Unterricht an der von Menschen für Menschen erbauten Roman Dega Kedida Schule.

Voller Kraft voraus

Voller Kraft voraus

Schule als Fundament

Vor mehr als 15 Jahren erbaute Menschen für Menschen in Dega Kedida eine weiterführende Schule. Seither lernen die Schülerinnen und Schüler hier in einem gesunden Umfeld. Unterstützt werden sie von motivierten Lehrkräften, die täglich für den Erfolg ihrer Schützlinge kämpfen – und vor allem junge Frauen fördern.

Vor den Schülerinnen und Schülern der zwölften Klasse, die an diesem Mittag in bunten Trainingshosen und Trikots auf dem Sportplatz stehen, liegen Speere, Diskusscheiben und Metallkugeln. Yonatan Markos legt sich eine der Kugeln an den Hals. Sie macht einen Ausfallschritt, atmet tief ein und stößt die Kugel mit voller Wucht auf die Wiese vor sich. „Gute Technik“, ruft ihr Leichtathletiklehrer. „Pass aber auf, dass du beim nächsten Versuch nicht über die Markierung trittst!“ Yonatan nickt, sammelt die Kugel aus dem Gras und wiederholt den Stoß. „Sport ist ein guter Ausgleich für mich“, erklärt die 18-Jährige wenig später. „Dabei vergesse ich den Druck, der aktuell auf uns lastet.“

Eine Zwölftklässlerin an der Roman Dega Kedida Schule beim Sportunterricht.
Ausgleich zum harten Lernstoff: Yonatan Markos verausgabt sich beim Kugelstoßen.
Sportunterricht an der Roman Dega Kedida Schule.
Applaus für Frauen: Nicht nur der Sportlehrer unterstützt die Schülerinnen, auch die anderen Lehrkräfte setzen sich verstärkt für sie ein.

Am Ende des Schuljahres, in weniger als drei Monaten, steht für sie und ihre Klassenkamerad:innen das Abitur an. Besteht Yonatan die Prüfung mit einer guten Note, kann sie an einer der staatlichen Universitäten Äthiopiens studieren. „Bei meinen älteren Geschwistern hat es dafür nicht gereicht“, erklärt Yonatan. „Sie haben geheiratet oder helfen meinen Eltern auf dem Feld.“ Bei Yonatan sieht es hingegen so aus, als könnte sie es schaffen. Sie ist eine der Besten in ihrer Klasse. Und als Mädchen wird sie an ihrer Schule besonders gefördert.

Das verdankt sie auch der Namensgeberin der Bildungseinrichtung, die rund 250 Kilometer südlich von Addis Abeba, in der Gemeinde Dega Kedida steht: Roman Tesfaye. Die Frau des späteren äthiopischen Premierministers Hailemariam Desalegn überzeugte bei einem Treffen vor knapp zwei Jahrzehnten den Stiftungsgründer Karlheinz Böhm, die veralteten Gebäude zu erneuern. 2008 stellte Menschen für Menschen den Neubau der Roman Dega Kedida Schule fertig: 16 helle Klassenräume für die Neunt- bis Zwölftklässler, eine Bibliothek und Toiletten wurden eingeweiht. Roman Tesfaye selbst kam in den Folgejahren immer wieder zu Besuch, spendete Schulmaterialien, sprach mit Schülerinnen. Vor allem ihnen wünschte die ehemalige First Lady endlich eine Chance auf gute Bildung.

Frauenförderung groß geschrieben

Die Idee überlebte. „Unsere Lehrkräfte nehmen sich viel Zeit für die Schülerinnen“, erklärt Schulleiter Muluneh Timotiyos. Nach Unterrichtsschluss und bei gesondert einberufenen Treffen hören sie ihnen und ihren Sorgen zu. Sie bestärken die Mädchen, sich gegen ihre männlichen Mitschüler durchzusetzen oder dafür zu kämpfen, dass ihnen zuhause zeitintensive Hausarbeiten abgenommen werden. Auch eine Frauen-AG gibt es an der Schule. Sie klärt über Themen wie Menstruation auf und teilt, wenn benötigt, Binden aus. „Da viele unserer Absolventinnen heute gute Jobs haben, senden Eltern besonders ihre Töchter gerne zu uns“, berichtet der Schuldirektor stolz.

„Das Lernen fiel mir hier schon von Anfang an leicht“, erklärt Schülerin Yonatan. An ihrer Grundschule war das anders. „Wir waren viel zu viele Kinder für viel zu wenig Tische und Stühle“, erinnert sie sich. Durch die kleinen Fenster sei zudem nie genug Licht in die düsteren Klassenräume gekommen. „Ich war jeden Tag froh, wenn die Schule vorbei war.“ Heute trifft sich die junge Frau nach dem Unterricht gerne mit Freundinnen zum Lernen in der Bibliothek oder auf dem Schulgelände.

Die Schülerin Yonatan Markos im Unterricht an der Roman Dega Kedida Schule.
Die hellen Klassenräume bieten eine angenehme Lernatmosphäre für Yonatan und ihre Klassenkamerad:innen.

