihr zeigt, wie sie organischen Dünger herstellen. kann. „Dass er so schnell wiederkommt, zeigt mir, dass er es ernst meint“, sagt Fikirte und lächelt den Entwicklungshelfer achtungsvoll an. „Zeig mal deinen Kompost“, antwortet er und tritt mit ihr aus der dunklen Hütte in den Tag. Negash Ziel ist es, Familien in Mehal Wonz wie der von Fikirte weiter unter die Arme zu greifen, sie mit Landwirten wie Abebe zusammen zu bringen. „Fikirte oder ihr ältester Sohn könnten auch bei uns in der Baumschule jobben“, sagt Negash. „Oder sie wird Teil unserer Mikrokreditgemeinschaft.“ Eine solche wird Menschen für Menschen ebenfalls im Dorf gründen. Am Bach wird eine Quellfassung errichtet, um den Menschen Zugang zu sauberem Trinkwasser zu geben, Landwirte werden zu Imkern ausgebildet. Es gibt Pläne für eine neue Schule. Was Abebe für seine Nachbarinnen und Nachbarn sein kann, soll Mehal Wonz für andere Gemeinden werden: Ein Vorbild. „Das Dorf hat großes Potenzial“, erklärt Adane Nigus, der Projektleiter in Ankober. „Wenn es erste Erfolge gibt, wollen wir Bewohner anderer Dörfer einladen, damit sie sich davon überzeugen können und selbst beginnen, mit unserer Unterstützung ihr Leben zu verändern.“ Abebe Agulale ist gespannt auf den Wandel im Dorf. Und in seiner Familie: Seine Ehefrau ist mit ihrem ersten Kind schwanger.