Neues Gründerzentrum
Wenn Träume laufen lernen
Äthiopische Gründerinnen und Gründer bringen ihre Business-Ideen auf den Weg – unterstützt durch ein neues Innovations- und Gründerzentrum von Menschen für Menschen, das durch die EU kofinanziert wird. Ihre Geschichten zeigen, wie Ausbildung, Mut und ein wenig Startkapital Existenzen verändern können.
Immer wieder versinkt Harar im Dunkeln. In der Stadt ganz im Osten Äthiopiens kommt es häufig zu Blackouts. Von einem auf den anderen Moment gehen für die mehr als 150.000 Einwohnerinnen und Einwohner die Lichter aus, Computerbildschirme werden schwarz, wichtige Geräte im Krankenhaus versagen ihren Dienst und springen erst mithilfe von Generatoren wieder an. „Mit unseren Solaranlagen haben wir das Problem nicht mehr“, sagt die 30-jährige Sayo Jemaz. Zusammen mit ihrem Kollegen, Abdurahim Argaw, führt sie ihr eigenes kleines Solarunternehmen. „Wir verbinden die Panels mit Batterien, die die Energie speichern und bei Stromausfall automatisch einspringen – auch in der Nacht.“
Beide haben Elektrik und Elektrotechnik am Agro Technical and Technology College (ATTC) studiert, das Menschen für Menschen vor mehr als 30 Jahren in Harar gründete und bis heute betreibt. Nach dem Studium fanden sie zwar eine Anstellung in der regionalen Energiebehörde, doch ihr gemeinsamer Traum ließ sie nicht los: Was wäre, wenn ihre Heimatstadt sich selbst mit Solarstrom versorgen könnte? „Wir trugen die Idee schon eine Weile mit uns herum“, erzählt Abdurahim. Klar also, dass sie sich für den ersten Start-up-Workshop anmeldeten, der vor mehr als zwei Jahren am damals neu gegründeten Innovations- und Gründerzentrum am ATTC stattfand.
Mit diesen Workshops bereitet Menschen für Menschen im Rahmen des EU-finanzierten Förderprogramms „Business Incubation Communities (BIC) Ethiopia“ angehende Gründerinnen und Gründer auf die Selbstständigkeit vor. Das von der EU kofinanzierte Projekt richtet sich gezielt an Bewerberinnen und Bewerber aus den Bereichen Agrarwirtschaft und Technologie – und will Chancen schaffen in einem Land, in dem fast die Hälfte der Hochschulabsolventinnen und -absolventen ohne Beschäftigung bleibt. Knapp 330 Teilnehmende haben das fünftägige Training bislang absolviert. Sie entwickelten ihre Geschäftsideen weiter, analysierten Absatzmärkte und Zielgruppen, arbeiteten an Schwächen im Konzept und formulierten konkrete Erfolgsziele. „All das mündet schließlich in einem Businessplan“ erklärt Daniel Asrat, Leiter des Trainingsprogramms der Stiftung. Wer den Kurs erfolgreich abschließt, kann sich um ein Startkapital von 1.000 Euro beim BIC bewerben – oder aus eigenen Mitteln starten.
So wie Sayo und Abdurahim. Sie legten ihr Erspartes zusammen und gründeten ein Unternehmen. Seitdem installierten sie Solarpanels auf den Dächern einiger Regierungsgebäude und zweier Schulen im Umland. Für die Dauer der Aufträge stellten sie mehrere Hilfsarbeiter ein und erwirtschafteten rund 800 Euro.
„Unsere Arbeit beschränkte sich auf Montage und Wartung“, sagt Sayo. „Das wollten wir erweitern.“ Deshalb belegte das Team am Gründungszentrum einen weiterführenden Wachstumskurs. „Er richtet sich an unsere Gründerinnen und Gründer, aber auch an länger bestehende Kleinstunternehmen, die sich weiterentwickeln wollen“, erklärt Trainer Daniel.
Nach Abschluss des Kurses können sich die Betriebe beim BIC um eine Anschubfinanzierung von bis zu 4.000 Euro bewerben. Sayo und Abdurahim erhielten sie. „Damit wollen wir Lagerfläche anmieten, eigene Panels anschaffen und zusätzliche Werkzeuge“, sagt Sayo. „So können wir unseren Kunden künftig das Komplettpaket anbieten.“ Außerdem sollen sie auf solarbetriebene Wasserpumpen setzen. Viele Bewohner Harars haben auf ihren Grundstücken tiefe Brunnen für die Bewässerung ihrer Gärten und die Trinkwasserversorgung gegraben und pumpen das Wasser mit Dieselgeneratoren an die Oberfläche. „Hier liegt ein riesiger Markt für uns“, sagt Sayo.
