Azmari Fayera Chemeda gibt spontan ein Konzert am Straßenrand

Äthiopiens singende Poeten: Die lange Tradition der Azmari

25
Aug. 2025

Aktuelles

Der Ort, den sich Fayera Chemeda für seine heutige Vorstellung ausgesucht hat, ist wenig schmuckvoll. Direkt am Rand der Schotterstraße des Dorfes Ebicha, zwischen mehreren Wohnhütten, hockt der 65-Jährige in schwarzer Lederjacke und abgewetzten, weißen Plastikschuhen auf einem Holzschemel im Schatten. Fahren Motorräder oder Minibusse vorbei, wirbelt ihm eine Staubwolke entgegen. Doch Fayera lässt sich nicht beirren, greift zu seiner Fidel und beginnt zu singen.

 

Kinder und Erwachsene folgen seiner rauen Stimme, bilden um ihn einen Halbkreis. Fayera braucht sie für seine Darbietung, sie sind die Inspiration für seine improvisierten Texte. Er ist ein sogenannter Azmari. Seit Jahrhunderten ziehen die wandernden Balladensänger durch Dörfer, überbringen Nachrichten und Gerüchte, kommentieren das Alltagsgeschehen. Sie dichten Liebeslieder auf Hochzeiten, Taufen und anderen Festlichkeiten oder fordern ihr Publikum mit Witz und Spötteleien heraus. Doch Azmaris treten nicht nur zur Unterhaltung auf, in ihren bissigen Texten prangern sie Missstände oder soziale Ungerechtigkeit an, attackieren Machthaber. Während der Herrschaft des Diktators Mengistu Haile Mariam, der die Barden auch für seine Propaganda nutzte, wurden kritische Sänger gleichzeitig verfolgt. Seit den 1990er Jahren lebt die Tradition trotz der Einflüsse westlicher Musik in Äthiopien wieder auf. Über das Land verteilt gibt es „Azmari-Bets“, Gaststätten, in denen die Sänger das Abendprogramm füllen.

Erholung und Taschengeld

Ihren Sprechgesang begleiten Fayera und die anderen Azmaris meist mit einer Masinko, einer mit Tierhaut überzogenen Laute. Mit kurzen, schnellen Bewegungen zieht Fayera seinen Bogen über die einzige Saite, erzeugt so erstaunlich unterschiedliche Melodien. Der volle Klang des traditionellen Instruments hat den Musiker schon als Kind begeistert. Regelmäßig trafen sich die Männer und Frauen seines Heimatdorfes zum Musizieren, Singen und Tanzen. „Ich war immer mit dabei“, erinnert sich Fayera. „Heute ist die Musik und das Dichten Erholung für mich.“ Eine willkommene Abwechslung zum harten Arbeitsalltag auf dem Feld, die dem Landwirt zusätzlich Taschengeld einbringt. Während seiner Darbietung in Ebicha schieben ihm Zuhörer Geldscheine unter den Rand seiner Schirmmütze – vor allem, um nicht weiter Opfer seines Hohns zu sein. Mit der Ausbeute, die er an diesem Morgen ergattert hat, ist Fayera zufrieden. Nach etwa einer halben Stunde ist sein spontanes Konzert vorbei. Es war nicht sein letztes für heute: Auf dem gut besuchten Markt der benachbarten Kleinstadt will er weiter sein Glück versuchen.

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