Geschichten auf Ziegenleder

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Wer Addis Abeba besucht und dem hektischen Alltag der Stadt für einen Moment entkommen möchte, besucht die St. George Gallery. Sie wurde 1991 als erste Galerie der Stadt eröffnet und verfügt heute über eine der wichtigsten Sammlungen äthiopischer und afrikanischer Kunst überhaupt. Von antiken Silberkreuzen der äthiopisch-orthodoxen Kirche über handgewebte Stoffe bis zu moderner Kunst und Designerschmuck: Hier wird die Vielfalt des Kontinents greifbar!
Zu den Highlights der ständigen Ausstellung gehören die Werke der traditionellen äthiopischen Malerei. Man erkennt sie an den kräftigen Farben, den klaren Linien – und an den Figuren mit den überdimensionalen Augen. Oft zeigen die Bilder Bibelgeschichten. Da ist die Jungfrau Maria mit dem Jesuskind. Der Heilige Georg, der als Schutzheiliger Äthiopiens gilt. Oder die Königin von Saba, von der die äthiopischen Kaiser abstammen sollen. Spätere Werke stellen Alltagsszenen dar. Sie erzählen Geschichten von der Viehzucht, vom Ackerbau oder von der Jagd.
Die ältesten erhaltenen Zeugnisse dieser „narrativen Malerei“ gehen auf die Jahrtausendwende zurück. Seither haben die Künstler ihr Wissen von Generation zu Generation weitergegeben.
Neue Techniken und Motive kamen hinzu, doch im Kern blieb der Stil unverändert. Heute zieren die berühmtesten Werke die Wände der alten Kathedrale von Aksum, die Decken der Debre Birhan Selassie Kirche in der Kaiserstadt Gondar und viele weitere wichtige Gotteshäuser Äthiopiens. Als Ikonen schmücken sie historische Bibeln und als Volkskunst so manches Wohnzimmer im Land.
Leider gibt es nicht mehr viele Menschen, die diese Bilder malen. Zu den berühmtesten Vertretern gehört Etsubdink Legesse. Sie lernte das Handwerk schon als Kind von ihrem Vater, wuchs zu seiner Assistentin heran und führt sein Erbe seit seinem Tod weiter. Heute ist Etsubdink 45 Jahre alt und hat sich ganz der Kunst verschrieben. In einem kleinen Atelier im Hof ihres Wohnhauses fertigt sie Skizzen an und überträgt sie mit Pinsel und Acrylfarben auf Ziegenleder.



„Wenn ich male, vergesse ich Zeit und Raum“, sagt Etsubdink Legesse (45). Manchmal klopft der kleine Noah (6) an ihre Tür und fragt nach Pinsel und Papier. Am liebsten malt er Unterwasserlandschaften.
„Mein Vater hat mir eingeschärft, dem traditionellen Stil treu zu bleiben“, sagt sie. Ihre Werke hängen in Hotellobbys und Gemeindehäusern oder werden von Privatleuten gekauft. „Mein größter Traum ist es, mein Wissen eines Tages weiterzugeben“, sagt sie. Am Nachmittag klopft es manchmal an der Tür ihres Ateliers. Dann steht der Nachbarsjunge Noah vor der Tür. Sie drückt dem Sechsjährigen Pinsel und Papier in die Hand – und Noah malt, was ihm in den Sinn kommt. Er hat Talent.
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