Stadt der Perspektiven
Ijajis junge Selbstständige
In der äthiopischen Kleinstadt Ijaji wagen junge Frauen und Männer den Schritt in die Selbstständigkeit – unterstützt von Menschen für Menschen. Mit Blocksteinen, Öfen und Seife bauen sie sich nicht nur ein eigenes Einkommen auf, sondern schaffen Hoffnung für die gesamte Gemeinschaft.
Es ist später Nachmittag, doch sechs junge Frauen und Männer schuften noch zwischen Sand- und Kieshaufen. Mit Schaufeln mischen einige die Rohstoffe mit Zement, andere füllen die Masse in eine Maschine. Sie rumpelt und vibriert, dann zieht Chala Tadese an einem Hebel und presst das Gemisch zu zwei neuen Hohlblocksteinen. Rund hundert trocknen bereits in der Sonne. „Eine halbe Stunde schaffen wir noch“, ruft Chala. Der 25-Jährige im Blaumann ist Vorsitzender der Kooperative, die als einzige in Ijaji Blocksteine produziert. Die Kleinstadt rund 200 Kilometer westlich von Addis Abeba wächst: Neue Häuser und Geschäfte entstehen, Behörden erweitern sich, Baumaterial ist gefragt. „Aktuell haben wir zwei große Bestellungen, die nächste Woche fertig sein müssen“, erklärt Chala. Trotz des Arbeitsaufwands ist er dankbar: „Ich habe endlich eine richtige Arbeit.“
Training und Starthilfe
Lange hatte er nach ihr gesucht. Nach der Schule schlug er sich jahrelang als Hilfsarbeiter durch. Mal half er auf Baustellen in Ijaji, mal in Nachbarorten. Sobald ein Projekt abgeschlossen war, begann das Bangen um den nächsten Job. Nach vier Jahren hatte er soviel Geld angespart, dass er sein Studium finanzieren konnte: In Naturressourcenmanagement, in der Hoffnung auf eine feste Anstellung bei einer Behörde. Seine Bewerbungen blieben erfolglos.
„Ich war wütend und traurig“, sagt er. Doch Aufgeben war für Chala keine Option. Zu oft hatte er mitbekommen, wie sich Freunde in einer ähnlichen Situation ihrem Frust hingaben. „Sie fingen an zu trinken oder Drogen zu nehmen“, sagt er. Die hohe Arbeitslosigkeit unter den jungen, zumeist gut ausgebildeten Äthiopierinnen und Äthiopiern ist längst ein nationales Problem. Während viele junge Frauen in Golfstaaten abwandern, um dort unter prekären Bedingungen als Hausangestellte zu arbeiten, schließen sich Männer Banden oder Rebellengruppen an. Sie lehnen die Regierung ab und gefährden die Stabilität des Vielvölkerstaats. Um Alternativen vor Ort zu schaffen, organisiert Menschen für Menschen Jobtrainings und unterstützt die Gründung sogenannter MSEs – Micro and Small Enterprises. Auch in Ijaji, dem Zentrum des Projektgebiets Illu Gelan.
Vor eineinhalb Jahren nahmen Chala und seine Kolleginnen und Kollegen an einem mehrtägigen Workshop teil. Sie lernten unterschiedliche Steinformen kennen, übten die Bedienung der Presse und erstellten erstmals einen Geschäftsplan. Menschen für Menschen stellte ihnen zur Produktion einen kleinen Bereich auf dem Gelände der Projektzentrale zur Verfügung, außerdem die Maschine, Schaufeln, Schubkarren und erste Rohstoffe. Neben Hohlblocksteinen produziert eine zweite Gruppe energiesparende Öfen, die Rauch vermeiden und Holz sparen.
Der Ofen kostet neun Euro, ein Hohlblockstein 30 Cent. Rund 725 Euro hat die Kooperative inzwischen angespart, zusätzlich erhielten die Mitglieder Ausschüttungen von jeweils rund 130 Euro. „Wir würden unser Angebot gerne vergrößern“, erklärt Chala. Dafür planen sie, in eine zweite Presse zu investieren, die andere Mauersteine produzieren kann. „Damit gewinnen wir noch mehr Kunden in der Stadt.“
Nicht nur Steine und Öfen, auch Seife wird inzwischen dank der Starthilfe der Stiftung in Ijaji hergestellt. Tirfesa Chalesa und seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter stehen in ihrem Werksraum vor einer großen Tonne. Wasser, Soda-Pulver, Zitronensäure und einige andere Zutaten haben sie bereits vermischt. Nun noch der Farbstoff, der die Flüssigkeit pink werden lässt. „Morgen füllen wir die Seife in recycelte Wasserflaschen ab“, erklärt Tirfesa.
