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Selbstgewebte Zukunft

Schwerpunkt: Einkommen
Projektgebiet: Wore Illu
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In der Gemeinde Hochecho im zentraläthiopischen Hochland mangelt es an vielem: Immer mehr Menschen müssen sich das knappe fruchtbare Land teilen. Es fehlt an Nahrung, an Jobmöglichkeiten, an Geld zum Leben. Junge Frauen und Männer zieht es daher häufig nach Addis Abeba oder sie flüchten vor ihrer Ausweglosigkeit ins Ausland. Menschen für Menschen setzt hingegen auf neue Perspektiven in ihrer Heimat – ein Besuch bei den Teppichwebern in der Projektregion Wore Illu.

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Als ihr Sohn drei Jahre alt wurde, traf Aysha Mohammed die bisher schwerste Entscheidung ihres Lebens. Sie verließ ihr Kind, ihre Eltern, die vier Geschwister und ihre Heimat. Das Ziel: Saudi Arabien. Als Haushälterin wollte sie endlich Geld verdienen, zugunsten einer besseren Zukunft für sich und ihren kleinen Sohn. Zu Hause in der Gemeinde Hochecho, rund 300 Kilometer nordöstlich von Addis Abeba, ist das bis heute nur schwer möglich.

In der abgeschiedenen, ländlichen Region reicht das wenige fruchtbare Land kaum aus, um die wachsende Bevölkerung zu ernähren. Viele Familien leiden Hunger. Arbeit gibt es in der Regel nur auf dem Feld und im Haus der eigenen Familie – darüber hinaus haben junge Menschen wenig Möglichkeiten, selbst Geld zu verdienen.

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Wegen der Auswegslosigkeit scheiterte die Ehe von Aysha Mohammed. Um ihrem Kind trotzdem etwas zu bieten, traf sie eine schwere Entscheidung: Sie lies ihr Kind zurück, um in Saudi Arabien als Haushälterin zu arbeiten.

Auch die heute 22-jährige Aysha half ihrer Mutter nach ihrem Schulabschluss im Haushalt. Wenig später lernte sie ihren zukünftigen Ehemann kennen, wurde mit 17 schwanger. Doch bereits kurz nach der Geburt des Sohnes trennte sich das Paar. Zu auswegslos kam ihnen die Situation vor. „Wir waren komplett pleite und konnten uns kein gemeinsames Leben aufbauen“, sagt Aysha.

Doch ihr Traum, in Saudi-Arabien der eigenen Misere endlich zu entkommen, ging nicht in Erfüllung. Woche um Woche litt Aysha in der Fremde mehr, die Sehnsucht nach ihrem Sohn fraß sie auf. „Ich wurde depressiv“, erinnert sie sich.

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Spricht sie von der Zeit, wird ihre Stimme brüchig und immer leiser. Nach einem Jahr gab sie auf und kehrte nach Äthiopien zurück – mit leeren Händen:  Die Familie, für die sie in Saudi-Arabien arbeite, behielt ihren gesamten Lohn ein. Lediglich das Rückflugticket bezahlten sie ihr.

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Perspektiven in der Heimat schaffen

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Laut äthiopischem Ministerium für Arbeit und Soziales sind zwischen 2008 und 2013 etwa 460.000 Äthiopier in den Nahen Osten ausgewandert. Rund 85 Prozent waren Frauen aus ländlichen Regionen, die kaum die Schule besucht hatten und sich in der Ferne als Hausangestellte verdingten. Schätzungen zufolge liegt die Dunkelziffer allerdings deutlich höher, da die Statistik nur diejenigen aufführt, die legal ausgereist sind.

Im Herbst 2013 verbot die äthiopische Regierung die Auswanderung gering Qualifizierter in den Nahen Osten. Zuvor häuften sich Meldungen über Misshandlungen der Frauen. Saudi Arabien, eines der beliebtesten Zielländer, hatte außerdem mehrere Tausend illegale äthiopische Arbeitskräfte ausgewiesen. Trotzdem verlassen bis heute noch viele äthiopische Menschen ihr Heimatland. Sie sehen keinen anderen Ausweg aus ihrer Armut.

