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Die Lösungswerkstatt

Schwerpunkt: Bildung
Projekt: ATTC
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Seit fast 30 Jahren bildet Menschen für Menschen am Agro Technical and Technology College (ATTC) junge Erwachsene zu hochqualifizierten Fachkräften aus. Bevor sie sich auf dem Arbeitsmarkt beweisen, zeigen die Studierenden mit ihren Abschlussprojekten, was sie gelernt haben – und wie gesellschaftliche Herausforderungen in Äthiopien bewältigt werden können.

In Jeans und gestreiftem Hemd steht Muaz Hussien in der Lehrwerkstatt des ATTC. Bis vor wenigen Monaten hat er hier täglich im Blaumann geschweißt, gefräst und gefeilt. An diesem Morgen ist der 25-Jährige angetreten, um sein Abschlussprojekt vorzuführen: Er drückt den Schalter der Maschine vor sich und wirft ein großes Stück Plastik in einen Trichter. Laut rumpelnd wird es im Inneren gehäckselt und schießt Sekunden später in kleinen Schnipseln in einen Pappkarton. “So lässt sich das Plastik besser transportieren”, schreit Muaz gegen das Rattern an und dreht sich zum Publikum.

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Dicht an dicht drängen sich vor ihm junge Männer und Frauen des vierten und letzten Studienjahres, die sich in den kommenden Wochen eigene Themen für ihre Abschlussprüfung suchen müssen. “Die größten Probleme hatten wir mit der Klinge, die das Plastik zerteilt”, erklärt Muaz, nachdem er den Motor ausgestellt hat. “Sie brach immer wieder.”

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Erst als er und seine Kommilitonen, mit denen er den Kunststoffhäcksler entwickelte, das Messer aus Carbon-Stahl herstellten und die Schneidegeschwindigkeit der jeweiligen Härte des Plastiks anpassten, war das Problem gelöst. “Als das erste Mal alles funktionierte, fielen wir uns in die Arme”, erinnert sich Muaz.

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Problem: Mangelhafte Abfallwirtschaft

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Äthiopien hat eine der am schnellsten wachsenden Plastikindustrien in Afrika. Der gesamtwirtschaftliche Verbrauch von Plastik etwa zur Herstellung von Verpackungen, zum Einsatz in Konstruktionsprozessen oder in der Automobilindustrie hat stark zugenommen: 2007 waren es nur 44 Tonnen, 2015 schon viermal so viel, in diesem Jahr dürften es mehr als 300.000 Tonnen sein. Dabei verfügt das Land nur über eine mangelhafte Abfallwirtschaft.

Zwar gibt es kommunale Abfallunternehmen und private Müllsammler sowie wenige Recycling-Unternehmen, doch insgesamt wird Plastikmüll zu selten wiederverwertet. Stattdessen verbrennt er unter freiem Himmel, landet auf überfüllten Müllkippen oder in der Natur. Auch im direkten Umfeld des ATTC, in der ostäthiopischen Stadt Harar und umliegenden Gemeinden, war Muaz täglich mit dem Problem konfrontiert: Ob Straßengräben, Felder, Märkte und vor Geschäften, überall liegen Verpackungen, Plastiktüten und -flaschen.

“Es braucht bis zu 450 Jahre bis so eine Flasche zersetzt ist”, erklärt Muaz “Als wir uns näher mit dem Thema beschäftigten, merkten wir, dass der Plastikabfall oft sperrig ist.” Das mache den Transport aufwändig und wenig effizient. Auch sei es schwerer, große Plastikteile zu verarbeiten.

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Von der Zeichnung zum Endprodukt: Der Plastikhäcksler war eines der vielversprechendsten Abschlussprojekte der letzten Jahre. Die kleinen Plastikteile lassen sich einfacher transportieren und weiterverarbeiten. 

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Immer hilfsbereit: Dozent Tesfaye Gebre Michael unterstützt seine Studentinnen und Studenten, vor allem bei ihren Abschlussarbeiten

“Als die Studenten mir von ihrem Plan erzählten, war ich begeistert”, sagt Tesfaye Gebre Michael. Der 56 Jahre alte Wartungstechniker und Dozent der Fertigungstechnik begleitet die jungen Frauen und Männer durch ihr Studium, betreut sie vor allem in den letzten Monaten.

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“Es ist uns wichtig, dass die Abschlussprojekte der Studenten zur Entwicklung unserer Gesellschaft beitragen“, sagt Tesfaye, der seit mehr als 25 Jahren am ATTC unterrichtet. So wurde zum Beispiel eine mechanische Sämaschine entwickelt oder eine elektrische Küchenmühle zur Herstellung von Teffmehl, der Hauptzutat des säuerlichen Fladenbrots Injera.

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Lösungsorientiertes Studium

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Technische Lösungen für Probleme des Landes zu fördern war erklärtes Ziel von Menschen für Menschen, als die Stiftung 1992 das College gründete. Schon damals reagierte die Äthiopienhilfe auf den steigenden Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften, heute werden sie umso mehr gebraucht. Zwar leben noch immer rund 70 Prozent der Äthiopier als kleinbäuerliche Selbstversorger, doch das Land hat in den vergangenen Jahren einen beachtlichen wirtschaftlichen Aufschwung erlebt: Seit 2005 steigt das Bruttoinlandsprodukt jährlich zwischen sieben und knapp zwölf Prozent. Industrieparks und Infrastrukturprojekte werden vorangetrieben, wie Staudämme und Wasserkraftwerke, Eisenbahnstrecken und Straßen oder die erste elektrische Straßenbahn in Subsahara-Afrika, die 2015 in Addis Abeba eingeweiht wurde.

