
Schulungen für bessere Behandlungen
Abgeschlossenes Projektgebiet Borena (2011 - 2023)
Um die medizinische Versorgung in den Projektgebieten zu verbessern, schult Menschen für Menschen Mitarbeitende im Gesundheitswesen. Im Projektgebiet Borena werden Schwangere umfassend untersucht, beraten und geimpft. Hausgeburten, die Mütter und Kinder gefährden, sind in der Region eine Seltenheit geworden.
Veröffentlicht am 24. November 2019
Wubayehu Kassaw ist eine schmale Frau. Noch in der 26. Schwangerschaftswoche würde sie glatt zwei Mal auf den Stuhl im Behandlungsraum des Gesundheitszentrums passen, auf dem sie eben Platz genommen hat. Nur eine winzige Wölbung unter ihrem Gewand zeugt davon, dass die 20-Jährige in zehn Wochen ihr erstes Kind erwartet.
„Wie geht es dir?“, fragt Rufael Mekonen. Der Entbindungspfleger im weißen Kittel mustert die junge Frau mit wachem Blick. „Ich bin oft müde und manchmal ist mir schlecht“, sagt Wubayehu. „Das ist normal. Aber du darfst dich nicht mehr anstrengen“, sagt Rufael. „Die schweren Arbeiten müssen jetzt andere erledigen, denk immer daran.“ Wubayehu nickt. „Ich weiß“, sagt sie. „Meine Familie nimmt Rücksicht. Ich muss kein Wasser mehr holen und meine Schwiegermutter kocht für uns alle.“
Rufael Mekonen, 20, misst Wubayehus Blutdruck und sieht sich ihre Zunge an. Er macht Notizen auf einem Formblatt und bittet die werdende Mutter auf die Untersuchungsliege. Er macht Notizen auf einem Formblatt und bittet die werdende Mutter auf die Untersuchungsliege.

Mit Hilfe eines metallenen Hörrohrs, das er am Bauch der jungen Frau ansetzt, prüft er den Herzschlag des Fötus’. Er tastet den Bauch ab, um zu prüfen, ob der Kopf sich Richtung Geburtskanal gedreht hat. Dann erläutert er seiner Patientin, wie sie am besten aus dem Liegen aufsteht: auf die Seite drehen und den Körper langsam in die aufrechte Position stemmen.

„Es scheint alles in Ordnung“ sagt Rufael, als Wubayehu Kassaw wieder vor ihm auf dem Stuhl sitzt. „Aber nicht vergessen: Es ist wichtig, dass du dich abwechslungsreich ernährst.“
Viele Äthiopier essen fast ausschließlich das traditionelle Fladenbrot „Injerra“ sowie einen würzigen Bohnenbrei. „Schwangere sollten verschiedene Getreidearten, Obst und Gemüse essen“, sagt Rufael. Wubayehu nickt abermals. „Wir haben nicht viel Geld, aber meine Familie kauft auf dem Markt ein, so gut es eben geht.“
Rufael nickt und gibt der jungen Frau einen Zettel, auf dem er den nächsten Termin vermerkt hat. In der 30. Schwangerschaftswoche, also in vier Wochen, soll sie wiederkommen.

Das Angebot stetig verbessern
Vorsorgeuntersuchungen für Schwangere: Was in Deutschland eine Selbstverständlichkeit ist, findet in Äthiopien längst nicht flächendeckend statt. Das liegt zum einen daran, dass viele Menschen lange Fußmärsche bis zum nächsten staatlichen Gesundheitszentrum auf sich nehmen müssen. Dagegen sind die sieben Kilometer, die Wubayehu heute bis nach Dega Dibi gelaufen ist, ein Spaziergang. Zudem sind Hausgeburten mit Hilfe von Laienhebammen vielerorts noch immer gängige Praxis. Wenn alles nach Plan verläuft, kann das funktionieren. Aber bei Komplikationen sind Mutter und Kind in Lebensgefahr.
Doch die Situation hat sich verbessert: Lag die Säuglingssterblichkeit im Jahr 2000 in Äthiopien noch bei etwa zehn Prozent, hat sie sich bis heute auf etwa fünf Prozent halbiert.
Der Grund für den Wandel ist die bessere Versorgung im Land – etwa durch mehr Gesundheitszentren und Ambulanzwagen. „Das ist ein großer Fortschritt“, sagt Adane Nigus, Leiter der Projektregion Borena. „Wichtig ist aber auch, dass das medizinische Personal regelmäßig geschult wird.“

Deshalb bietet Menschen für Menschen Fortbildungen für Gesundheitshelfer an. In Borena etwa haben seit 2011 mehr als 300 Mitarbeiter aus den umliegenden staatlichen Gesundheitseinrichtungen Kurse in medizinischer Grundversorgung, Gesundheitsvorsorge, Krankenpflege sowie Familienplanung besucht.
„Unser Ziel ist es, die Qualität der Versorgung zu verbessern, denn dann nutzen die Menschen sie auch“, sagt Adane. Eine Erfahrung, die auch der Geburtshelfer Rufael Mekonen gemacht hat. „Wenn wir das Vertrauen der Frauen gewinnen, kommen die meisten auch wieder“, sagt er. Im Laufe ihrer Schwangerschaft besuchen die Frauen insgesamt drei Mal das Gesundheitszentrum von Dega Dibi. Sie werden untersucht und lernen, wie sie sich selbst und ihr ungeborenes Kind schützen können. „Wir erinnern die Frauen zum Beispiel daran, dass sie nicht kurz vor der Geburt zu Fuß zu uns kommen dürfen“, sagt Rufael. „Sie sollen eine Ambulanz rufen – und wenn keine verfügbar ist, müssen Familie und Nachbarn sie auf einer Trage zu uns bringen.“ Zudem erhalten die Schwangeren, wenn nötig, Tetanus-Impfungen. Die sind lebenswichtig, weil Mütter und Neugeborene sich bei der Geburt infizieren können.
Rufael und seine Kolleginnen und Kollegen klären die Frauen auch über Möglichkeiten der Empfängnisverhütung wie die Spirale oder die Dreimonatsspritze auf. 2013 nutzten bereits 76 Prozent der Frauen in Borena Verhütungsmittel.

Das Ziel von Menschen für Menschen ist es, den Anteil bis 2018 auf 90 Prozent zu erhöhen. „Je sicherer es ist, dass Kinder überleben, desto weniger Kinder müssen die Frauen in die Welt setzen“, sagt Rufael. Wubayehu möchte erstmal die Dreimonatsspritze nutzen. Insgesamt wünsche sie sich zwei Söhne und zwei Töchter, sagt sie. „Aber ich habe ja noch viel Zeit.“

„Meine Familie nimmt Rücksicht. Ich muss kein Wasser mehr holen und meine Schwiegermutter kocht für uns alle.“
Wubayehu Kassaw, 20