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Mit Talent gegen Aids

Schwerpunkt: Gesundheit
Projektregion: Borecha
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In Gedichten und Theaterszenen warnt der Anti-Aids-Club im Dorf Togogetama vor der Immunschwäche-Krankheit und vor frühen Heiraten. Clubmitglied Regatu Abdu schmiedet ihre langen Gedichte selbst, obwohl sie nie schreiben gelernt hat.

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Die Klugheit eines Menschen hängt nicht nur von den Schulen ab, die er besucht hat. Regatu Abdu hat nie lesen und schreiben gelernt. Und doch steht sie immer wieder vor Versammlungen und spricht. Meist treffen sich die Menschen aus der Nachbarschaft unter einem freistehenden Baum. Dann schließt Regatu Abdu die Augen und beginnt zu rezitieren.

“Aids behandelt niemanden besser oder schlechter”, sagt sie mit ausdrucksstarker Stimme. “Die Krankheit macht keine Unterschiede zwischen Jung und Alt, zwischen Dick und Dünn, zwischen Arm und Reich.” Zwölf Minuten spricht sie frei und ohne Manuskript in rhythmischen Versen über die Gefahren der Krankheit und wie sich die Menschen davor schützen können.

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Heirat mit zwölf Jahren

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Das lange Gedicht hat sie selbst geschmiedet. “Ich lasse mir die Verse während der Hausarbeit einfallen und memoriere sie immer wieder, bis das ganze Gedicht fertig ist.” Eine erstaunliche Fertigkeit. Ob sie wohl eine besondere Merktechnik hat? Regatu Abdu zuckt mit den Schultern und sagt: “Ich habe wohl einfach Talent dafür.”

Die 38-Jährige ist Mitglied im “Anti-Aids-Club” in Togogetama, einem Dorf mit 450 weit verstreuten Bauernhöfen im Projektgebiet Borecha. In dem Club, der von Menschen für Menschen initiiert wurde, üben neun Frauen und vier Männer Gedichte und Spielszenen ein und bringen sie in den Nachbarschaften zur Aufführung. Ein großer Verdienst des Clubs liegt darin, auch auf die gesundheitlichen Gefahren von schädlichen Traditionen hinzuweisen.

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Bauer Tamtam Ahmed und Bäuerin Regatu Abdu sind Mitglied im Anti-Aids-Club im Dorf Togogetema.

“Früher war es bei uns üblich, dass Mädchen zwischen zwölf und 15 Jahren verheiratet wurden”, erzählt der Club leiter Tamam Ahmed. Häufig sind die Körper der Teenager noch nicht bereit für Schwangerschaften, viele starben bei der Geburt ihres ersten Babys. “Durch unseren Einsatz verheiraten die Eltern ihre Töchter nun später”, sagt Tamam Ahmed.

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Auch Verseschmiedin Regatu Abdu hat drei Töchter zwischen acht und 16 Jahren. Im Dorf hat die Äthiopienhilfe eine Schule gebaut. Dies hat auch den wichtigen Nebeneffekt, dass mehr Mädchen einen Schulabschluss machen können. “Ich bin frustriert darüber, nicht lesen zu können. Aber meine Töchter besuchen die Schule: Sie sollen einmal einen guten Beruf ergreifen können”, sagt Regatu Abdu.

Doch zu helfen ist gar nicht so einfach: Die Menschen sind skeptisch. Auch Tashome hatte schon vor knapp zwei Jahren die Chance erhalten, an landwirtschaftlichen Trainings teilzunehmen und verbessertes Saatgut zu erhalten. “Doch wie viele andere Bauern war ich misstrauisch”, gibt Tashome zu. “Wir fragten uns: Warum wollen uns die Fremden helfen? Haben sie eine geheime Absicht?”

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Kinderimpfung in Demasiko

Schwerpunkt: Gesundheit
Projektgebiet: Wogdi
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Mehr als die Hälfte der Bewohner von Wogdi hat keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Eine häufige Folge sind schwere Magen- und Darmerkrankungen. Eine weitere Gefahr stellen die Lebensbedingungen in den Hütten der Menschen dar: Oft leben sie hier mit ihrem Vieh unter einem Dach, was unter anderem Infektionskrankheiten fördert.

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Verbreitet sind Kropferkrankungen, Malaria und HIV/Aids. Gegen andere Krankheiten wie Diphterie, Pertussis, Polio, Masern, Rotaviren oder Tetanus helfen zwar Impfungen, doch viele Menschen ziehen noch immer traditionelle Hausmittel der modernen Medizin vor.

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Die 29-jährige Kranken­schwester Workwha Kassaw, klärt die Mütter im Gesundheitsposten von Demasiko über die Wichtigkeit von Impfungen auf.

Impfkampagnen verbessern die Situation. “Früher waren hier viele Krankheiten verbreitet”, erzählt Workwha Kassaw. Die 29-jährige Kranken­schwester arbeitet im Gesundheitsposten von Demasiko, einem Dorf im Projektgebiet Wogdi.

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“Vor zehn Jahren etwa, als die ersten Mitarbeiter der Re­gierung an die Türen klopften, machte ihnen kaum jemand auf.” Krankheiten waren weit verbreitet, aber Impfungen und Ärzte waren den Menschen fremd. Anstatt sie zu behandeln, wurden kranke Kinder oft zu Hause gehalten.

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Tirunush Yimer hat ihren kleinen Sohn Fikru Adane zur Impfstation mitgebracht.

„Die Eltern schämten sich, weil sie dachten, die Krankheit sei die Folge eines Fluchs.“ Ich habe damals nicht die Tür aufgemacht“, sagt Tirunush Yimer. Die 45-jährige Bäuerin vertraute – selbst bei schweren Krankheiten – auf die Rezepte, die sie von ihrer Mutter gelernt hatte.

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“Als zwei meiner Söhne die Masern hatten, gab ich ihnen einen warmen Trunk aus Eselsmilch und einer Heilwurzel”, erzählt sie. Die Jungen wurden wieder gesund. “Aber es hat lange gedauert und sie haben gelitten. Besser, die Kinder bekommen solche Krankheiten gar nicht erst.” Menschen für Menschen hat sich vorgenommen, von der Gesundheitsvorsorge über die Behandlung bis hin zur Pflege die medizinische Versorgung zu verbessern. Dazu trägt der Ausbau lokaler Gesundheitszentren bei, die auch für Menschen in abgelegenen Dörfern erreichbar sind.

Aufklärungskampagnen befähigen die Bevölkerung im Umgang mit Krankheiten und stärken die Akzeptanz der modernen Medizin. Menschen für Menschen arbeitet eng mit den staat­lichen Gesundheitszentren zusammen. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stiftung schulen medi­zinisches Personal und führen Kampagnen zu Themen wie Prävention, Pflege oder Familienplanung durch. Zudem bieten sie Impfungen an und stellen tech­nische Gerätschaften wie etwa solarbetriebene Kühl­boxen für Impfstoffe bereit. Auch die Vermittlung von Wissen über gesunde, ausgewogene Ernährung trägt viel zur Verbesserung der Gesundheitssituation bei.

Wenn heute in Demasiko Impfungen angeboten wer­den, sammeln sich die Frauen aus dem Dorf mit ihren Babys im Hof des Gesundheitspostens. Ein paar Spritzen in die kleinen Oberschenkel – und die Kin­der sind gegen Diphterie, Pertussis, Polio, Masern, Rotaviren, Tetanus und andere Krankheiten geimpft.

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Ein Baby wird geimpft.

“Als wir sahen, dass die Kinder, die beim Arzt waren, nicht mehr krank wurden, haben wir verstanden, dass die Impfungen wirklich helfen”, sagt Tirunush. Ihre vier Kinder sind längst geimpft.

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Zurzeit sorgt sie sich nur um ihren jüngsten Sohn, den vierjährigen Fikru. “Er ist oft schwach. Ich habe Angst, dass er unterer­nährt ist”, sagt Tirunush. Die häufig einseitige Ernäh­rung auf dem Land führt oft zu Nährstoffmangel bei den Kindern. Dieser “versteckte Hunger” ist in Äthi­opien weit verbreitet. In den Gesundheitsposten wird er mit Nahrungsergänzungsmitteln bekämpft.

Tiru­nush Yimer leidet selbst seit ihrer Jugend an einer vergrößerten Schilddrüse als Folge von Jodmangel. Der Kropf in ihrem Hals wächst und drückt ihr auf die Luftröhre, doch ihr fehlt das Geld, ihn entfernen zu lassen. “Ein solches Leid will ich meinem Sohn er­sparen”, sagt sie.

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Tirunush Yimer lässt ihre Kinder gegen Masern, Diphterie und andere schlimme Krankheiten impfen.

“Heute wissen wir, dass die Spritzen gegen Masern, Diphterie, tetanus und andere schlimme Krankheiten helfen. Hier in Demasiko lassen mittlerweile fast alle Leute ihre Kinder impfen. Viele Krankheiten, die es hier früher gab, sind einfach verschwunden.”

Tirunush Yimer, 45, Mutter von vier Kindern aus Demasiko im Projektgebiet Wogdi

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Schulungen für bessere Behandlungen

Schwerpunkt: Gesundheit
Projektgebiet: Borena
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Um die medizinische Versorgung in den Projektgebieten zu verbessern, schult Menschen für Menschen Mitarbeiter im Gesundheitswesen. In Borena werden Schwangere umfassend untersucht, beraten und geimpft. Hausgeburten, die Mütter und Kinder gefährden, sind in der Region eine Seltenheit geworden.

