Negite Getas Gesicht und ihre Hände sind übersät von hellem Fruchtfleisch. Die Landwirtin kniet im Schatten von hochgewachsenen Stauden der Zierbanane, auch unter dem Namen Ensete bekannt. Eine der Pflanzen haben Dorfbewohner gerade gefällt. Negite setzt ihren Bambusschaber auf einen dicken Blattstiel, der vor ihr auf ein Stück Holz gespannt ist, und trennt so mit schnellen Bewegungen das Mark von den Fasern.
Die Zierbanane: Pflanze für alles
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Brot und Seile aus Zierbananen
Später wird sie es gemeinsam mit der kleingehackten Pflanzenwurzel verarbeiten und in einem mit Blättern ausgekleideten Erdloch vergraben. Dort fermentiert die Masse für Wochen oder sogar Monate. Aus dem Teig backt Negite schließlich „Kocho“, ein flaches Brot. Hier im südäthiopischen Hochland ist „Kocho“ ein Grundnahrungsmittel. In guten Monaten wird es mit Fleisch oder Gemüse serviert. „Meist essen wir es aber trocken zum Kaffee oder mit etwas Milch“, erklärt Negite. Außerdem stellt sie Pflanzenmehl her, das sie zu einem dickflüssigen Brei anrührt,
Im Süden des Landes wird die Zierbanane seit Jahrhunderten kultiviert. Die Menschen vermehren die Staude, die der uns bekannten Banane stark ähnelt, deren Früchte aber ungenießbar sind. Im Volksmund heißt sie daher auch „falsche Banane“. „Wir nutzen nahezu jeden Teil der Pflanze“, erklärt Amona Tantu, ein Nachbar. Mit den langen Blättern werden Dächer abgedichtet oder sie dienen als Viehfutter. Für den 70-jährigen Amona ist die Zierbanane ein Zeitvertreib, der seiner Familie zusätzliches Einkommen bringt: Bei Regen oder am Abend dreht er aus den Blätterfasern Seile. Bis zu drei Stück schafft er innerhalb von zwei Wochen. 300 Birr, knapp fünf Euro, verdient er damit auf dem Markt. Die Zierbanane wird von etwa 20 Millionen Menschen in Äthiopien genutzt. Rund fünfzehn Pflanzen reichen, um eine Person ein Jahr lang zu ernähren.
Die Wunderpflanze: Baum gegen Hunger
Der „Baum gegen Hunger“, wie die Staude auch genannt wird, ist anspruchslos – sie überlebt Dürreperioden, ist mehrjährig und lässt sich das ganze Jahr über ernten. Wissenschaftler:innen sehen in ihr eine Lösung für die Zukunft: Während es bei Mais und Weizen angesichts von Klimaerwärmung und Wetterextremen zu hohen Ernteeinbrüchen kommen wird, könnte die Staude in einem größeren Umfang innerhalb Äthiopiens angebaut werden. Und auch über die Ländergrenzen hinweg, in Uganda, Ruanda oder Kenia, könnte sie die Ernährung vieler Millionen Menschen sichern. Für Negite ist die Zierbanane schon heute überlebenswichtig. „Sie ernährt meine Kinder und Enkel und ich verdiene sogar etwas Geld durch sie“, sagt sie. „Die Pflanze ist wie ein Wunder.“