Abiyot Getaneh stellt einen großen Korb aus ihren Lieblingsfarben her.

Handwerkskunst zur Hochzeit: Tabletts, Schüsseln und Körbe aus Gras

13
Okt. 2025

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Habtam Tilahun lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Nicht von den Schülern, die in kleinen Grüppchen an ihrem Haus vorbeiströmen, nicht von dem Lastwagen, der über die tiefen Schlaglöcher der Straße rattert und nicht von ihrem kleinen Sohn, der lachend eine gescheckte Katze über den Hof jagt. Die 23-Jährige blickt nur auf die Nadel in ihrer Hand.

 

Sie fädelt einen blauen, dünnen Plastikstreifen in die Öse, umhüllt mit ihm wenig später Stich für Stich getrocknete Grashalme und näht sie Reihe für Reihe aneinander. So entsteht ein Sefed, eine Art großes Tablett. „Die Arbeit entspannt mich“, sagt Habtam. Wenn sie alle anderen Dinge im Haushalt erledigt hat, setzt sie sich auf einen Stein vor ihrem Haus und widmet sich dem Hobby.

Habtam Tilahun blickt nur auf die Nadel in ihrer Hand. Sie fädelt einen blauen, dünnen Plastikstreifen in die Öse, umhüllt mit ihm wenig später Stich für Stich getrocknete Grashalme und näht sie Reihe für Reihe aneinander.
Konzentriert arbeitet Habtam Tilahun an ihrem Sefed. Bei ihrem Hobby kann sie gut abschalten.

Traditionell werden die Sefeds aus Süßgräsern hergestellt, auch heute sieht man diese Variante der großen Korbteller überall im ländlichen Äthiopien. Doch das Plastik, mit dem die Menschen sie zusätzlich verzieren, macht die Teller bunt und länger haltbar. Für die Grasbündel und den Plastiksack, den Habtam zu Streifen schneidet, hat sie auf dem Markt etwa 80 Cent bezahlt. Einen fertigen Sefed könnte sie dort für knapp sechs Euro anbieten. Doch die kleine Familie nutzt die meisten bisher für den eigenen Haushalt. Sefeds werden im äthiopischen Alltag als Worfel verwendet, mit dem die Menschen Getreide in die Luft schwingen, um die Körner von der Spreu zu trennen. Frauen heben mit ihnen die Injera-Fladen von den heißen Lehmkochplatten oder hängen sie als Dekoration an die Wände ihrer Hütten. Das Herstellen der Sefeds hat eine lange Tradition: Mütter geben die Kunst an ihre Töchter weiter. Neben den Korbtellern fertigen die Frauen auch Schüsseln oder einen Mesob an. In dem hüfthohen, sanduhrförmigen Korb werden häufig Haushaltsgegenstände verstaut. Auch als Esstisch finden die Körbe Verwendung. Mesobs sind ein beliebtes Hochzeitsgeschenk. Die Familie der Braut übergibt sie der des Bräutigams.

Obwohl keine ihrer drei Töchter plant, in den nächsten Monaten zu heiraten, hat die 40- jährige Abiyot begonnen, an einem Mesob zu arbeiten. „Man weiß nie, wann es soweit ist und dann bin ich vorbereitet“, sagt sie und lacht. Noch ist sie am Anfang. Erst wenige Reihen aus grünem, gelbem und blauem Plastik wechseln sich ab. Bis sie fertig ist, wird es mehrere Monate dauern. Und das, obwohl sie an manchen Tagen bis zu drei Stunden an ihrem neuen Kunstwerk feilt.

Grün, Blau, Gelb – Abiyot Getaneh stellt einen großen Korb aus ihren Lieblingsfarben her.
Grün, Blau, Gelb – Abiyot Getaneh stellt einen großen Korb aus ihren Lieblingsfarben her.

Vor kurzem wäre das undenkbar gewesen. Abiyot lebt in Makafta, einer Kleinstadt im Hochland, in der Menschen für Menschen 2019 ein Wasserversorgungssystem errichtet hat. Verbrachten sie und ihre Töchter zuvor viel Zeit für das Wasserholen, sind es heute nur wenige hundert Meter zur nächsten Wasserstelle. Auch ihr Mann Getachew übernimmt daher oft den Wasserdienst. „Endlich habe ich etwas Zeit für mich“, sagt Abiyot und greift zum nächsten bunten Faden.

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