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Wubayehu Kassaw ist eine schmale Frau. Noch in der 26. Schwangerschaftswoche würde sie glatt zwei Mal auf den Stuhl im Behandlungsraum des Gesundheitszentrums passen, auf dem sie eben Platz genommen hat. Nur eine winzige Wölbung unter ihrem Gewand zeugt davon, dass die 20-Jährige in zehn Wochen ihr erstes Kind erwartet.

“Wie geht es dir?”, fragt Rufael Mekonen. Der Entbindungspfleger im weißen Kittel mustert die junge Frau mit wachem Blick. “Ich bin oft müde und manchmal ist mir schlecht”, sagt Wubayehu. “Das ist normal. Aber du darfst dich nicht mehr anstrengen”, sagt Rufael. “Die schweren Arbeiten müssen jetzt andere erledigen, denk immer daran.” Wubayehu nickt. “Ich weiß”, sagt sie. “Meine Familie nimmt Rücksicht. Ich muss kein Wasser mehr holen und meine Schwiegermutter kocht für uns alle.”

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Rufael Mekonen misst den Blutdruck seiner Patientin.

Rufael Mekonen, 20, misst Wubayehus Blutdruck und sieht sich ihre Zunge an. Er macht Notizen auf einem Formblatt und bittet die werdende Mutter auf die Untersuchungsliege. Er macht Notizen auf einem Formblatt und bittet die werdende Mutter auf die Untersuchungsliege.

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Der Entbindungspfleger tastet den Bauch der Schwangeren ab.

Mit Hilfe eines metallenen Hörrohrs, das er am Bauch der jungen Frau ansetzt, prüft er den Herzschlag des Fötus’. Er tastet den Bauch ab, um zu prüfen, ob der Kopf sich Richtung Geburtskanal gedreht hat. Dann erläutert er seiner Patientin, wie sie am besten aus dem Liegen aufsteht: auf die Seite drehen und den Körper langsam in die aufrechte Position stemmen.

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“Es scheint alles in Ordnung” sagt Rufael, als Wubayehu Kassaw wieder vor ihm auf dem Stuhl sitzt. “Aber nicht vergessen: Es ist wichtig, dass du dich abwechslungsreich ernährst.”

Viele Äthiopier essen fast ausschließlich das traditionelle Fladenbrot “Injerra” sowie einen würzigen Bohnenbrei. “Schwangere sollten verschiedene Getreidearten, Obst und Gemüse essen”, sagt Rufael. Wubayehu nickt abermals. “Wir haben nicht viel Geld, aber meine Familie kauft auf dem Markt ein, so gut es eben geht.”

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Rufael erklärt Wubayehu worauf sie während ihrer Schwangerschaft achten sollte.

Rufael nickt und gibt der jungen Frau einen Zettel, auf dem er den nächsten Termin vermerkt hat. In der 30. Schwangerschaftswoche, also in vier Wochen, soll sie wiederkommen.

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Das Angebot stetig verbessern

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Vorsorgeuntersuchungen für Schwangere: Was in Deutschland eine Selbstverständlichkeit ist, findet in Äthiopien längst nicht flächendeckend statt. Das liegt zum einen daran, dass viele Menschen lange Fußmärsche bis zum nächsten staatlichen Gesundheitszentrum auf sich nehmen müssen. Dagegen sind die sieben Kilometer, die Wubayehu heute bis nach Dega Dibi gelaufen ist, ein Spaziergang. Zudem sind Hausgeburten mit Hilfe von Laienhebammen vielerorts noch immer gängige Praxis. Wenn alles nach Plan verläuft, kann das funktionieren. Aber bei Komplikationen sind Mutter und Kind in Lebensgefahr.

Doch die Situation hat sich verbessert: Lag die Säuglingssterblichkeit im Jahr 2000 in Äthiopien noch bei etwa zehn Prozent, hat sie sich bis heute auf etwa fünf Prozent halbiert.

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Adane Nigus ist Leiter der Projektregion Borena.

Der Grund für den Wandel ist die bessere Versorgung im Land – etwa durch mehr Gesundheitszentren und Ambulanzwagen. “Das ist ein großer Fortschritt”, sagt Adane Nigus, Leiter der Projektregion Borena. “Wichtig ist aber auch, dass das medizinische Personal regelmäßig geschult wird.”

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Deshalb bietet Menschen für Menschen Fortbildungen für Gesundheitshelfer an. In Borena etwa haben seit 2011 mehr als 300 Mitarbeiter aus den umliegenden staatlichen Gesundheitseinrichtungen Kurse in medizinischer Grundversorgung, Gesundheitsvorsorge, Krankenpflege sowie Familienplanung besucht.

“Unser Ziel ist es, die Qualität der Versorgung zu verbessern, denn dann nutzen die Menschen sie auch”, sagt Adane. Eine Erfahrung, die auch der Geburtshelfer Rufael Mekonen gemacht hat. “Wenn wir das Vertrauen der Frauen gewinnen, kommen die meisten auch wieder”, sagt er. Im Laufe ihrer Schwangerschaft besuchen die Frauen insgesamt drei Mal das Gesundheitszentrum von Dega Dibi. Sie werden untersucht und lernen, wie sie sich selbst und ihr ungeborenes Kind schützen können. “Wir erinnern die Frauen zum Beispiel daran, dass sie nicht kurz vor der Geburt zu Fuß zu uns kommen dürfen”, sagt Rufael. “Sie sollen eine Ambulanz rufen – und wenn keine verfügbar ist, müssen Familie und Nachbarn sie auf einer Trage zu uns bringen.” Zudem erhalten die Schwangeren, wenn nötig, Tetanus-Impfungen. Die sind lebenswichtig, weil Mütter und Neugeborene sich bei der Geburt infizieren können.

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Empfängnisverhütung durch die Dreimonatsspritze.

Rufael und seine Kolleginnen und Kollegen klären die Frauen auch über Möglichkeiten der Empfängnisverhütung wie die Spirale oder die Dreimonatsspritze auf. 2013 nutzten bereits 76 Prozent der Frauen in Borena Verhütungsmittel.

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Das Ziel von Menschen für Menschen ist es, den Anteil bis 2018 auf 90 Prozent zu erhöhen. “Je sicherer es ist, dass Kinder überleben, desto weniger Kinder müssen die Frauen in die Welt setzen”, sagt Rufael. Wubayehu möchte erstmal die Dreimonatsspritze nutzen. Insgesamt wünsche sie sich zwei Söhne und zwei Töchter, sagt sie. “Aber ich habe ja noch viel Zeit.”

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Die schwangere Wubayehu Kassaw lässt sich im Gesundheitscenter untersuchen und setzt die Tipps der Experten um.
Die schwangere Wubayehu Kassaw lässt sich im Gesundheitscenter untersuchen und setzt die Tipps der Experten um.
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“Meine Familie nimmt Rücksicht. Ich muss kein Wasser mehr holen und meine Schwiegermutter kocht für uns alle.”

Wubayehu Kassaw, 20
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Mütter und Kinder schützen

Schwerpunkt: Gesundheit
Projektgebiet: Borecha
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In Afrika sterben Frauen häufig an den Folgen von Schwangerschaften und Geburten. Diese Katastrophe für jede Familie wäre in den meisten Fällen vermeidbar. Menschen für Menschen setzt sich auf vielfältige Weise für den Schutz von Müttern und Kindern ein.

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Obsa wächst bei seinen Großeltern auf. Seine Mutter starb bei der Geburt des Jungen.

Beim Spielen auf der Straße erfuhr Obsa die Wahrheit. Die anderen Kinder sagten zu dem Vierjährigen: “Du hast gar keine Mutter mehr!” Der Junge lief nach Hause und fragte: “Wer ist meine Mutter?” Auf diese Frage war Kamaria Mahamut nicht gefasst. “Ich brach in Tränen aus”, erzählt sie.

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Kamaria ist 35 Jahre alt. Obsa sagt “Mama” zu ihr. Doch tatsächlich ist sie seine Großmutter. Kamarias Tochter Wordi war erst 13 Jahre alt, als sie Obsa zur Welt brachte. Wordi verblutete eine Stunde nach der Geburt. “Als meine Tochter tot vor mir lag, verlor ich fast das Bewusstsein”, sagt Kamaria. Der Schmerz und die Schuld waren unerträglich. “Ich hätte mich am liebsten selbst getötet.” Doch da waren ihre beiden anderen Kinder, zwei Söhne, fünf und elf Jahre alt, um die sie sich kümmern musste.

Und da war Obsa, das neugeborene Baby, ihr erstes Enkelkind: Kamaria konnte sich nicht gehen lassen, sie kämpfte sich durch den Alltag, und sie brachte Obsa mit der Milch ihrer einzigen Kuh durch.

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Opfer des Unwissens

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Wordia war in der 4. Klasse, als sie sich an der Schule im Dorf Beleti in den 16 Jahre alten Umer verliebte. “Ich möchte heiraten”, überraschte sie ihre Eltern. Frühe Heiraten waren immer Tradition auf dem Land. Also willigten Kamaria und ihr Mann ein: Besser ihre Tochter heiratet, als dass sie ihre Unschuld vor der Ehe verliert und damit in den Augen des Dorfes die Familie entehrt. “Aber wer hätte denn gedacht, dass Wordia ein Jahr später tot ist?”, sagt Kamaria. “Wir waren unwissend; unsere Tochter ist ein Opfer dieses Unwissens geworden.”

