Die mutigen Frauen von Wore Illu
Schwerpunkt: Einkommen
In den ländlichen Regionen Äthiopiens sind Frauen wirtschaftlich und gesellschaftlich extrem benachteiligt. Sie verfügen selten über ein eigenes Einkommen und sind deshalb stark von ihren Männern abhängig. In der Projektregion Wore Illu bietet Menschen für Menschen Handwerkskurse und Gründerseminare für Frauen an.
Die Zukunft von Degnu wird in einem unscheinbaren Holzhaus am Dorfrand geformt. An diesem Donnerstagnachmittag sitzen 14 Frauen hier im Halbdunkel und fixieren Töpferscheiben mit den Füßen auf dem Boden. Ihre Hände versetzen die Drehteller immer wieder in Schwung und bearbeiten dann geschickt den nassen Ton.
Nach und nach verwandeln sich braune Klumpen in Vasen, Schüsseln und Kaffeeöfen, die später in einer Feuergrube gebrannt werden. Dann folgen ein paar Verzierungen mit Farbe und Pinsel – fertig. So geht das fast jeden Nachmittag in Degnu. Seit nunmehr einem Jahr.
Sparen für eine Mühle
Assalef Hussein, 53, schaut zufrieden auf das Resultat der letzten Woche: Auf dem Fußboden der Werkstatt leuchten rund 50 Töpferarbeiten in verschiedenen Farben. Übermorgen werden sie und die anderen Frauen sie auf ihre Esel laden, wie jeden Samstag. Sie werden die 45 Minuten von ihrem Dorf Degnu bis nach Kabe marschieren, wo sie ihre Ware auf dem Markt anbieten. 10 bis 15 Birr (45 bis 65 Eurocent) zahlen Kunden ihnen für eine Töpferarbeit. Ein guter Preis. “Unsere Arbeiten gehören zu den besten in der Gegend”, sagt Assalef. “Das hat sich herumgesprochen.”
Assalef Hussein ist die Sprecherin einer Gruppe von 15 Frauen, die mit Hilfe von Menschen für Menschen zunächst das Töpferhandwerk gelernt und anschließend eine Kooperative gegründet haben. Seit 2014 betreiben sie gemeinsam eine Töpferwerkstatt. Einen kleinen Teil des Geldes, das sie mit dem Verkauf der Waren verdienen, behalten die Frauen.
Den Großteil aber zahlen sie auf ein Konto ein. “Wir sparen für eine Getreidemühle”, sagt Assalef. 6.000 Birr, rund 260 Euro, haben sie schon zusammen. Die Mühle kostet 35.000 Birr, um gerechnet 1.500 Euro. “In fünf, spätestens in sechs Jahren haben wir es geschafft”, rechnet sie vor. Wenn der Plan aufgeht, werden aus den Töpferinnen dann Müllerinnen.
“Das würde das Leben in unserem Dorf entscheidend verbessern”, sagt Assalef. Das Dorf Degnu liegt in der zentral-äthiopischen Provinz Wore Illu, die seit 2011 Projektgebiet von Menschen für Menschen ist. Nach einer dreijährigen Projektphase, die sich auf den Ausbau von Schulen, Gesundheitszentren und Wasserstellen konzentrierte, hat die Stiftung ihre Arbeit 2014 erweitert. Seither fördert sie nachhaltige Landwirtschaftsprojekte und baut zusätzlich Schulangebote und die medizinische Versorgung in der Region aus. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Stärkung der Frauen in der Gesellschaft. In Wore Illu hat Menschen für Menschen ein Projekt aufgesetzt, das Frauen in handwerklichen Berufen wie Töpfern, Schneidern oder Ofenbau schult. Im Anschluss erhalten sie Unterstützung beim Aufbau von Kleingewerben und Kooperativen.
Letzte Option: Auswandern
Frauen, die Unternehmen gründen: Was für deutsche Verhältnisse nach Alltag klingt, markiert in den ländlichen Regionen Äthiopiens einen großen Entwicklungsschritt.
Bisher verfügen die wenigsten Frauen über ein eigenes Einkommen. In den von Traditionen geprägten Gemeinschaften wird von ihnen erwartet, dass sie früh heiraten, Kinder gebären und großziehen, sich um Haus und Hof kümmern und bei der Landarbeit mit an packen.
