
Schutz für Mendeyo
Aufforsten gegen die Flut
Erodierte Böden und überschwemmtes Ackerland bedrohten einst das Leben in Mendeyo. Wie vielerorts in Äthiopien hatte die Bevölkerung des Dorfes im Projektgebiet Borena die Wälder für Feuerholz und Baumaterial gerodet. Nun forsten die Dorfbewohner und Menschen für Menschen die Berghänge wieder auf – und die Hoffnung kehrt zurück.
Vier Jahre ist es her, dass sich die Bewohner Mendeyos gegenseitig vergaben. Sie legten ihre Streitereien nieder, räumten Missverständnisse und Meinungsverschiedenheiten aus dem Weg. Und sie begannen zu beten. So wollten sie Gott besänftigen. Denn das, was bei ihnen im Dorf geschah, so glaubten sie, war seine Strafe für ihre Sünden. Es war August. Nach Wochen ungewöhnlicher Dürre hatte es tagelang geregnet. Viel zu stark. Die Wassermassen hatten sich ihren Weg gebahnt, waren die Berghänge hinuntergeschossen, hatten Felder sowie Dorfstraßen überschwemmt und tiefe Furchen in den Boden gerissen. Einige Gräben kamen dem Kirchengelände gefährlich nah. „Wir fürchteten, dass der nächste Regen die Erde auf unserem Friedhof wegspülen und die Leichen unserer Verstorbenen freilegen könnte“, erinnert sich Wendale Gizaw. Um seinen Hals baumelt ein silbernes Kreuz. Der 45-Jährige ist Priester der St. Marie Kirche in Mendeyo und rief seine Gemeinde damals zum Beten auf. „Viele waren persönlich von der Flut betroffen.“
So wie Getu Amare. Gemeinsam mit seiner Frau und fünf seiner insgesamt zehn Kinder lebt der Landwirt in der Nähe der Kirche. Die Wohnhütte steht am Fuße eines abschüssigen Hangs, in einer Senke, bevor der Berg dahinter weiter hinab führt. Der heute knapp 60-Jährige, leicht ergrauter Bart, freundliches Lächeln, erinnert sich genau an die Flut: „Meine Frau und ich lagen im Bett und hörten den Regen auf unserem Dach prasseln. So stark wie noch nie“. Das Paar bemerkte, dass erstes Wasser in die Räume floss. Während seine Frau und die Kinder versuchten, es aus der Hütte zu schöpfen und panisch Schulbücher und Habseligkeiten einsammelten, verstand Getu, dass sie verschwinden müssen. „Ich packte meine Frau am Arm, rief die Kinder. Wir liefen den Berg hinauf.“

Gerade noch rechtzeitig, die Senke füllte sich wie ein Pool mit Wasser. Erst als sich der Regen nach einer Woche legte, kehrten sie zurück. „Es war furchtbar!“, erinnert sich Getu. In den Räumen stand Wasser, brauner Schlamm bedeckte sämtliche Möbel, Matratzen, Töpfe, ihre Kleidung, die gelagerte Teff- und Weizenernte sowie die Düngemittel waren verloren. „Und auch Viehfutter für ein Jahr war komplett zerstört.“
Gemeinsam gegen die Fluten
Schon in den Jahren zuvor bedrohten starker Regen und Fluten die Existenz der Familie. Mehrmals wurde die Ackerfläche überschwemmt, von der Getu, seine Frau und die Kinder leben. „Ich verlor regelmäßig meine Ernte“, sagt er. „Doch dieses Mal traf es auch unser Zuhause.“ Von der Regierung bekamen sie einige Säcke Weizen. Getu verkaufte einen Ochsen und den einzigen Esel, den er besaß. Und er lieh sich Geld bei Verwandten, um das Nötigste zu ersetzen und Nahrung zu kaufen.
„So kamen wir irgendwie über die Runden“, erklärt er. Um besser gegen die Fluten gewappnet zu sein, begann Getu, um sein Haus eine Mauer zu errichten. Alle packten mit an. Sie trugen Steine herbei, stopften die Löcher mit Ästen „Trotzdem hatte ich Angst, dass die Mauer dem nächsten starken Regen nicht standhält.“ Nichts stellte sich den Fluten in den Weg.

Auf den Hängen ober- und unterhalb von Mendeyo wachsen nur wenige Bäume und Sträucher. Das war einmal anders. Getu, der in Mendeyo geboren wurde, erinnert sich: „Hier wuchs ein dichter, immergrüner Wald. Darin gab es viele wilde Tiere. Doch die Familien wuchsen. Wir alle brauchten Feuerholz und mussten Hütten bauen.“ Hinzukommt, dass die Menschen ihr Vieh auf den Hängen weiden ließen, das auch die letzten Sträucher und kleinen Bäume wegfraß.
Um der Erosion entgegenzuwirken, Menschen, Tiere und Ernte vor den Fluten zu schützen, forstet Menschen für Menschen in ganz Äthiopien Berghänge und ganze Landstriche wieder auf. So auch im Projektgebiet Borena im äthiopischen Hochland, rund 580 Kilometer nördlich von Addis Abeba. In einem Projekt, finanziert vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), wurde 2020 um Mendeyo eine Fläche von 400 Hektar geschützt. Niemand darf dort Feuerholz schlagen oder seine Tiere weiden lassen. Gemeinsam mit Mitarbeitenden der Stiftung legte die Bevölkerung Terrassen an und bepflanzt diese mit Baumsetzlingen. Das darunterliegende Ackerland der Landwirte, auch das von Getu, soll so zukünftig geschützt sein.
Im Dorf selbst unterstützte die Stiftung Getu und die anderen Bewohner beim Anlegen von Gabionen: steingefüllte Stahlkörbe, die die Erosionsgräben befestigen. „Als ich am Kirchengelände sah, wie stabil sie sind, wusste ich, dass mein Zuhause jetzt gut geschützt ist“, sagt Getu. Nicht nur mit den Gabionen, die heute am Rand seines Gartens oberhalb seiner Hütte verlaufen, half Menschen für Menschen ihm und seiner Familie. Sie bekamen Hühner, verbessertes Saatgut für Weizen und Zwiebeln, die Getus Frau auf dem Markt verkaufen kann. Ein Entwicklungsberater zeigte ihnen, wie sie aus getrocknetem Kuhdung Brennstoff herstellen können und stattete sie mit einem holzsparenden Ofen aus. Früher hat Getu oft überlegt, seine Heimat zu verlassen, wegzuziehen, weiter oben auf einen Berg. Diesen Plan hat er verworfen. Er ist glücklich, dass es dank der Stiftung für ihn und seine Familie in Mendeyo wieder eine Zukunft gibt. Ohne Angst vor dem nächsten Regen. „Unsere Gebete wurden erhört.“