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Kamaria Mahamut, 35, und Abdellah Ibro, 50, ihr Ehemann mit ihrem Enkel Obsa.

Alle zwei Minuten stirbt auf unserer Welt eine Frau im Kindbett. 99 Prozent dieser Todesfälle gibt es in Entwicklungsländern, und dort vor allem in entlegenen Gebieten, wo die medizinische Versorgung besonders schlecht ist.

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Aber auch schädliche Traditionen wie sehr frühe Heiraten tragen zu der schockierenden Müttersterblichkeit bei. Menschen für Menschen weist in Aufklärungsveranstaltungen in den Dörfern immer wieder darauf hin: Die Körper der Teenager sind noch nicht auf Geburten vorbereitet: 15-jährige Mädchen verlieren durch eine Entbindung fünf Mal häufiger ihr Leben als Frauen zwischen 20 und 30 Jahren.

Hinzu kommt, dass die Frauen in armen Ländern viele Kinder gebären – in Äthiopien im Durchschnitt fünf. Der harte Alltag und die vielen Schwangerschaften laugen die Frauen aus. So stirbt in Afrika südlich der Sahara eine von 38 Frauen an den Folgen einer Schwangerschaft oder einer Geburt. Abgesehen von der Trauer und dem Schmerz, den die betroffenen Familien durchleiden, wird auch Armut zementiert: Halbwüchsige Töchter müssen den Platz der Mütter einnehmen, sich um jüngere Geschwister kümmern – und ihre Schulbildung aufgeben. In öffentlichen Versammlungen und bei Besuchen auf den Höfen der armen Bauernfamilien informieren die Entwicklungsexperten von Menschen für Menschen deshalb immer wieder über die Gefahren von Hausgeburten ohne professionelle Helfer. Gleichzeitig warnen sie vor den Folgen von Frühehen und damit vor frühen Schwangerschaften für die jungen Frauen. Die Äthiopienhilfe baut außerdem Gesundheitszentren auf, rüstet sie mit Gerät aus und unterstützt sie mit Medikamenten.

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In Fortbildungskursen von Menschen für Menschen konnte die Hebamme Bantschi Jehune ihre Kenntnisse vertiefen.

Im von der Stiftung errichteten Gesundheitszentrum von Beleti im seit 2007 bestehenden Projektgebiet Borecha haben zwei junge Hebammen ihre erste Stelle angetreten. Viel Erfahrung haben sie noch nicht. Trotzdem ist ihre Anwesenheit für die Frauen und Kinder von Beleti ein Segen. “Wir retten viele Menschenleben”, sagt Abainesch Seyume, 26.

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In Fortbildungskursen von Menschen für Menschen haben sie und ihre 23-jährige Kollegin Bantschi Jehune ihre Kenntnisse vertieft. “Vor allem haben wir gelernt, Risiken einzuschätzen und entsprechend zu reagieren”, betont Bantschi. “Wenn sich beispielsweise bei der Geburt der Muttermund lange nicht öffnet, dann warten wir nicht, sondern entscheiden sofort, die Gebärende in die Stadt Bedele zu überführen.”

Früher mussten Angehörige die Patienten mit selbstgebauten Bahren zu Fuß nach Bedele tragen. Für die 70 Kilometer brauchten sie rund 18 Stunden. Oft kam dann jede Hilfe für die Mutter und ihr ungeborenes Baby zu spät. Heute bringt in Notfällen ein von Menschen für Menschen gestifteter Kranken-Geländewagen die Patienten in zweieinhalb Stunden zu den Ärzten im Hospital.“

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Enat-Hospital rettet Leben

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Dr. Ayele ist Kinderarzt an einem der besten Krankenhäuser im Land. Es wurde von der Äthiopienhilfe gebaut.

In der Kleinstadt Alem Ketema liegt das Enat- Hospital, das von der Äthiopienhilfe gebaut und ausgestattet wurde. Im Frühjahr dieses Jahres wurde es von der Regierung als eines der besten Krankenhäuser im ganzen Land ausgezeichnet. Chefarzt Dr. Ayele Teshome, 34, führt hier sogar Tumor-Operationen durch.

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Doch im Alltag ist der Gynäkologe vor allem durch Patientinnen gefordert, die mit schweren Geburtskomplikationen eingeliefert werden. “Allein in der vergangenen Woche haben wir sechs Frauen das Leben gerettet”, sagt Dr. Ayele. Auch Beletu Abi, 37, wäre ohne Dr. Ayele wohl dem Tod geweiht gewesen. Zwei Stunden lang trugen Verwandte sie aus dem Tiefland hinauf zum Krankenhaus in Alem Ketema auf der Hochebene: “Ich war so schwach, ich habe viel Blut verloren”, erzählt sie. Die letzten fünf Wochen ihrer Schwangerschaft verbringt sie nun unter Dr. Ayeles Obhut, bis der Arzt ihr Kind per Kaiserschnitt zur Welt bringen kann. “Die Plazenta liegt so, dass sie bei Einsetzen der Wehen unweigerlich reißen und die Patientin verbluten würde”, erklärt Dr. Ayele.

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Zukunft mit Familienplanung

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Die ersten sechs Kinder brachte Beletu ganz allein in ihrer Hütte zur Welt. Sie deutet auf ihren Bauch und sagt leise: “Dieses ist das letzte, das ich bekommen werde.” Sie will künftig an dem von Menschen für Menschen initiierten und seit einigen Jahren vom öffentlichen Gesundheitssystem weitergeführten Familienplanungsprogramm teilnehmen und sich ein Verhütungsstäbchen unter die Haut des Oberarms applizieren lassen, das durch Hormonabgabe drei Jahre lang einer Schwangerschaft vorbeugt.

Ein Zimmer weiter streichelt Mekdes Biru das Gesichtchen ihrer erstgeborenen Tochter. Am Vorabend brachte sie das Mädchen zur Welt, ganz ohne Komplikationen. Mekdes lebt mit ihrem Mann in der Hauptstadt Addis Abeba. Aber für die Geburt kam sie extra in ihre entlegene Heimatstadt zurück: “Ich wollte unbesorgt sein, und dieses Krankenhaus ist das beste.” Leider bekam ihr Mann keinen Urlaub. Aber sie konnte ihn telefonisch erreichen und berichten, dass alles gut gegangen sei. “Er war so aufgeregt und glücklich”, sagt Mekdes und betrachtet ihre Tochter mit langen Blicken: ein kleines Wunder, an dem sie sich nicht satt – sehen kann.

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Saada Mulugeta mit ihrer Tochter Fordos. Die 20-Jährige hat am Health Center in Beleti vor drei Monaten zum ersten Mal entbunden.

„Bislang bekamen die Frauen ihre Kinder zu Hause. Ich aber wollte sicher gehen, dass meiner Tochter und mir nichts passiert. Deshalb habe ich sie im Gesundheitszentrum zur Welt gebracht.“ – Saada Mulugeta, 20, aus dem Dorf Beleti mit Fordos

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Im Einsatz gegen das Erblinden

Schwerpunkt: Gesundheit
Projektgebiet: Borena
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Aus allen Himmelsrichtungen sind sie herbeigewandert. Einige Kinder, viele ältere Männer und noch mehr Frauen. Etwa 60 Menschen sitzen im Schatten eines Baumes bei der Gesundheitsstation der Kleinstadt Tewa im Projektgebiet Borena. Die meisten leiden am Trachom, einer schmerzhaften Augeninfektion, die bis zum Erblinden führen kann.  

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Manche Patienten brechen von Sträuchern kleine Zweige ab, um damit vor dem Gesicht zu wedeln. Wenn sie das Wedeln unterbrechen, setzen sich sofort Fliegen auf die verklebten Wimpern und in die tränenden Augenwinkel.

In Europa ist das Trachom schon seit vielen Jahrzehnten in Vergessenheit geraten, doch in manchen Landstrichen Äthiopiens sind mehr als die Hälfte der Einwohner von dieser Armutskrankheit betroffen: “Im Hochland herrschen Wassermangel und vielerorts Unwissen”, erklärt Guade Abye, 26, Leiter der Gesundheitsprogramme von Menschen für Menschen im Projektgebiet Borena. “So können sich die Bakterien Chlamydia trachomatis über Fliegen übertragen oder direkt zwischen den Menschen ausgetauscht werden, wenn etwa Mütter die Gesichter ihrer Kinder mit dem immer gleichen Rockzipfel abwischen.”

Die Bakterien infizieren die Bindehaut der Oberlider. Der Körper wehrt sich mit der Bildung von Lymphknötchen. Wenn diese platzen, bilden sich Narben. Dadurch zieht sich das Lid zusammen und rollt sich nach innen. Das kann so weit führen, dass die Wimpern bei jedem Lidschlag an der Hornhaut des Auges scheuern. Wenn dies über Wochen und Jahre geschieht, kann die Hornhaut trübe werden und das Auge schließlich erblinden.

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55.000 Operationen

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“Meine Arbeit ist für mich eine Herzensangelegenheit”, sagt Guade Abye.