Vor allem zeitaufwändige Tätigkeiten wie Wasser holen oder Feuerholz sammeln übernehmen vor allem die Frauen. Die Folge dieser Arbeitsteilung ist eine tief verwurzelte Abhängigkeit der Frauen von ihren Männern. Zugleich bleiben die Familien arm, weil das Land vieler Kleinbauern gerade genug zum Überleben abwirft. Bricht eine Ernte weg, gibt es oft nur eine Lösung für die Familie:
Die Frau muss Geld im Ausland verdienen. Vor allem in den Staaten der arabischen Halbinsel werden billige Arbeitskräfte gesucht. Hier finden viele Äthiopierinnen Jobs als Kindermädchen oder Haushälterinnen und unterstützen ihre Familien zu Hause finanziell. Der Preis für ihren Einsatz ist hoch: Mütter, die ins Exil gehen, sehen ihre Familien oft über Jahre nicht. Hinzu kommt, dass sie in der Fremde oft schwer diskriminiert oder sogar ausgebeutet werden. Und dennoch stoßen Frauen, die in Äthiopien einen Beruf ergreifen wollen, erstmal auf Skepsis.
Von der Hausfrau zur Gründerin
“Unsere Männer waren nicht gerade begeistert von unserer Idee”, sagt Mulu Assefa, eine der Frauen aus der Töpferinnen-Kooperative. “Also haben wir ihnen vorgerechnet, was die Mühle für uns bedeuten würde.” Bisher können die Bauern ihr Getreide nämlich nur in Kabe mahlen lassen. Das heißt jeweils: die Esel beladen, eine Dreiviertelstunde marschieren, warten, bis man an der Reihe ist und wieder nach Hause laufen.
Ein ganzer Arbeitstag für ein paar Säcke Mehl. “Wir haben den Männern erklärt, dass sie viel Arbeitszeit sparen würden, wenn wir eine eigene Mühle hätten”, sagt Mulu Assefa. Zudem würde die Mühle 15 Familien im Dorf eine weitere Einnahmequelle bescheren. Das Geld bliebe in Degnu. Die Männer überlegten – und nickten. “Seither unterstützen sie uns.”
Eine weitere Erfolgsgeschichte spielt direkt nebenan, in der Ofenwerkstatt von Misaye Arasaw, 36. “Bis vor einem Jahr war ich Hausfrau, Mutter und habe auf dem Feld mitgearbeitet. Aber wir haben fünf Kinder und das Geld hat nie gereicht”, sagt Misaye.
Vor zwei Jahren lud Menschen für Menschen sie in die ehemalige Projektregion Midda ein, wo Frauen schon länger an Handwerkskursen teilnehmen. “Wir sahen, wie die Frauen arbeiten und dachten uns: Das können wir auch.” Vor allem der Bau von Öfen aus Zement hat Misaye beeindruckt.
“Wer einen Ofen hat, braucht viel weniger Feuerholz. Das spart Zeit und Geld und hilft, den Wald zu schützen, weil weniger Bäume geschlagen werden müssen.”
Der Ehemann ist überzeugt
Misaye Arasaw begriff, dass die Öfen eine dreifache Chance darstellen: Für die Menschen in ihrem Dorf, für die Wälder drumherum und für sie selbst, wenn sie künftig Öfen herstellt. Sie absolvierte ein Gründerinnen-Training von Menschen für Menschen und bat ihren Mann um einen Kredit als Startkapital für ein kleines Unternehmen. Der weigerte sich, doch Misaye war von ihrer Sache überzeugt. Sie lieh sich Geld von Freunden und Verwandten, um Gerätschaften und Material kaufen zu können. Die Gemeinde stellte ihr eine Werkstatt zur Verfügung. Die Produktion konnte beginnen.
Arbeit für das Wohl der Kinder
Eine eigene kleine Manufaktur: Vor ein paar Jahren wäre das noch undenkbar gewesen. “Ich sah keinen Ausweg aus unserer Not und wollte nach Saudi-Arabien gehen”, erzählt Missaye. “Es war mir egal, wie man mich dort behandeln würde. Ich wollte Geld verdienen, um meine Kinder zur Schule schicken zu können.” Dass der Schlepper mit ihrem Geld verschwand, nennt sie heute einen Glücksfall. “Heute kann ich hier in Degnu Geld verdienen.” Die älteste Tochter von Misaye besucht bereits eine weiterführende Schule. “Das sollen die anderen auch schaffen”, sagt sie. “Sie sollen es einmal besser haben.”