Dreimal pro Woche nimmt sie außerdem an Tutorien teil, die für jede Jahrgangsstufe angeboten werden. In ihnen wird das Gelernte wiederholt und die Schülerinnen und Schüler im letzten Schuljahr gezielt auf die Abschlussprüfungen vorbereitet. Noch in ihrem Sportoutfit, lässt sich Yonatan auch an diesem Nachmittag inmitten ihrer Schulkameradinnen auf eine der Bänke im Klassenraum fallen. „Lasst uns noch einmal über die verschiedenen Zeitformen sprechen“, ruft der Englischlehrer in die Klasse.

Beschwerlicher Start

„Ihr habt noch zwei Minuten Zeit“, mahnt ein weiterer Englischlehrer drei Klassenräume weiter die Teilnehmenden seines Tutoriums. „Denkt an alle Präpositionen, die wir geübt haben.“ Mola Abule kneift die Augen zusammen. Dann lächelt er, beugt sich über sein Notizheft und kritzelt einen letzten Satz auf das Papier. Der Schüler fällt auf in seiner Klasse: Er überragt alle um zwei Köpfe und sieht deutlich älter aus als die anderen Neuntklässler. „Mit acht Jahren musste ich die Schule unterbrechen“, erklärt Mola.

Zu stark reizten der Staub und Dreck in seiner damaligen Grundschule seine Augen. Vor allem das Linke juckte und tränte nach jedem Unterricht stark, und mit der Zeit sah Mola zunehmend schlechter. Dass er abends im Bett im Dämmerlicht einer kleinen Petroleum-Leuchte lernte, verschlimmerte seine Symptome zusätzlich. Immer wieder brachten Molas Eltern den Jungen ins Gesundheitszentrum.

Nach einigen Tagen Behandlung mit Salben oder Augentropfen schickten sie ihn zurück in die staubige Schule, wo die Beschwerden nach kurzer Zeit wieder auftauchten. Irgendwann blieb Mola ganz zuhause. „Die Zeit war schrecklich“, erinnert sich der heute 18-Jährige. „Zu sehen, wie meine Freunde weiterlernten, war kaum auszuhalten.“ Nach drei Jahren versuchte er erneut sein Schulglück. Und begann ein zweites Mal mit der ersten Klasse. „Ich hatte zu viel vergessen“, sagt Mola.

„Umso bemerkenswerter, dass er heute Klassensprecher ist, und ein so aktiver Schüler“, lobt ihn Lehrer Adane Esayas. Seit neun Jahren unterrichtet er an der Schule Englisch, wurde direkt nach dem Studium von der regionalen Bildungsbehörde hierhergeschickt. „Ich weiß, in welch schlechtem Zustand viele andere Schulgebäude sind“, sagt Adane. „Da hatte ich wirklich großes Glück.“ Seine Dankbarkeit versucht der 34-jährige Pädagoge an seine Schülerinnen und Schüler weiterzugeben – im regulären Unterricht und in seinen Tutorien. Er setzt dabei vor allem auf viele praktische Übungen. „Ich möchte, dass sie am Ende der Schulzeit keine Angst mehr haben, einen Text auf Englisch vorzutragen oder sich frei zu unterhalten“, sagt Adane. „Fremdsprachen können ihnen neue Türen öffnen.“

Zukunftsperspektiven, die viele in der Region nicht haben. So auch die meisten von Molas Brüdern. Er ist der Zweitjüngste von insgesamt sieben Jungs. Nur einer von ihnen studierte. Er arbeitet heute als Lehrer. Die anderen verdingen sich als Tagelöhner oder sind komplett von den Eltern abhängig. „Meinen ältesten Bruder belastet das sehr. Er trinkt daher oft zu viel“, gibt Mola zu. „So soll es bei mir auf keinen Fall enden!“ Mola ist stolz, dass er es zurück an die Schule geschafft hat. „Meine Brüder setzen all ihre Hoffnung in mich“, sagt er. Wenn es die nächsten Jahre so gut für ihn weiterläuft und er die Unizulassung bekommt, möchte Mola Medizin studieren und als Arzt Kindern helfen, die, so wie er früher, mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen haben.

Neuntklässler beim Unterricht an der Roman Dega Kedida Schule.
Neuntklässler Mola Abule möchte Arzt werden. Er selbst musste drei Jahre die Schule unterbrechen – der Staub in der alten Schule machte ihn krank.
Ein Englischlehrer an der Roman Dega Kedida Schule beim Unterricht.
Adane Esayas ist Englischlehrer an der Roman Dega Kedida Schule und dankbar, dort unterrichten zu dürfen.

Ambitionierte Pläne

Es ist kurz nach 17 Uhr. Die Tutorien sind vorbei. Yonatan sammelt ihre Hefte vom Tisch ein und tritt auf den sandigen Weg vor die Schule. Eineinhalb Stunden läuft sie nun noch nach Hause. All dieser Aufwand, der Stress und die Anspannung vor den Prüfungen werden sich aber lohnen, daran glaubt die Schülerin fest. „Ich möchte Jura studieren“, berichtet sie aufgeregt. „Und mich als Anwältin für Menschenrechte einsetzen, vor allem für die der Frauen!“

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