Nach Angaben der WHO brauchen weltweit 150 Millionen Menschen eine medizinische Behandlung gegen das Trachom. Sechs Millionen Menschen sind daran erblindet. Äthiopien ist eines der am schwersten betroffenen Länder. Schätzungen gehen davon aus, dass im armen Hochland über eine Million Menschen einen kleinen chirurgischen Eingriff brauchen, um vor dem Erblinden gerettet zu werden.

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Zureash Ali, eine Frau Anfang vierzig, ist eine von fünf Patienten, die an diesem Tag von Baihalu Tamerat operiert werden. Der Krankenpfleger von Menschen für Menschen hat in Addis Abeba eine Ausbildung in der Korrektur von Augenlidern erhalten. Insgesamt haben die Operateure der Äthiopienhilfe bereits rund 55.000 solcher Operationen durchgeführt.

“Keine Angst. Außer beim Stich der Betäubungsspritze werden Sie keinen Schmerz fühlen”, sagt Baihalu Tamerat zu seiner Patientin. “Ich habe keine Angst. Ich brauche diese Operation unbedingt”, antwortet die Bäuerin. “Seit vielen Jahren habe ich diese Augenschmerzen. Wenn ich koche und das Haus voll Rauch ist, sind sie kaum zu ertragen.”

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Unterricht in Hygiene

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Zureash Ali freut sich, dass die Operation überstanden ist – und ihre Augenschmerzen der Vergangenheit angehören.

Der Operateur setzt mit dem Skalpell einen kleinen Schnitt ins Oberlid des rechten Auges. Mit wenigen Stichen vernäht er den Schnitt und fixiert damit das Lid so, dass die Wimpern nicht mehr an der Hornhaut kratzen können. “Das ist viel besser als die traditionelle Methode”, sagt er mit beruhigender Stimme zu seiner Patientin: Auch Zureash ließ sich von ihrer Tochter die Wimpern ausrupfen.

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Doch das brachte nur kurzzeitig Linderung. Nach einigen Tagen kratzten und stachen die Wimpernstoppeln umso schlimmer auf der Hornhaut des Auges. Nach fünfzehn Minuten ist der Eingriff überstanden. “Wir sehen uns in einer Woche wieder”, sagt Baihalu. “Dann operieren wir das linke Auge.”

Draußen unterrichtet Guade Abye die wartenden Patienten, bevor er sie untersucht und Antibiotika-Salbe verteilt. “Ihr müsst euch drei Mal am Tag das Gesicht waschen”, sagt er. “Baut und benutzt Latrinen, damit es nicht so viele Fliegen gibt auf euren Höfen.” In einer Pause erklärt der junge Gesundheitsexperte dem NAGAYA MAGAZIN die von der Weltgesundheitsorganisation WHO propagierte SAFEKampagne, die Menschen für Menschen in Borena durchführt.

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Guade Abye, Gesundheitsexperte der Äthiopienhilfe, schult die Patienten, wie sie Infektionen künftig vermeiden können.

Dabei werden die chirurgischen Eingriffe mit weiteren Maßnahmen ergänzt. “Es reicht nicht, die Menschen nur zu operieren, wenn wir das Trachom besiegen wollen”, erklärt Guade Abye. “Gleichzeitig müssen wir die Betroffenen mit Antibiotika behandeln. Und vor allem müssen wir für eine bessere Hygiene sorgen.” Deshalb die Schulungen im Schatten von Bäumen.

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“Und deshalb auch die Investitionen in eine bessere Wasserversorgung: Die Menschen brauchen mehr und sauberes Wasser nicht nur zum Trinken, sondern auch für die Körperpflege”, betont Guade Abye. Seit Beginn der Intervention in Borena im Jahr 2011 hat die Äthiopienhilfe dort bereits 40 Brunnen und Quellfassungen errichtet. Für Guade Abye ist seine Stelle bei Menschen für Menschen eine Herzensangelegenheit. Als er ein Kind war, habe es in seinem Dorf eine schlimme Masern-Epidemie gegeben, erzählt er.

Als Folge der Krankheit sei er selbst auf dem linken Auge erblindet – in Entwicklungsländern, wo die Kinder häufig an Vitamin-A-Mangel leiden, kein seltenes Schicksal. “Ich bin mir besonders bewusst, wie wichtig gesunde Augen sind”, betont Guade Abye. “Deshalb setze ich mich mit ganzer Kraft für die Gesundheit der Menschen hier ein, die wir auf vielfältige Weise fördern: Mit Ernährungsschulungen, mit Impfterminen gegen Kinderkrankheiten – und mit unseren Kampagnen gegen Trachom.”

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Neues Leben sichern, neues Denken fördern

Schwerpunkt: Gesundheit
Projektgebiet: Borena
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Die Zukunft Äthiopiens hängt auch davon ab, ob das Land sein Bevölkerungswachstum bremsen kann. Zentral dafür sind umfangreiche Angebote zum Thema Familienplanung sowie eine zuverlässige Betreuung von Schwangeren und Müttern mit Neugeborenen. Menschen für Menschen unterstützt staatliche Gesundheitsstationen mit medizinischem Gerät, Medikamenten und Schulungen. Mitarbeiter der Stiftung leisten Hausbesuche bei Familien. Ziel der Anstrengungen: alte Tabus aufbrechen. Ein Besuch im Dorf Galemot.

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Medina Ahmed hat auf einem abgewetzten Stuhl im Behandlungszimmer Platz genommen. Die 18-Jährige flüstert mehr, als dass sie spricht, doch die Geschichte, die sie erzählt, zeugt weniger von Schüchternheit, als von sehr viel Mut. Ein paar Wochen noch, dann wird sie in einen Bus steigen und über staubige Pisten nach Addis Abeba fahren. Von dort geht es weiter per Flieger, Destination: Dubai. Dort will Medina zwei Jahre als Haushälterin arbeiten. Ein Monatsgehalt von 2.000 Birr, ungefähr 60 Euro, hat man ihr versprochen. Unterkunft und Verpflegung sind gratis, also wird sie, so ihre Hoffnung, das Geld nach Hause schicken können. “Damit können mein Mann und ich uns ein kleines Haus bauen”, sagt Medina.

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“Bis vor ein paar Jahren brachten die Frauen aus den Dörfern ihre Kinder zu Hause zur Welt. Jede kleine Komplikation drohte zu einer ernsten Gefahr für Mutter und Kind zu werden.”

Mastebal Alebachew hört Medina aufmerksam zu. Die Krankenschwester hat schon viele solcher Geschichten gehört. Jahr für Jahr reisen mehr als 100.000 Äthiopierinnen in arabische Länder, um als Haushälterinnen zu arbeiten. Doch der Plan, an ein wenig Geld zu kommen, wird für viele zum Albtraum.

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Von Arbeitgebern ausgebeutet, misshandelt oder vergewaltigt, kehren sie traumatisiert zurück. Medina sagt: “Ich muss das Risiko eingehen. Wir haben keine andere Wahl.” Sie bittet Mastebal nun um ein Hormonstäbchen, einen schmalen Stift, der an der Innenseite des Oberarms unter die Haut geschoben wird und drei Jahre lang als Verhütungsmittel wirkt. Medina wird erst Kinder bekommen können, wenn sie wieder zu Hause ist.

Die Gesundheitsstation von Galemot in der Projektregion Borena besteht aus vier einfachen grauen Bungalows. Die äthiopische Regierung hat sie vor etwa sechs Jahren am Dorfrand errichtet, um die wachsende Bevölkerung rund um die Bezirkshauptstadt Mekane Selam besser medizinisch zu versorgen. Doch es mangelt den Mitarbeitern an medizinischem Gerät, Medikamenten und zum Teil auch Knowhow.

Deshalb unterstützt die Stiftung Menschen für Menschen sie mit Material, Fortbildungen und Fachkräften. Ein Schwerpunkt der Hilfe stellen die Angebote rund um Verhütung und Geburt dar. “Bis vor ein paar Jahren brachten die Frauen aus den Dörfern ihre Kinder zu Hause zur Welt”, sagt Mastebal Alebachew. “Jede kleine Komplikation drohte zu einer ernsten Gefahr für Mutter und Kind zu werden.”

Doch mittlerweile haben sich die Vorteile der Hilfsangebote herumgesprochen, und die Menschen suchen Hilfe in der Station. Junge Paare, die eine Familie planvoll gründen wollen, informieren sich über Verhütungsmethoden wie die Dreimonatsspritze oder Hormonstäbchen. Schwangere lassen sich untersuchen und bringen ihre Kinder in der Gesundheitsstation zur Welt. Ein bis zwei Kinder pro Tag werden mittlerweile hier geboren. Menschen für Menschen fördert die Arbeit der Station mit medizinischem Gerät, Impfstoffen und Medikamenten. Mitarbeiter der Stiftung schulen das Personal der Station und betreuen Mütter und Babys, damit Probleme frühzeitig erkannt werden können.

Im Behandlungsraum nebenan hat Mekka Deresse, die im dritten Monat schwanger ist, Platz genommen. Die 18-Jährige ist bereits zum zweiten Mal hier. Ein Mitarbeiter der Gesundheitsstation stellt ihr eine Reihe von Routinefragen und notiert die Antworten auf einem Aktenblatt. Er misst Mekkas Größe, ihr Gewicht und ihren Blutdruck. Dann folgen eine Tetanus-Impfung, ein HIV-Schnelltest. Abschließend nimmt er ihr ein wenig Blut für weitere Untersuchungen ab.