Vom Dozenten zum Gründer
Obwohl sich das BIC-Training vor allem an junge Gründerinnen und Gründer wie sie richtet, steht es grundsätzlich allen offen. Auch für den 63-jährigen Kefyalew Worku. Fast die Hälfte seines Lebens arbeitete er für Menschen für Menschen: Als Landwirtschaftsexperte im ersten Projektgebiet im Erer-Tal, später als ATTC-Dozent und Leiter des Studiengangs Agrarökologie. „Die Disziplin und Leidenschaft, die ich damals meinen Studierenden beigebracht habe, stecke ich heute in meinen eigenen Milchbetrieb“, sagt er.
In Gummistiefeln und Blaumann schreitet Kefyalew durch den Stall, tätschelt einer seiner schmatzenden Kühe den Kopf. „Vor 15 Jahren habe ich mein erstes weibliches Kalb gekauft“, erzählt er. Doch anfangs lief es schleppend: Selbst als die Kuh ausgewachsen war, blieb eine Schwangerschaft aus. Freunde und Familie drängten ihn zum Verkauf, doch Kefyalew blieb stur. „Ich sagte allen: Das ist mein Hobby, und ich entscheide.“ Kurz darauf bekam die Kuh ihr erstes Kalb. In den Jahren danach vergrößerte er seinen Bestand. Heute besitzt Kefyalew knapp 90 Tiere. Privatpersonen, Kantinen und Restaurants, auch Mitarbeitende des Colleges gehören zu seinen Kundinnen und Kunden. Sie bezahlen pro Liter Milch umgerechnet 65 Cent. „Damit bin ich günstiger als andere Milchbetriebe“, sagt er. „Ich will aber, dass es sich jeder leisten kann.“ Kefyalew traf betriebliche Entscheidungen lange aus dem Bauch heraus „Damit ist jetzt Schluss“, sagt er. „Der Hof soll ein richtiges Unternehmen werden.“ Dafür kehrte er drei Jahre nach seiner Pensionierung an das College zurück und nahm ebenfalls am Wachstumstraining teil.
„Wir halfen ihm, einen Businessplan zu erstellen, mit dem er größere Kredite beantragen kann“, erklärt Trainer Daniel. „Und wir analysierten, wo sich Abläufe optimieren lassen. Innerhalb von drei Jahren möchte Kefyalew die Produktivität seiner Kühe mehr als verdreifachen – auf 1.000 Liter täglich. Einer der wichtigsten Stellschrauben ist besseres Futter.
Bisher verfütterte er eine Mischung aus Weizenresten und Biertreber aus einer nahegelegenen Brauerei. Fertiges Mischfutter ist teuer, also ließ Kefyalew sich eine eigene Futtermischanlage bauen – entworfen von ehemaligen College-Kollegen aus der Abteilung Fertigungstechnik. Was einst mit Kefyalew als Ein-Mann-Unternehmung begann, hat sich heute zu einer Betriebsstätte mit neun Mitarbeitenden ausgewachsen – sechs in Harar, drei seit Kurzem in der Nähe von Addis Abeba, wo er eine zweite Produktionsstätte aufbaut. „Dass Gründer mit ihrem Erfolg weitere Arbeitsplätze schaffen, ist eines der Ziele des Programms“, sagt Daniel Asrat. „Bei Kefyalew funktioniert das wunderbar.“
Milch ist auch das Produkt, mit dem Betelihem Deribe und Genet Damena ihre Zukunft aufbauen wollen. Als zwei von 16 Teilnehmenden sitzen sie in einem Klassenraum des Berufsbildungszentrums in Sheno, rund 80 Kilometer östlich von Addis Abeba. Hier – und in einem weiteren, ebenfalls von Menschen für Menschen renovierten Zentrum – führen Daniel und lokale Kollegen weitere Gründertrainings durch.
Heute sollen sie Finanzpläne entwerfen – für die kleinste und größtmögliche Umsetzung ihrer Geschäftsidee. Genet und Betelihem beugen sich über ein großes Plakat und füllen Tabellen aus. Ihre Idee: ein Lieferservice, der Milch von Bauern der Umgebung zu den Stadtbewohnerinnen und -bewohner Shenos bringt. „Wir könnten Fahrer engagieren, eine gekühlte Lagerhalle mieten und uns ein Logo überlegen“, schwärmt Genet. „Ich hoffe sehr, dass wir dafür Fördermittel erhalten.“ „Es ist spannend zu sehen, wovon unsere Gründerinnen und Gründer träumen“, sagt Trainer Daniel Asrat und lächelt. „Wir zeigen ihnen Wege, wie sie sich diese erfüllen können.“
Jetzt Start-ups unterstützen
Neben dem BIC-Projekt fördert Menschen für Menschen auch in den ländlichen Entwicklungsprojekten angehende Unternehmerinnen und Unternehmer. Mit Ihrer Spende helfen Sie ihnen dabei, ihre wirtschaftliche Zukunft selbstbestimmt aufzubauen.
