Aufklärungsveranstaltung gegen schädliche Traditionen

"Influencer-Marketing" gegen schädliche Traditionen

"Influencer-Marketing" gegen schädliche Traditionen

In den ländlichen Regionen Äthiopiens sind patriarchale Traditionen noch immer tief verwurzelt. Darunter haben vor allem Frauen und Mädchen zu leiden. Sie sind nicht nur auf vielfältige Weise benachteiligt, müssen Schwerstarbeit leisten und verfügen selten über ein eigenes Einkommen. Gegen sie richten sich auch viele schädliche Praktiken wie die Genitalverstümmelung. Menschen für Menschen setzt auf die Schulung von Multiplikatorinnen und Multiplikatoren sowie Dialog und Aufklärung, um Einstellungen zu verändern. Zugleich stärken wir mit verschiedenen Programmen die Eigenständigkeit der Frauen.

Gemeinsam gegen schädliche Traditionen

Auf dem zentralen Platz von Abiye Gurba steht ein mächtiger alter Feigenbaum. Im Schatten des knorrigen Riesen versammeln sich die Bewohnerinnen und Bewohner der Kleinstadt im Projektgebiet Wogdi, wenn es Wichtiges zu besprechen gibt. Heute reicht der Schatten kaum aus für die Menschentraube, die sich gebildet hat. Es geht um ein Thema, das noch deutlich älter ist als der über 100 Jahre alte Baum: schädliche traditionelle Praktiken. Dazu gehören die brutale Tradition der Genitalverstümmelung von Frauen sowie Zwangsheirat und Frühverheiratung von Mädchen, aber auch das Entfernen von Milchzähnen, die für Krankheiten verantwortlich gemacht werden. Solche kulturellen Praktiken sind vielerorts im ländlichen Äthiopien bis heute tief verwurzelt. Menschen für Menschen setzt sich seit langem für die Abschaffung dieser Bräuche ein. Dabei baut die Organisation auf die Unterstützung von religiösen und weltlichen Wortführern der Ortsgemeinschaften.

In den Dialog mit einflussreichen Persönlichkeiten einer Gemeinde zu gehen, ist eine bewährte Strategie, um so viele Menschen wie möglich zu überzeugen. Bereits im Jahr 1999 organisierte Karlheinz Böhm im Erer-Tal eine Anti-Beschneidungskonferenz mit 2.000 Teilnehmenden, darunter christliche und muslimische Würdenträger, Vertreterinnen von Frauenverbänden, medizinisches Personal, Beschneiderinnen sowie Politikerinnen und Politiker.

Einflussreiche Stimmen gegen schädliche Traditionen

In Abiye Gurba haben sich die Menschen unter der alten Feige um eine Dreiergruppe versammelt: Ababu Kibret ist orthodoxer Priester in Abiye Gurba, Fanta Gubranu gibt Kurse für Frauen und Mütter und Babu Mekonnen ist Lehrer in der Stadt. Was die drei sagen, hat Gewicht. Im vergangenen Jahr haben sie gemeinsam mit religiösen und weltlichen „Influencern“ aus anderen Gemeinden mehrtägige Workshops von Menschen für Menschen besucht.

Aufklärung gegen schädliche Traditionen im Projektgebiet Wogdi
Fanta Gubranu, Ababu Kibret und Babu Mekonnen (von links) nutzen ihren Einfluss in der Gemeinde für die Bekämpfung schädlicher Traditionen.

Was sie hier gelernt haben, geben sie jetzt weiter – auf großen Versammlungen wie heute oder auch im Zwiegespräch. „Wenn die Menschen zum Beten zu mir kommen, spreche ich mit ihnen darüber“, sagt Priester Ababu. Die Gründe für viele schädliche Praktiken liegen in falschem Traditionsbewusstsein, männlichem Besitzdenken und vielfach auch im Missverständnis religiöser Schriften. Hier setzt Menschen für Menschen in den Workshops mit den religiösen Oberhäuptern an: Wir diskutieren mit ihnen die Schriften, denn weder in der Bibel noch im Koran ist etwa die weibliche Beschneidung vorgeschrieben, auch wenn das viele Menschen glauben.

Der Zugang zu den Wortführern in den Gemeinden erfolgt ganz profan über das Gesetzbuch. Polizisten und Mitarbeitende der Staatsanwaltschaft werden eingeladen und über die rechtlichen Konsequenzen aufgeklärt. Wenn gesagt wird, dass auf Zwangsverheiratung bis zu 20 Jahre Gefängnis stehen, sind die meisten richtig schockiert.

In Abiye Gurba werden die schädlichen Traditionen seit dem Training immer wieder besprochen. „Am Anfang war es eine Herausforderung“, sagt Ababu, der Priester. Den Menschen fiel es schwer, einen Teil ihrer jahrhundertealten Kultur aufzugeben. „Aber wir haben immer wieder wiederholt, warum solche Praktiken ganze Generationen zerstören. Jetzt akzeptieren die Menschen, was wir ihnen sagen.“ Mit ersten Fortschritten: Innerhalb eines Jahres ist die Rate von Frühverheiratungen in Abiye Gurba immerhin von 28 auf 18 Prozent gesunken.

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