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Nach anfänglichem Zögern sind Mekka Deresse (18) und ihr Mann Said Eshete (22) froh, dass Mekkas Schwangerschaft in der Gesundheitsstation begleitet wird.
Nach anfänglichem Zögern sind Mekka Deresse (18) und ihr Mann Said Eshete (22) froh, dass Mekkas Schwangerschaft in der Gesundheitsstation begleitet wird.
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Familienplanung für eine bessere Zukunft

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Eine kleine Ampulle in der Hand marschiert Mekka wenig später Richtung Labor, wo ihr Blut auf Syphilis untersucht wird. Während Mekka und ihr Mann Said Eshete, 22, auf das Ergebnis warten, erzählen sie von ihrem Wunsch, eine Familie zu gründen. “Zunächst hatten wir verhütet”, sagt Mekka. “Aber nach einem halben Jahr wünschten wir uns ein Kind.” Als ihre Menstruation ausblieb, riet die Familie dem jungen Paar zum Besuch in der Gesundheitsstation. “Wir haben gezögert, doch jetzt sind wir froh, dass wir hier sind”, sagt Said.

Es ist kompliziert, mit jungen Paaren in Äthiopien über Verhütung oder Geburtenplanung zu sprechen. Sexualität ist insbesondere auf dem Land stark tabuisiert. Die Folge ist ein weit verbreitetes Unwissen über die biologischen Prozesse rund um die Fortpflanzung, was eine effektive Familienplanung erschwert. Die Zahl der Kinder, die äthiopische Frauen im Durchschnitt zur Welt bringen, lag 2017 bei 4,99. Ein Fortschritt: 1981, im Gründungsjahr von Menschen für Menschen, lag die Geburtenrate noch bei etwa 7 Kindern pro Frau. Zum Vergleich: In Deutschland wurden 2017 durchschnittlich 1,45 Kinder pro Frau geboren.

Der Mangel an Aufklärung hat auch zur Folge, dass viele Schwangere schwere körperliche Arbeit leisten und sich einseitig ernähren, was die Frauen und ihre ungeborenen Kinder gefährdet. Zwar ist die Säuglingssterblichkeit ebenfalls stark rückläufig – 1981 starben in Äthiopien etwa 140 von 1.000 Neugeborenen im Laufe ihres ersten Lebensjahres, 2017 waren es noch 49,6. In Deutschland lag die Rate im Jahr 2017 bei 3,4. Vor allem in den ländlichen Regionen Äthiopiens sind Schwangere und Neugeborene aber noch immer gefährdet.

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Patentin Medina Ahmed in der Gesundheitsstation in Galemot.

Um die Situation zu verbessern, bieten Mastebal Alebachew und die anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Gesundheitsstation von Galemot umfangreiche Hilfen an. Sie verteilen Verhütungsmittel, wie die Dreimonatsspritze oder Hormonstäbchen, und beraten und betreuen Schwangere, junge Mütter und Neugeborene.

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Maßnahmen, die darauf abzielen, einen neuen Umgang mit dem Thema zu etablieren: Offenheit vorzuleben und Wissen zu vermitteln, wo Tabus und Aberglauben herrschen. Oder, wo die Religion als Legitimation für den Kinderreichtum herhalten muss.

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Hausbesuche bei Müttern mit Neugeborenen

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“Es gibt Leute, die sagen, dass Gott sich so viele Kinder wie möglich wünscht”, sagt Bitika Ali, 30. “Aber ein Kind in die Welt zu setzen, ist ja nur der Anfang. Man muss es auch ernähren und zur Schule schicken können, um ihm Chancen zu eröffnen.” Bitika ist heute in die Gesundheitsstation gekommen, um sich ein Hormonstäbchen einsetzen zu lassen. Seit der Geburt ihres dritten Kindes hat sie mit der Dreimonatsspritze verhütet, aber jetzt möchten sie und ihr Mann langfristig planen – ohne weitere Kinder. Dass sie sich damit über Traditionen hinwegsetzt, ist ihr egal. “Kinder nicht richtig zu versorgen, ist eine Sünde. Das sage ich auch den Frauen in meinem Dorf.”

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Gesundheitswächterin: Die Sozialarbeiterin Meaza Teshome besucht Mütter mit Neugeborenen bis zum 45. Tag nach der Geburt. Sie erkennt Komplikationen und organisiert, wenn nötig, Hilfe.

Am späten Nachmittag, wenn die letzte Patientin gegangen ist, schließt die Gesundheitsstation ihre Türen. Jetzt beginnt die Arbeit von Meaza Teshome. Die Mitarbeiterin von Menschen für Menschen begleitet die Frauen im Dorf – von der Schwangerschaft bis zum 45. Tag nach der Geburt des Kindes.

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Heute klopft sie an die Tür der Hütte, in der Itu Abebe, 32, mit ihrem Mann und ihren nun vier Kindern lebt. Nach einiger Zeit öffnet eine alte Frau, eine Nachbarin. Wortlos führt sie Meaza an ein von großen Tüchern verhangenes Bett und schiebt den Stoff zur Seite. Auf dem Bett liegt Itu, das Baby im Arm.

Der Junge, Mohammed, wurde vor 24 Tagen in der Gesundheitsstation geboren. Ihre ersten beiden Kinder, erzählt Itu, kamen vor 17 beziehungsweise 13 Jahren zur Welt, beide als Hausgeburten. “Bei meinem zweiten Kind litt ich unter extremen Blutungen nach der Geburt”, erzählt Itu Abebe. Sie hatte große Angst, denn sie weiß von den Müttern, die die Geburt ihres Kindes nicht überlebten. “Ich hatte wohl Glück”, sagt sie.

Bei ihrem dritten Kind wollte sie nichts riskieren, und suchte die Gesundheitsstation auf, als sie im dritten Monat schwanger war. Meaza, die die Frauen im Dorf auch in Fragen rund um Hauswirtschaft und Hygiene berät, hatte ihr damals dazu geraten. Als die Wehen einsetzten, brachten einige Nachbarn sie auf einer Trage in die Station. “Ich kannte die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schon von meinen Besuchen und hatte keine Angst”, sagt Itu. “Im Gegenteil, ich habe mich sehr sicher gefühlt.” So war es auch diesmal, als Mohammed zur Welt kam.

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“Auf keinen Fall auf dem Feld arbeiten”

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Sozialarbeiterin Meaza Teshome besucht mehrere Mütter mit Neugeboreren und steht ihnen mit Rat und Tat zur Seite.

“Hast du Schmerzen oder irgendwelche anderen Beschwerden?” fragt Meaza. “Nein, nichts”, antwortet Itu. “Ich bin nur etwas erschöpft.” Meaza nimmt den kleinen Mohammed für einen Moment auf den Arm. “Ein hübscher Junge”, sagt sie. “Kannst du stillen?” Itu nickt, Meaza legt das Kind zurück in den Arm der Mutter. “Ruh dich aus”, sagt Meaza.

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“Du darfst auf keinen Fall auf dem Feld arbeiten, hörst du?” Itu nickt. Dann zieht die Nachbarin den Vorhang wieder zu. Meaza Teshome ist zufrieden. Sie macht sich ein paar Notizen über den Besuch und ihre Beobachtungen. “Nächste Woche komme ich wieder”, sagt sie. Dann verlässt sie die Hütte und macht sich auf den Weg. Sie möchte heute noch zwei weitere Mütter mit Neugeborenen besuchen. “Früher waren viele Frauen, die ein Kind bekommen haben, hier allein mit ihren Problemen”, sagt sie. “Wir sind hier, um das zu ändern.”

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Wie das Lächeln in Emam Sets Gesicht zurückkehrte

Schwerpunkt: Gesundheit
Projektgebiet: Borena
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Zu sehen heißt zu leben. Wenn die Sicht plötzlich schlecht wird, werden selbst Aufgaben, die vorher im Handumdrehen erledigt waren, zu Herausforderungen. Das musste auch Emam Set aus Äthiopien, 12 Jahre alt, am eigenen Leib erfahren.

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Für ihre Familie geht sie täglich Feuerholz sammeln. Einmal fand sie keins mehr am Boden und kletterte deswegen auf einen Baum. Als sie sich nach einem Stück Holz streckte, knackte der Ast unter ihr und brach – sie stürzte ab. Dabei stach sie sich einen Ast ins linke Auge, sie konnte immer schlechter sehen. Die dadurch ausgelöste Krankheit machte sie traurig und verzweifelt. Denn medizinische Hilfe konnte sich ihre bitterarme Familie nicht leisten. Emam Set dachte lange, dass sie auf dem linken Auge für immer blind bleiben würde.

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Grauer Star in Untersuchung entdeckt

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Hier fängt die Arbeit von Menschen für Menschen an. Die Stiftung setzt sich dafür ein, notleidenden Menschen in Äthiopien zu helfen. Es ist uns eine Herzensangelegenheit, kranken Menschen wie Emam Set beizustehen. Deshalb organisieren wir kostenlose medizinische Untersuchungen und Behandlungen. So erfuhr Emam Set, dass sie an Grauem Star litt.

Eine Operation schenkte Emam Set das Augenlicht zurück. Als der Augenarzt ihr den Verband abnahm, breitete sich endlich wieder ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus, das vorher so traurig war.