Glück im Unglück
Nach dem Abitur studierte der heute 25-Jährige BWL. Als er nirgends eine Anstellung fand, zog er schließlich zurück nach Hause und half seinem Vater auf dem Maisfeld. „Ich war wieder von meinen Eltern und deren Ernte abhängig“, erinnert er sich. „Und fühlte mich schrecklich nutzlos.“ Als Tirfesa von den Trainings der Stiftung hörte, bewarb er sich. Bei der Regierung und Menschen für Menschen, die gemeinsam die Teilnehmenden für die Workshops aussuchten, hatten Bewerberinnen und Bewerber mit wirtschaftlicher Ausbildung Vorrang. Tirfesas Glück. Und auch das der gelernten Buchhalterin Aberu Ayana.
„Die erste, die mir gratulierte war meine Großmutter“, sagt die 23-Jährige. Bei ihr wuchs Aberu auf, nachdem ihre Eltern sie und ihre älteren Geschwister in Ijaji zurückließen, um in ihrem Dorf der Landwirtschaft nachzugehen. Die Großeltern und Enkel arrangierten sich, bestellten gemeinsam das Teff- und Maisfeld, alle Kinder gingen zur Schule. Doch als Aberus Eltern zwei weitere Kinder nach Ijaji schickten, brach Aberu die Schule trotz guter Noten nach der zehnten Klasse ab. Plötzlich war sie für ihre jüngeren Brüder mitverantwortlich. Mit dem Verkauf von Schnaps und als Tagelöhnerin verdiente sie von da an rund einen Euro täglich. „Davon kaufte ich Kleidung, Speiseöl – und Seife“, fügt sie lachend hinzu. Erst zwei Jahre später absolvierte sie einen Buchhaltungskurs. Doch auch mit Zertifikat fand sie keine Anstellung.
Im Workshop von Menschen für Menschen lernten sie, Tirfesa und die anderen alle Schritte der Seifenproduktion, Mengen auf ihr Produktionsvolumen anzupassen und einen Businessplan zu schreiben. Die Stiftung stellte Masken, Handschuhe, Kanister und Tonnen, Zutaten, eine digitale Waage und den Mixer. Von den Behörden erhielten sie zwei Räume am Marktplatz – einen für die Produktion, einen für den Verkauf.
Steigende Nachfrage
Heute füllt die Gruppe Ein- und Zwei-Liter-Flaschen ab. Die größere kostet zwei Euro, die kleinere die Hälfte. Mit den Einnahmen finanzieren sie Rohstoffe, die monatliche Miete von knapp sieben Euro und einen Wächter, der nachts die Läden bewacht. Einmal konnten sie sich bereits etwas über 100 Euro pro Person auszahlen. „Noch ist das auf die Tage umgerechnet weniger, als ich auf dem Bau verdient habe“, sagt Aberu. „Aber es ist unser eigenes Geschäft – und ich bin sicher, dass es wachsen wird.“
Die Nachfrage steigt. Besonders seitdem die Stiftung in Ijaji ein neues Wassersystem eingeweiht hat. „Die Menschen waschen häufiger ihre Wäsche“, sagt Aberu. „Gut für uns.“ Zehn Liter vertreiben sie aktuell durchschnittlich am Tag. An Markttagen, wenn sie Kunden mit Werbung über ein Megafon zu ihrem Laden locken, doppelt so viel. Bald soll ihr Markenname Ifa Illu – „das erste Licht“ – auf den Flaschen stehen. „Er soll für Qualität, Reinheit und frischen Geruch stehen“, sagt Tirfesa.
Auch an größeren Plänen fehlt es nicht. „Wir wollen uns vergrößern, Arbeitsplätze für andere schaffen“, hofft er. Für ihn ist die Gründung schon jetzt ein Wendepunkt: „Meine Frau war im siebten Monat schwanger, als ich hier anfing. Zuvor lag ich monatelang nachts wach und fragte mich, wie wir das Neugeborene versorgen sollen. Jetzt habe ich wieder Hoffnung.“ Seinem Sohn gab er den passenden Namen – Segen.