Das ATTC gehört zu den besten Hochschulen des Landes. Das Studium ist kostenlos. Maschinen, Werkzeuge, Arbeitskleidung, Bücher, sowie Verpflegung und Unterkunft für Studenten werden durch Spenden finanziert. Nur so kann gewährleistet werden, dass talentierte junge Menschen aus armen Verhältnissen die Möglichkeit zu einem Studium bekommen. Jahr für Jahr gehen rund 1.500 Bewerbungen für etwa 220 Studienplätze ein. Die Bewerber, die nach erfolgreicher Aufnahmeprüfung schließlich einen der begehrten Plätze ergattern, können sich nach einem Studium-Generale-Jahr zwischen vier Studiengängen entscheiden und innerhalb von vier Jahren in Fertigungstechnik, Elektronik & Elektrotechnik und Automobiltechnik mit einem Bachelor of Arts abschließen.

Der Studiengang Agrarökologie dauert drei Jahre. Bereits während dieser Zeit übernehmen viele Studierende Auftragsarbeiten von Unternehmen und Behörden. “Es ist toll, mitzuerleben, wie sich die jungen Menschen bei uns weiterentwickeln”, sagt Fertigungstechniker Tesfaye. Am Anfang wüssten die meisten nicht einmal genau, welche Metalle es gibt, am Ende verstünden sie komplexe Maschinen. Und können sie selbst herstellen.

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“Ich habe mich auf dem Campus sofort wohlgefühlt“

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“Wir würden uns freuen, wenn jemand aus dem aktuellen Jahr, den Plastikhäcksler weiterentwickelt”, ergänzt Tesfaye am Ende von Muaz Präsentation. “Denn mit dem Zerkleinern des Plastiks ist das Recycling nicht abgeschlossen.” Er blickt fragend in die Runde. “Ich hätte da ein paar Ideen”, ruft Dawit Feleke, ein schmächtiger Student, selbstsicher. “Man könnte den Kunststoff einschmelzen und daraus Steine für Straßenpflaster herstellen”, schlägt er vor. “Wie willst du sicherstellen, dass die den Belastungen im Straßenverkehr standhalten?”, hakt der Lehrer nach. Der Student überlegt: “Man könnte das Plastik mit Sand oder Kies vermischen. Aus dem geschmolzenen Plastik könnte man aber auch andere Dinge herstellen wie Stühle, Vasen oder Eimer.”

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“Mich hat das ATTC überzeugt, da es viel mehr praktischen Unterricht gibt. Und ich habe mich auf dem Campus sofort wohlgefühlt”, sagt Dawit Feleke.

Bereits als Kind interessierte sich Dawit für Technik. Aus Metall und Holz, das er auf der Straße fand, baute er sich ein Spielzeugauto. Nach seinem Schulabschluss schaute er sich das College der Äthiopienhilfe an, außerdem eine staatliche Universität. “Mich hat das ATTC überzeugt, da es viel mehr praktischen Unterricht gibt”, erzählt Dawit. “Und ich habe mich auf dem Campus sofort wohlgefühlt.”

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Beste Voraussetzungen für die Berufswahl

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Wie alle Studenten wohnt Dawit in einem der Wohnheime auf dem ATTC-Gelände. Neben Seminarräumen und Lehrwerkstätten gibt es dort eine große Kantine, eine modernisierte Bibliothek, einen Sportplatz. “Ich lebe hier mit Menschen aus ganz Äthiopien”, sagt er. “So habe ich viele andere Kulturen kennen und schätzen gelernt. Das wird mir später helfen, sollte ich einmal in einem anderen Teil des Landes arbeiten.” Für seine Zukunft rechnet sich der Student gute Jobchancen aus. “Unsere praktischen Erfahrungen sind bei vielen Arbeitgebern sehr gefragt.” Gerne würde er später bei der äthiopischen Marine arbeiten. “Die haben einen sehr modernen Maschinenpark. Dort kann ich viele Erfahrungen sammeln und sogar reisen.”

Absolvent Muaz fand eine Woche nach seinem Abschluss eine Arbeitsstelle an einer internationalen Privatschule in der Nähe des ATTC. Dort ist er für die Haustechnik zuständig und gibt einen Kurs im Technischen Zeichnen. “Den gab es schon vorher, aber durch meine Ausbildung kann ich den Unterricht viel fundierter gestalten”, berichtet Muez, froh, sein Wissen an andere weitergeben zu können. Doch am allerliebsten würde er sich mit seinen ehemaligen Kommilitonen selbstständig machen, um den Plastikhäcksler im ganzen Land zu vertreiben. Der äthiopischen Umwelt würde es gut tun.

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Die Stiftung Menschen für Menschen - Karlheinz Böhms Äthiopienhilfe ist eine öffentliche Stiftung des bürgerlichen Rechts. Sie wird beim Finanzamt München unter der Steuernummer 143/235/72144 geführt und wurde zuletzt mit Bescheid vom 6. September 2021 wegen Förderung steuerbegünstigter Zwecke von der Körperschafts- und Gewerbesteuer befreit und somit als gemeinnützige Organisation anerkannt.