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Obwohl Emam Set vor der OP große Angst hat, hält sie tapfer still, als der Arzt ihr Auge betäubt.
Nach 20 Minuten ist die OP schon vorbei und der Mediziner legt dem Mädchen einen Augenverband an.
Ihr großer Bruder Bogale holt sie nach der OP ab und spricht ihr gut zu.
Am nächsten Morgen sind Emam Set und Bogale wieder beim Arzt, damit der Verband entfernt werden kann. Jetzt kann das Mädchen wieder hoffnungsvoll in die Zukunft blicken.
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Wie Emam Set litt auch Ayalew Gizaw an Grauem Star – ganze 17 Jahre lang war er auf beiden Augen blind. Seine Enkelin Habatam musste sich um ihn kümmern und konnte deswegen nicht zur Schule gehen. Darüber war sie sehr traurig, da sie gern wie die anderen Kinder etwas lernen wollte. Doch Menschen für Menschen gab auch Ayalew das Augenlicht zurück. Habatam freute sich darüber sehr: Endlich durfte sie zur Schule gehen!

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Auch Ayalew und Habatam sind glücklich, dass Menschen für Menschen die kostenlose Operation ermöglicht hat.

Grauer Star ist eine häufige Alterskrankheit. Da es in Äthiopien aber kaum Augenärzte gibt, sind viele Menschen dort blind – obwohl sie es nicht sein müssten. Auf ca. 108 Millionen Äthiopier kommen nur etwa 120 Augenärzte, so der einheimische Arzt Fekadu Kassahun.

 

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Die meisten Augenärzte leben und arbeiten in der Hauptstadt Addis Abeba – unerreichbar für die arme Landbevölkerung.

Mit Ihrer Hilfe haben die erkrankten Menschen eine Chance auf Heilung. Denn um die Operationen kostenlos anbieten zu können, brauchen wir Spenden. Medikamente, Verbandsmaterial und die Nachsorge können wir durch Ihren Beitrag finanzieren.

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Zwanzig Minuten für ein neues Leben

Schwerpunkt: Gesundheit
Projektgebiet: Borena
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Zwei Brüder, ein Schicksal: Lakew und Abiye Ganfur sind blind. Sie leiden am Grauen Star. So wie viele Hundertausende Äthiopier. Die Krankheit ist heilbar. Doch es fehlt an Augenärzten, vor allem auf dem Land. Daher organisiert Menschen für Menschen dort Operationen.

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Für die beiden Brüder Lakew und Abiye ist es unbezahlbar, wieder sehen zu können. Das Video zeigt den emotionalen Weg zurück zu einem Leben im Licht.
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Lakew Ganfur beugt sich nach vorne, nach hinten. zieht die Augenbrauen hoch. “Wie viele Finger zeige ich dir?”, fragt Tiringo Hibiste und hält ihm ihren Zeigefinger vors Gesicht. “Fünf” krächzt der 78-Jährige. Es ist geraten, denn ihre Hand kann er nicht sehen. Lakew ist auf beiden Augen am Grauen Star erkrankt und nahezu komplett blind. Wenig später ist der nächste Patient an der Reihe. Es ist Abiye Ganfur. Lakews älterer Bruder. Auch er vor einem Jahr erblindet.

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Was siehst du? Bei einer Voruntersuchung wird kontrolliert, ob Abiye Ganfur den Strahl der Taschenlampe ausmachen kann.

Die Krankheit verläuft schleichend. Über Monate oder Jahre nimmt die Trübung der Linsen zu – als würde sich ein immer dichterer Nebel vor das Auge der Betroffenen schieben. Bei Lakew fing es vor sechs Jahren an. “Hab’ nie geglaubt, dass ich eines Tages blind sein werde”, sagt er. Zwei Tage – zu Fuß und mit Kleinbussen – sind die Brüder von ihrem Zuhause nach Mekane Selam zur Zentrale der Äthiopienhilfe im Projektgebiet Borena gereist. Hier soll ihrem Leiden ein Ende gesetzt werden.

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Fehlende Augenärzte

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So wie Abiye und Lakew geht es vielen Menschen in Äthiopien. Das Land hat eine der höchsten Blindenrate der Welt. Laut der Hilfsorganisatoin Licht für die Welt sind etwa 2,4 Prozent der Bevölkerung am Grauen Star erkrankt. Er ist nach der Trachomerkrankung die zweithäufigste Ursache für Erblindung.

Grauer Star kann durch eine Routineoperation geheilt werden. Doch mangelt es, wie in vielen afrikanischen Staaten, an medizinischem Personal: Laut WHO ist ein Augenarzt in Afrika statistisch gesehen für eine Million Menschen zuständig, in Deutschland für rund 13.000. Die überwiegende Anzahl praktiziert in den großen Städten wie Addis Abeba. Für Menschen in entlegenen Gebieten sind sie oft unerreichbar. Zu weit die Reise, unerschwinglich der Transport, die Unterkunft in der Stadt und die Kosten für die Operation.

Um ihnen dennoch eine Chance auf eine Heilung zu geben, organisiert Menschen für Menschen mehrmals im Jahr kostenlose Operationen. Mitarbeiter wie Tiringo Hibiste kontrollieren bei einer Voruntersuchung, ob die Patienten tatsächlich an Grauem Star leiden oder beispielsweise an der bakteriellen Infektion Trachom. Die kann die Krankenschwester selbst behandeln. Die Operation am Grauen Star führt ein dafür ausgebildeter Augenarzt, wie Fekadu Kassahun, durch. Neben seinem Job in einem Krankenhaus in der Hauptstadt arbeitet er mit der Äthiopienhilfe zusammen. Die Stiftung bezahlt dem Arzt und seinen Helfern ein Tagegeld, die Linsen und das benötigte medizinische Material wie Nadeln, Watte und Desinfektionsmittel. Für Transport und Logis kommen die Regierung und das Krankenhaus auf. Im ersten Halbjahr 2019 konnte Menschen für Menschen so 593 Graue Star-Operationen ermöglichen.

Bevor er zum ersten Mal in ein Projektgebiet kommt, müssen Mitarbeiter der Äthiopienhilfe auf die anstehende Möglichkeit von Operationen hinweisen. “Die Menschen wissen oft nicht, woran sie erkrankt sind und dass wir ihnen helfen können”, erklärt Fekadu. “Mittlerweile kennen viele jemanden, den wir heilen konnten.” So war es auch bei Abiye und Lakew. Ein Mann ihrer Kirchengemeinde gewann durch die Operation sein Augenlicht zurück.

“Wir sind sicher, dass wir in guten Händen sind”, sagt der 85-jährige Abiye. Zunächst hatte er seinen jüngeren Bruder getröstet, der nach und nach immer schlechter sehen konnte. Als er vor vier Jahren ebenfalls merkte, dass sich seine Sicht eintrübt, bekam er große Angst. “Ich wollte nicht so enden wie er”, erinnert sich Abiye. “Oft habe ich mich gefragt, was wir als Familie falsch gemacht haben, warum wir so verflucht wurden.”

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Ohne die Familie hilflos: Aibyes Sohn Fentahun muss seinen Vater und Onkel zur Operation begleiten, sie zur Untersuchung führen.
Ohne die Familie hilflos: Aibyes Sohn Fentahun muss seinen Vater und Onkel zur Operation begleiten, sie zur Untersuchung führen.
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Die beiden Brüder haben ihr Leben miteinander verbracht. Als Kinder waren sie zusammen jagen, später erzählten sie sich von ihrem ersten Kuss, und obwohl beide heirateten und Kinder bekamen, leben sie auf demselben Grundstück. Von ihrer gemeinsamen Ernte sind ihre Familien abhängig.

Zuletzt mussten ihre Kinder die Arbeit auf dem Feld erledigen. Zur Operation begleitet sie Abiyes Sohn Fentahun. Gehen die drei über das Gelände der Projektzentrale, geht er voran. Abiye und Lakew hinterher, den Schal des Vordermannes umklammert. “Ich kann kaum erwarten, das Gesicht dieses Mannes wiederzusehen”, sagt Abiye. Lakew lacht. Beide werden zuerst an einem Auge operiert. Für das andere müssen sie noch einmal wiederkehren.

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Nicht zu lange warten

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Abiye und Lakew hatten Glück, ihr Grauer Star kann noch behandelt werden. Schreitet die Krankheit schneller voran oder bleibt sie über lange Zeit unbehandelt, kann der Augeninnendruck steigen. Aus dem Grauen wird so ein Grüner Star, der den Sehnerv irreparabel schädigt. So wie bei der 85-jährigen Debre Marsha. Vor sechs Jahren trübten sich ihre Augen, dazu bekam sie eine Infektion. Zum Arzt ging sie nie.

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Schlechte Nachriten: Da sie nie zum Arzt ging, wurde aus Debre Marshas Grauem ein Grüner Star. Er ist irreparabel.

Sie ist mit ihrem elfjährigen Enkel Melese Amare gekommen. Er steht neben ihr, als ihr die Krankenschwester Terengo  die schlechten Nachricht überbringt: “Wir können leider nichts mehr machen”, sagt sie ruhig. Debre schluckt, ihr Oberkörper sackt in sich zusammen. “Ich wollte doch wieder sehen können”, flüstert sie.

