
Weibliche Genitalverstümmelung: Warum der 6. Februar ein so besonderer Tag ist
Am 6. Februar erinnern die Vereinten Nationen an die grausame Praxis der Genitalverstümmelung von Frauen. Genau an diesem Datum organisierte Menschen für Menschen bereits 1999 eine große Anti-Beschneidungskonferenz in Äthiopien. Der Weg zur kompletten Abschaffung des jahrhundertealten Rituals ist aber nach wie vor ein weiter.
Es begann mit Safia: Anfang der neunziger Jahre trifft Karlheinz Böhm im äthiopischen Erer-Tal auf ein neun Jahre altes Mädchen, das an Epilepsie leidet. Nachdem er Medikamente organisiert, geht es dem Kind bald besser. Dann aber erleidet das Mädchen einen Rückfall und es wird in die nächste Krankenstation gebracht.
„Dort fand ich sie mit zusammengebundenen Beinen und stark blutend vor“, schildert Böhm später. „Sie war beschnitten worden und lag im Sterben. Das Schicksal dieses kleinen Mädchens war meine unmittelbare Motivation, gegen die Beschneidung zu kämpfen.“
Es ist eine grausame Praxis, die weltweit nach wie vor Millionen von Mädchen über sich ergehen lassen müssen: die Beschneidung der weiblichen Genitalien, meist schon im Kindesalter. Trotz Verboten ist die Tradition der Genitalverstümmelung in 28 afrikanischen Ländern und auch in Teilen Asiens auch heute noch mehr oder weniger stark verbreitet. Selbst in Deutschland sind laut der Menschenrechtsorganisation „Terre des femmes“ rund 70.000 Mädchen und Frauen betroffen, mehr als 17.000 weitere gefährdet.
Beschneidungen mit Rasierklingen und ohne Betäubung
Denn Frauen gelten nach traditionellem Glauben als unrein, wenn ihre Geschlechtsorgane vollständig vorhanden sind. Die Gründe dafür liegen in falschem Traditionsbewusstsein, Missverständnis religiöser Schriften und männlichem Besitzdenken. Das Sicherstellen der Jungfräulichkeit und bessere Chancen auf dem Heiratsmarkt sind gängige Rechtfertigungen für das brutale Ritual der Beschneidung.

Das Ausmaß kann dabei variieren: Vom Abtrennen eines Teiles oder der ganzen Klitoris bis zum Entfernen der äußeren und inneren Schamlippen und dem anschließenden Zunähen der Vagina. Der Eingriff wird oft unter unhygienischen Bedingungen durchgeführt, ohne Betäubung und mit einfachsten Werkzeugen wie Rasierklingen oder Dornen.
Die Frauen leiden in der Regel ihr ganzes Leben unter den psychischen und physischen Folgen, viele überleben den Eingriff selbst nicht, andere später nicht die Geburt ihres eigenen Kindes. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt, dass bis zu 25 Prozent der Betroffenen an den unmittelbaren und langfristigen Folgen sterben.
Weibliche Genitalverstümmelung tief in der Gesellschaft verwurzelt
In Äthiopien steht FGM (Englisch: female genital mutilation) seit 2004 unter Strafe, es gibt staatliche Aufklärungskampagnen und Umschulungsmaßnahmen für Beschneiderinnen. Dennoch ist Genitalverstümmelung in Teilen der Gesellschaft immer noch tief verwurzelt und wird nach wie vor praktiziert.
Laut der Erhebung „Ethiopian Demographic Health Survey” (EDHS) aus dem Jahr 2016 haben 68 Prozent der Frauen in ländlichen Gegenden Genitalverstümmelung erfahren, in Städten liegt der Anteil bei 54 Prozent. Immerhin sank der Anteil von beschnittenen Frauen im Alter von 15 bis 49 Jahren von 74 Prozent im Jahr 2005 auf 68 Prozent elf Jahre später. In anderen Ländern wie Ägypten oder Sudan liegt dieser noch höher.
Um die Praxis komplett auszurotten, ist indes stetige Aufklärung notwendig.
Das Mädchen, dessen Schicksal Karlheinz Böhm so nachhaltig berührte, hieß Safia. Sie wurde der Name und das Gesicht der Aufklärungskampagne, mit der Menschen für Menschen schon bald nach Böhms Begegnung mit dem Mädchen begann, gegen Genitalverstümmelung und andere schädliche Traditionen wie Zwangsverheiratung im Mädchenalter zu kämpfen.

Geistliche betonen: Weibliche Genitalverstümmelung nicht vorgeschrieben
Im Rahmen der Safia-Kampagne versammelten sich am 6. Februar 1999 mehr als 2.000 Menschen aus 15 Bezirken im Erer-Tal, dem allerersten Projektgebiet von Menschen für Menschen in Ostäthiopien. Neben vielen Familien waren koptische und muslimische Würdenträger, Vertreterinnen von Frauenverbänden, medizinisches Personal, Beschneiderinnen, Politiker und Medienvertreter anwesend.

Sie waren auf Initiative der Stiftung Menschen für Menschen unter freiem Himmel zusammengekommen, um das Schweigen zu brechen und über das Tabuthema der weiblichen Genitalverstümmelung zu diskutieren. Die Anti-Beschneidungskonferenz erwies sich als Erfolg – nicht zuletzt, weil die anwesenden Geistlichen betonten, dass weder Bibel noch Koran die weibliche Verstümmelung vorschreiben. Am Ende der Konferenz wurde eine gemeinsam verfasste Resolution unterzeichnet, die wichtigsten Punkte waren:
- Sofortiger Stopp der Beschneidung
- Einrichtung von Anti-Beschneidungs-Arbeitsgruppen zur Aufklärung an Schulen
- Staatliche Alphabetisierungskampagnen und der Bau eines Mädchenwohnheims durch Menschen für Menschen
- MfM-Aufklärungskampagne gegen andere negative Bräuche
- Einrichtung eines Komitees, das für die Umsetzung der Resolution zuständig ist und das eng mit der Stiftung zusammenarbeitet.
Anschuldigungen lösen das Problem nicht – Aufklärung schon
Die Konferenz im Erer-Tal war ein erster Schritt, um alte Denk- und Verhaltensmuster aufzubrechen, die in der Kultur der Menschen tief verankert sind. Viele weitere sind nötig, denn der Weg zur kompletten Auslöschung der Praxis ist nach wie vor ein weiter. Neuesten Erhebungen zufolge wird nach wie vor bis zu jedes sechste Mädchen bis 14 Jahre in Äthiopien beschnitten. Schuldzuweisungen und Verurteilungen lösen das Problem dabei nicht, wie auch Karlheinz Böhm betonte: „Beschneidung kann nur über Einsicht und Umdenken beseitigt werden.“ Auch und vor allem bei Männern.
Daher haben die Vereinten Nationen den 6. Februar als Internationalen Tag der Nulltoleranz für weibliche Genitalverstümmelung festgelegt. Das erklärte Ziel: Bis 2030 soll die grausame Praxis weltweit und für immer beendet sein.
Auch Menschen für Menschen leistet nach wie vor Aufklärungsarbeit in den ländlichen Projektgebieten. Gemeinsam mit den Woredas (Gemeinden) organisieren wir Workshops und Aufklärungsveranstaltungen mit den Wortführern und religiösen Oberhäuptern der Dörfer. Zudem werden ehemalige Beschneiderinnen umgeschult, damit sie nicht mehr auf das Einkommen aus den Beschneidungen angewiesen sind.