Hier setzt Menschen für Menschen an. In enger Abstimmung mit den lokalen Behörden hat das Entwicklungsteam der Äthiopienhilfe Menschen wie Aysha ausgemacht – desillusionierte Rückkehrende aus dem Ausland, aber auch junge Leute, die sich, aus welchen Gründen auch immer, bislang noch nicht aufgemacht haben und oft im Nichtstun verharren.

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Sozialarbeiterin Zumra Eberia (Mitte) erklärt den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Jobtrainings, wie aus dem selbstversponnenen Garn kunstvolle Teppiche werden.

“Vor dem Training und der Arbeit profitieren nicht nur die Teilnehmenden selbst”, erklärt Zumra Eberia. “Viele, die sonst die Region verlassen hätten, sehen endlich einen kleinen Fortschritt.” Die 29-jährige Sozialarbeiterin von Menschen für Menschen kennt die Gemeinde und ihre Probleme genau.

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Seit 2017 geht sie täglich von Hütte zu Hütte, zeigt den Bauernfamilien, wie sie auf Hygiene in der Küche, im Haushalt und auf dem Hof achten, klärt sie über Verhütung und die Vorteile von weniger Kindern auf. Auch Aysha und die anderen Mitglieder der Teppichgruppe hat sie von Beginn an begleitet und schaut regelmäßig in der Werkstatt der Kooperative vorbei.

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Unabhängig werden

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Schwungvoll bedient Aysha Mohammed die Spindel. Sie verdient Geld mit der Herstellung von Teppichen und Schalen und kann so sich und ihren Sohn versorgen.

In der großen Lehmhütte sitzt Aysha auf einem dünnen Baumstamm. Von draußen scheint die Sonne herein, während sie konzentriert auf die Handspindel vor sich schaut. Sie baumelt an zwei dicken Wollfäden, die Aysha mit ihrer linken Hand hoch in die Luft hält. Sie gibt der Spindel einen Schubs. Nach und nach verzwirnt sie so die beiden Garne miteinander. “Ich war so froh, meinen Sohn endlich wieder im Arm zu halten. Dass ich dann gleichzeitig noch die Chance bekommen habe, hier zu arbeiten, macht mich sehr glücklich!”, sagt Aysha. Ein Lächeln huscht über ihr Gesicht.

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Kedir Ali ist körperlich behindert und hat ebenfalls in der Werkstatt Arbeit gefunden.

Um sie herum herrscht rege Betriebsamkeit. Während Aysha und einige andere Frauen die Wollgarne spinnen, sitzt der 20-jährige Kedir Ali vor dem großen Webrahmen, der mehr als die Hälfte der Werkstatt einnimmt. Wenn man zuschaut, wie er gekonnt Garn für Garn verwebt, deutet nichts darauf hin, dass ihm vielen in seinem Leben sonst schwerer fällt.

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Mit vier Jahren schwollen seine Beine plötzlich an, schmerzten – er hatte sich mit einem Bakterium infiziert. Bis heute ist sein linkes Bein deformiert. Eine genaue Diagnose bekamen Kedirs Eltern damals vom Gesundheitspersonal im Dorf nicht. Kedir selbst vermutet, es war Polio.

Er war ein guter Schüler, doch in Hochecho reichte die Schule damals nur bis zur 8. Klasse. Undenkbar für ihn, den langen Fußmarsch zur nächstgelegenen weiterführenden Schule zu bewältigen. Fünf Jahre lang blieb Kedir daraufhin zu Hause, half seinen Eltern, so gut es ging, auf dem Feld und beim Versorgen der Tiere. Arbeit anzunehmen, bei der er schwer heben oder weit hätte laufen müssen, war für ihn unmöglich.

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Teppiche weben statt Wälder abholzen

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„Wir machen jetzt gleich eine Pause“, dringt eine laute Stimme durch die halbdunkle Werkstatt. Sie gehört Yeshi Muheye. Die 44-Jährige ist die Sprecherin der Gruppe und ebenfalls alleinerziehende Mutter. Früher stand sie häufig noch vor dem Morgengrauen auf und sammelte auf einen nahgelegenen Berg Feuerholz, das sie später auf dem Markt verkaufte. Von dem geringen Erlös konnte sie kaum sich und ihre drei Kinder ernähren, machte sich aber strafbar und riskierte verhaftet zu werden. Denn wegen der drohenden Erosion an den Hängen ist es verboten, auf dem Berg Holz zu schlagen.