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Melese stützt sie beim Aufstehen.  Mit seinem jüngeren Bruder kümmert er sich auch sonst um seine Großmutter,  bringt sie auf die Toilette, hilft ihr, sich zu waschen, beleitet sie zur Kirche. Durch die Betreuung schafft er es häufig nicht pünktlich zum Unterricht, lässt ihn sogar immer wieder ausfallen. “Ich hatte so gehofft, dass sie wieder sehen kann”, sagt er. “Dann hätte ich regelmäßiger zur Schule gehen können.”

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Hoffnung auch für die Jüngsten

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Alter ist der Hauptgrund für Grauen Star. Doch auch andere Krankheiten wie Diabetes oder eine Verletzung können die Augentrübung zur Folge haben. Auch eine Zwölfjährige ist unter den Patienten in Borena.

Wie jedes Wochenende ging Emam Set Aytenew vor einem Jahr in den Wald, sammelte Feuerholz für ihre Familie. Doch die Äste und Sträucher vom Boden waren alle bereits aufgesammelt. Also kletterte sie auf einen Baum. Sie rutschte ab und ein Ast schlug ihr ins  linke Auge. Trotz Schmerzen konnte sie mit eigener Kraft nach Hause taumeln. Drei Wochen nach dem Unfall verschlechterte sich ihre Sehkraft, immer mehr trübte sich ihre Linse ein.

“Ich möchte endlich wieder richtig schreiben können”, sagt Emam Set, die einmal Lehrerin werden möchte. Sie besucht die 5. Klasse. Zwar konnte sie die Schrift in Arbeitsheften und auf der Tafel noch lesen, doch beim Schreiben auf einer Linie musste ihre beste Freundin ihr helfen. Als ihr Onkel auf dem Markt erfuhr, dass Menschen für Menschen die Operation in Borena anbietet, machte sich Emam Set auf den Weg.

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Unter den Augen von Karlheinz Böhm

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“Mitzubekommen, wie glücklich die Menschen sind, wenn sie wieder sehen können, entschädigt für alle Strapazen”, sagt Fekadu, der in Borena täglich hoch konzentriert bis zu 25 Patienten operiert. “Ganz besonders, wenn es Kinder sind, die nach der Operation wieder zur Schule gehen können.”

Zwanzig Minuten, mehr braucht er nicht, um Abiye, Lakew, Emam Set jeweils ein neues Leben zu schenken. Unter den Augen von Karlheinz Böhm, dessen Portrait in dem Operationssaal an der Wand hängt, schaut Fekadu durch ein Mikroskop auf das Auge.

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Das linke Auge der zwölfjährigen Emam Set wird vor der Operation betäubt. Vor dem Eingriff hat sie Angst, doch sie hält durch: Denn sie will endlich wieder auf beiden Augen sehen können.

Er setzt einen kleinen Schnitt in der Hornhaut. Durch den Zugang kann er die trübe Linse zerkleinern, absaugen und durch eine Kunstlinse ersetzen. Mit einem Augenverband werden seine Patienten wieder in die Obhut ihrer Angehörigen übergeben. Sie sollen sich ausruhen. Bis zum nächsten Morgen.

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Noch bevor die Kälte der Nacht verflogen ist, sitzen 25 Menschen dicht nebeneinander auf der Bank vor dem Behandlungszimmer. Terengo zieht die erste Augenbinde ab, dann die nächste und die nächste. “Ich kann sehen!”, platzt es aus Abiye hervor. Überwältigt von dem zurückgewonnenen Augenlicht lachen und klatschen die Patienten. Ein älterer Mann bricht in Freudentränen aus. Er reißt die Arme in die Höhe, betet. Wie bei der Voruntersuchung lässt die Krankenschwester Terengo die Männer und Frauen sagen, wie viele Finger sie ihnen entgegen streckt. Lakew ist an der Reihe. “Fünf” ruft er. Dieses Mal stimmt es.

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Im Kampf gegen das Erblinden

Schwerpunkt: Gesundheit
Projektgebiet: Wore Illu
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Bleibt die bakterielle Augeninfektion Trachom unbehandelt, erblinden Betroffene langsam und schmerzhaft. Die Menschen von ihrem Leiden zu befreien und die Ausbreitung der Krankheit einzudämmen, dafür kämpft Menschen für Menschen seit Jahren. Ein Besuch im Projektgebiet Wore Illu.

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Es war ein glücklicher Zufall, der Tesehay Feke vor einer Erblindung rettete. Die 32-Jährige wartete wegen Rückenschmerzen im Gesundheitszentrums von Wore Illu, einer Kleinstadt im äthiopischen Hochland, auf ihren Termin. Eine kleine, freundliche Frau ging auf sie zu: Dabash Bekele. “Tut dir dein Auge weh?”, fragte sie. Seit mehr als 15 Jahren arbeitet die Krankenschwester für Menschen für Menschen in der Augenheilkunde. Schon aus der Ferne erkannte sie Tesehays gerötetes linkes Auge, die verklebten Wimpern. Nach einer kurzen Untersuchung war sich Dabash sicher: Tesehay litt an einem fortgeschrittenen Trachom, einer bakteriellen Augeninfektion.

Zuerst setzen sich die Bakterien (Chlamydia trachomatis) an der Innenseite des oberen Lides fest. Kleine Lymphknötchen bilden sich, sie platzen mit der Zeit. Das Augenlid vernarbt, zieht sich dadurch zusammen und dreht sich nach innen ein. Bei jedem Blinzeln kratzen die Wimpern auf der Hornhaut. Es brennt und juckt. Kann die Infektion zu Beginn noch mit einer antibiotischen Salbe behandelt werden, lässt sich das Auge in diesem Zustand, als Trichiasis bezeichnet, nur durch eine Operation retten. Ansonsten  trübt sich die Hornhaut – der Betroffene erblindet langsam und schmerzhaft.

Noch immer ist Äthiopien das am stärksten von dieser Erkrankung betroffene Land. Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) leben knapp zwei Drittel der äthiopischen Gesamtbevölkerung, also 75 Millionen Menschen, in Gebieten, in denen die höchst ansteckende Augeninfektion verbreitet ist. Etwa 700 000 Personen im Land brauchen dringend eine Operation. So wie Tesehay.

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Gefährliche Unwissenheit

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Bereits einen Tag nach der schicksalshaften Begegnung mit Dabash liegt Teshay bei der Krankenschwetser auf der Behandlungsliege. Dabash deckt sie mit einem sauberem Tuch zu, nur ihr linkes Auge bleibt frei. Sie betäubt das Lid mit einer Spritze, setzt einen kleinen Schnitt, näht es so wieder zusammen, dass die Wimpern nicht mehr auf der Hornhaut scheuern. Nach nur 15 Minuten ist Tesehays Leiden beendet. Obwohl die junge Bäuerin die vergangenen vier Jahre von starken schmerzen geplagt wurde, ging sie nicht zum Arzt. “Ich wusste nicht, dass es überhaupt eine Operation dafür gibt.”

In den abgelegenen Projektgebieten bietet Menschen für Menschen daher nicht nur die Operation an, für die sie pro Person etwa 10 Euro investiert. Mitarbeiter der Stiftung informieren an Schulen, in Dörfern und Gesundheitszentren über die Ursachen und Symptome. “Der Grund für eine Ansteckung  ist oft mangelnde Hygiene”, erklärt Dabash. Geschlossene Latrinen, die Trennung des Lebensraumes von Vieh und Mensch und das regelmäßige Waschen von Gesicht mit sauberem Wasser können der Krankheit vorbeugen.

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Monate voller Schmerzen

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Neben Tesehay warten rund zwei Dutzend andere Menschen im Gesundheitszentrum auf ihren Eingriff. Auch der 65-jährige Kassaw Ali. Sein rechtes Auge ist rot.

Zwei lange Jahre litt er. Als sein Augenlid begann, sich nach Innen zu drehen, ging er wie viele andere zu einem traditionellen Heiler, der ihm die Wimpern ausrupfte. Die Methode bringt zunächst Erleichterung, doch die nachwachsenden Wimpern kratzen umso mehr. “Das vergangene Wochenende war die Hölle!”, sagt Kassaw. Immer und immer wieder wusch er sich das Gesicht. Es war das Einzige, was das Brennen und Jucken für ein Paar Sekunden vertrieb.

Zusammen mit seiner Frau und zwei seiner fünf Kinder lebt der Bauer in Tumeli, 30 Minuten zu Fuß von Wore Illu entfernt. Als er auf dem Markt  Ziegen verkaufte, hörte er, dass die Äthiopienhilfe eine Operation für Erkrankte wie ihn anbieten.

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Wichtige Nachsorge: Die Krankenschwester Dabash Bekele gibt ihrem Patienten Kassaw Ali eine Salbe, die er auf sein operiertes Augenlied auftragen soll.

“Ich bin dir so dankbar”, sagt Kassaw, als ihm Dabash nach der Operation eine Salbe in die Hände drückt. “Heute solltest du dich etwas ausruhen und darfst nicht mehr arbeiten. Hörst du?” Kassaw nickt.

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Aus guter Erfahrung gelernt: Misaw Bekele wurde vor einigen Monaten an beiden Augen operiert, seither lässt sie ihre Augen regelmäßig untersuchen.

Wie schmerzhaft die Infektion sein kann, weiß auch Misaw Bekele. Bei ihr waren beiden Augen befallen. Drei Monate lag sie nur im Bett. Misaw ist Witwe und alleinerziehend. Durch die Trachom-Erkrankung konnte sich nicht mehr für ihren beiden Töchter, 13 und 16 Jahre alt, sorgen.

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“Ich war meinen Nachbarn damals so dankbar”, erinnert sich Misaw. “Ich weiß nicht, wie wir es ohne sie geschafft hätten.” Sie brachten der Familie Essen, besuchten sie am Krankenbett. Doch trotz der Hilfe aus dem Dorf mussten Misaws Töchter ihre Schule unterbrechen, um Geld zu verdienen. Sie gingen Putzen, wuschen für andere Familien die Wäsche. “Das war schwer auszuhalten.”

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Zurück in die Schule

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Die Erlösung brachte der Anruf einer Tante, deren Trachom durch den Eingriff geheilt wurde. Innerhalb weniger Monate operierte Dabash daraufhin Misaws Augen. Erst das rechte, dann das linke. Seit dem Eingriff lässt sich die 45-Jährige einmal im Monat zur Vorsorge untersuchen.

Mittlerweile kann Misaw auch wieder arbeiten. Sie flechtet kunstvolle Tabletts und Körbe, verkauft sie auf dem Markt oder direkt in ihrem Wohnzimmer – pro Produkt verdient sie umgerechnet etwa 3 Euro. Nicht viel, aber genug, um wieder allein für sich und ihre Töchter zu sorgen. Seitdem es ihrer Mutter besser geht, können die beiden wieder zur Schule gehen.

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Zurück ins Licht

Schwerpunkt: Gesundheit
Projektgebiet: Borena
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Ayalew Gizaw war 17 Jahre lang blind. Durch Zufall geriet er an einen Augenarzt. Nach einer simplen Operation konnte Ayalew wieder sehen. Es ist ein Schicksal unter vielen: Grauer Star ist leicht heilbar, doch es fehlt an Augenärzten in Äthiopien. Hunderttausende Menschen sind blind – obwohl sie es nicht sein müssten.

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Ayalew Gizaw war etwa 60 Jahre alt, als seine Augen immer trüber wurden. “Erst war es nur das linke Auge, dann auch das rechte”, erzählt er. Weil er keine Erklärung für sein Leiden hatte, bastelte er sich eine Theorie: Die Milch des großen Kaktus, der hinter seinem Haus steht, sei schuld an seiner schwindenden Sehkraft. Er mied die Pflanze, doch das half nicht: Nach sechs Monaten lag die Welt für Ayalew Gizaw vollends hinter einem milchig-grauen Schleier. Die Familie brachte ihn in ein Krankenhaus. “Doch die Ärzte schickten uns wieder weg”, sagt Ayalew. “Sie sagten mir nicht einmal, woran ich litt.” Das war vor etwa 20 Jahren.

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Ayalew Gizaw war etwa 60 Jahre alt, als seine Augen immer trüber wurden.

Wenn Ayalew Gizaw seine Geschichte heute erzählt, funkeln seine dunklen Pupillen, und ein verschmitztes Lächeln umspielt seinen Mund. Wo einst ein kräftiger Schneidezahn steckte, klafft eine große Lücke. Auf die Frage, wie alt er ist, hält Ayalew einen Moment inne. “Etwa 80”, sagt er dann. Es könnten auch ein paar Jahre mehr sein, so genau weiß das niemand.

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Dafür kennt Ayalew Gizaw das Geheimnis eines langen Lebens: “Man muss in Bewegung bleiben”, sagt er. “Ich habe auf dem Feld gearbeitet, seit ich ein Kind war. Erst, um meinen Eltern zu helfen, später, um meine eigene Familie zu ernähren.” Ayalew war der erste, der ein Wellblechdach auf seine Hütte zimmerte, als alle anderen im Dorf noch Strohdächer hatten. Es war ein Leben für die Arbeit, das mit Ayalews Augenlicht verschwand. Zurück blieb ein gebrochener Mann.

Und eine Familie, die sich neu organisieren musste: Ayalews Sohn Ibrahim, damals 21, übernahm viele Aufgaben des Vaters. Seine Tochter Etatu betreute ihn rund um die Uhr. “In meinen Träumen sah ich mich auf dem Feld schuften, aber als ich aufwachte, war da nur wieder dieses Grau”, sagt Ayalew. Etwa zehn Jahre vergingen, in denen 14 Enkelkinder geboren wurden, die Ayalew zwar hören, aber nicht sehen konnte. Eines von ihnen, die kleine Habatam, übernahm im Alter von fünf Jahren die Aufgabe, den Großvater zu betreuen. Sie führte ihn aufs Feld oder zur Kirche und half ihm bei den täglichen Handgriffen. “Er erzählte mir oft vom Allmächtigen”, erinnert sich Habatam. “Er sagte: ‘Man kann es nicht verstehen, aber es ist sein Wille, dass ich blind bin.’ Wenn das tatsächlich so ist, dann wünscht sich Gott wohl auch, dass ich nicht zur Schule gehen kann”, dachte Habatam.

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Ein simpler Eingriff lässt Blinde wieder sehen

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Der etwa 80-jährige Ayalew Gizaw mit seiner Enkelin Habatm bei der Feldarbeit.

Es dauerte fünf weitere Jahre, bis die Familie die Chance erhielt, sich über “den Willen Gottes” hinwegzusetzen. Ayalews Sohn Tefara war an jenem Tag aus ihrem Dorf Dibichere in die nächste Stadt, nach Mekane Selam, marschiert, um ein Schaf auf dem Markt zu verkaufen. Auf dem Weg zum Markt fuhr ein Auto mit einem Lautsprecher auf dem Dach an ihm vorbei.

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“Eine Stimme erzählte von kostenlosen Behandlungen und Operationen”, erzählt Tefara. Die Stiftung Menschen für Menschen hatte einige Augenärzte nach Mekane Selam, wo auch die Zentrale des Projektgebiets Borena angesiedelt ist, geholt, um kostenlose Grauer-Star-Operationen anzubieten. Die Augenkrankheit ist mit einem kleinen Eingriff heilbar, doch auf dem Land in Äthiopien fehlt es an medizinischem Personal. Deshalb erblinden bis heute Menschen an dem heilbaren, aber unbehandelten Augenleiden.

Einer Studie des äthiopischen Gesundheitsministeriums zufolge sind rund 1,2 Millionen Äthiopier blind, die Hälfte von ihnen als Folge des Grauen Stars. Mittlerweile dürften die Zahlen höher sein, denn seit Veröffentlichung der Studie sind zehn Jahre vergangen – und die Bevölkerung Äthiopiens ist von rund 75 Millionen auf mehr als 100 Millionen Menschen gewachsen.

Als Tefara die Stimme aus dem Lautsprecher gehört hatte, lief er sofort nach Hause und erzählte dem Vater davon. Gemeinsam zogen sie los, doch auf halbem Weg packten Ayalew die Zweifel. Er hatte keine Erfahrungen mit Ärzten und fürchtete, sie könnten ihm vielleicht mehr schaden als nutzen. Tefara redete auf seinen Vater ein, und schaffte es schließlich, ihn zu überzeugen. Dann ging  lles ganz schnell: Ayalew wurde noch am selben Tag operiert. Ihm wurden zwei neue Linsen eingesetzt. Drei Tage später wurden die Verbände entfernt, und der alte Mann sah seine Enkelin Habatam im Raum stehen. Er traute seinen Augen nicht recht. “Wer bist du?”, fragte er skeptisch. “Ich bin Habatam”, sagte das Mädchen. Ayalew erkannte ihre Stimme und rief: “Ich kann dich sehen!”

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Ein neues Leben – Für Großvater und Enkelin

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Auf dem Weg zurück musste Habatam den Großvater zum ersten Mal nicht führen. Er konnte selbst über die holprigen Feldwege heimwärts laufen. Als sie in ihrem Dorf ankamen und das Grundstück betraten, erkannte Ayalew es kaum wieder. “Alles hatte sich verändert”, sagt er. Auch Simegn, seine Frau, hatte sich verändert. Als Ayalew sie sah, sagte er: “Du bist aber alt geworden.” Simegn entgegnete nur: “Du auch!” Immerhin: Ihr Humor war der alte. Seine Schaffenskraft sowieso: Schon am nächsten Tag marschierte er aufs Feld, um zu arbeiten. Auch für Habatam begann ein neues Leben. Das Mädchen war mittlerweile zehn Jahre alt – und konnte endlich zur Schule gehen.

Das war vor fünf Jahren. Ayalew blickt zu seiner Frau Simegn hinüber, in deren Pupillen ein zarter grauer Schleier zu sehen ist. Grauer Star. Doch das ist heute kaum noch ein Problem, denn Menschen für Menschen bietet zweimal im Jahr OP-Termine für die Menschen aus der Region an. Simegn hat sich bereits angemeldet, in ein paar Monaten ist der Termin. “Diese Krankheit ist wie ein Gefängnis, dessen Tür sich langsam schließt”, sagt Ayalew. “Die Operation hat mir die Freiheit wieder geschenkt.”

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Die Stiftung Menschen für Menschen - Karlheinz Böhms Äthiopienhilfe ist eine öffentliche Stiftung des bürgerlichen Rechts. Sie wird beim Finanzamt München unter der Steuernummer 143/235/72144 geführt und wurde zuletzt mit Bescheid vom 6. September 2021 wegen Förderung steuerbegünstigter Zwecke von der Körperschafts- und Gewerbesteuer befreit und somit als gemeinnützige Organisation anerkannt.