Das Jobtraining von Menschen für Menschen bot Yeshi eine Alternative. Während des einmonatigen Webkurses erhielt sie  wie alle anderen Teilnehmenden umgerechnet 90 Euro, weil sie in dieser Zeit nichts verdienen konnte. Das Geld reichte, um sogar noch ein Schaf und einige Hühner anzuschaffen. Mit dem Verkauf der Eier kann Yeshi für ihre Kinder und sich sorgen und ihre 15-jährige Tochter Kemila kann endlich wieder regelmäßig zur Schule gehen.

Noch leben wie Yeshi alle Mitglieder der Teppichgruppe von solchen Nebenerwebstätigkeiten, die sie mithilfe von Menschen für Menschen aufbauen konnten. Für ihre Teppiche erhalten sie je nach Größe umgerechnet zwischen vier und 15 Euro. Den Großteil der Gewinne investieren sie in neue Wolle, Plastik oder andere Materialien auf dem Markt und vor allem sparen sie: 26.000 Birr, etwa 800 Euro, liegen bereits auf einem Bankkonto. „Wenn wir genug Geld haben, wollen wir einen Lieferwagen kaufen“, erzählt Yeshi. „Damit können wir unsere Produkte zu den größeren Märkten bringen, wo wir auch mehr verdienen.“

Ein großer Plan, doch die Teppichweber trauen sich zu, diesen umzusetzen. Das Jobtraining hat sie selbstbewusster gemacht.  „Früher haben viele nicht einmal gewagt, ihre Meinung zu sagen. Heute fühlen sie sich sicher und stark.“, sagt die Sozialarbeiterin Zumra. Besonders stolz ist sie auf Yeshi, die nicht nur als Sprecherin der Gruppe Verantwortung übernimmt. „Früher haben mich häufig Zukunftssorgen geplagt“, sagt Yeshi. „Heute habe ich keine Angst mehr. Ich möchte, dass auch andere, denen es heute ähnlich geht wie mir früher, die gleiche Chance bekommen.“

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Die nächste Generation

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Dafür gibt es demnächst Gelegenheit, denn bald soll ein weiteres Jobtraining in Hochecho geben. Die Kooperative um Yeshi möchte wachsen, ihr Angebot um neue Produkte und Designs erweitern und größere Mengen produzieren. Um die Zeit bis dahin zu überbrücken und weitere interessierte Frauen und Männer schon schrittweise ins Boot zu holen, engagiert die Teppichgruppe sie zunächst als Verkäuferin.

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Nejat Endris verkauft die Teppiche und Schalen auf dem Markt und freut sich darauf, bald selbst in die Werkstatt einzusteigen.

Dazu gehörte die 20-jährige Nejat Endris, die in Addis Abeba als Kindermädchen ihr Glück versuchte und doch nur Ausbeutung erfuhr. Jetzt bietet sie zweimal in der Woche die Teppiche und Schalen auf dem Markt an. An jedem verkauften Exemplar verdient Nejat zwar nur wenige Cent, aber so zeigt sie ihr Interesse an der Arbeit und den Willen, hart zu arbeiten.

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„Wann immer ich Zeit habe, gucke ich auch beim Weben und Spinnen zu oder probiere es selbst schon einmal aus“, erzählt sie. Die Teppichproduzentinnen sind Nejats große Vorbilder: „Viele der Frauen saßen vorher nur zu Hause, hatten keine Aufgaben und waren von ihrem Mann abhängig. Heute verdienen sie ihr eigenes Einkommen. Das möchte ich auch erreichen.“

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Die Stiftung Menschen für Menschen - Karlheinz Böhms Äthiopienhilfe ist eine öffentliche Stiftung des bürgerlichen Rechts. Sie wird beim Finanzamt München unter der Steuernummer 143/235/72144 geführt und wurde zuletzt mit Bescheid vom 6. September 2021 wegen Förderung steuerbegünstigter Zwecke von der Körperschafts- und Gewerbesteuer befreit und somit als gemeinnützige Organisation anerkannt.