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Black Lives Matter: „Sprache schafft Wirklichkeit – auch in unserer täglichen Arbeit“

Fundraising-Expertin Araba Pilic im Interview
24.07.2020
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„I cant breathe.“ Diese drei Worte haben sich Anfang Juni 2020 in das kollektive Gedächtnis der Weltgemeinschaft eingebrannt. Es waren die letzten Worte des Afro-Amerikaners George Floyd, bevor er auf einer Straße in Minneapolis durch die Hand eines Weißen Polizisten starb. Das Handyvideo davon schwappte ebenso um die Welt wie kurz darauf drei andere Worte: Black Lives Matter, Schwarze Leben zählen.

Die Bewegung war schon 2013 in der afroamerikanischen Community entstanden, als der Wachmann George Zimmerman den 17-Jährigen Trayvon Martin erschoss. Erst jetzt aber hat „BLM“ eine solche Wucht entwickelt, dass Menschen weltweit ihre Stimme gegen Polizeigewalt gegen Schwarze und strukturelle rassistische Benachteiligung generell erheben.

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Black Lives Matter – auch in unserem Afrika-Bild?

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Viele Weiße hinterfragen sich hingegen – womöglich zum ersten Mal überhaupt: Wo verhalte ich mich selbst rassistisch, ohne mir dessen bewusst zu sein? Welches Bild habe ich in mir über Schwarze Menschen und den afrikanischen Kontinent? Fragen, die sich auch in Afrika tätige Organisationen wie Menschen für Menschen so ähnlich immer wieder aufs Neue stellen müssen: Welches Bild von Afrika transportieren wir tagtäglich? Und können wir auch Spender ansprechen, ohne dass wir das eingeprägte Elendsbild vom afrikanischen Kontinent immer wieder reproduzieren?

Araba Pilic ist in Niederbayern geboren und aufgewachsen. Schon lange beschäftigt sie sich eingehend mit strukturellem Rassismus in Deutschland, seit 2015 arbeitet Pilic für die Stiftung Menschen für Menschen im Bereich Kooperationen und Events.

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Araba Pilic arbeitet seit 2015 für die Stiftung Menschen für Menschen

Im Interview berichtet die Fundraising-Expertin von persönlichen und kollektiven rassistischen Erfahrungen, spricht über die Situation in Deutschland und den deutschen Umgang mit Afrika und erklärt, wo auch Organisationen wie Menschen für Menschen, die in der Entwicklungszusammenarbeit in Afrika tätig sind, Verbesserungsbedarf haben.

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Araba,Black Lives Matter“ gibt es nicht erst seit George Floyd – im Grunde liegt der Ursprung über 400 Jahre zurück, als die ersten Afrikaner in Amerika versklavt wurden. Was ist jetzt neu?

Araba Pilic: Ich finde, der Schauspieler Will Smith hat die Situation mit einfachen Worten auf den Punkt gebracht: „Racism is not getting worse, its getting filmed.“ Dass die Tötung eines Schwarzen Bürgers durch einen Weißen Polizisten aufgenommen und verbreitet wurde, hat das Thema aus der Nische in den gesamtgesellschaftlichen Fokus gerückt und das auch noch weltweit. Die lauten Stimmen der vielen Betroffenen und die demonstrative weltweite Solidarität sind einmalig.

Wie erlebst du die derzeitige Wucht der Bewegung?

Der Dialog hat sich verändert. Das Bewusstsein ist nun da, dass man Rassismus differenziert betrachten muss, wenn wir in der Debatte weiterkommen wollen und vor allem das Thema nicht (nur) in die rechte Ecke schieben können. Rassismus ist in erster Linie ein strukturelles Problem und betrifft uns alle.

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Struktureller Rassismus

Als struktureller Rassismus (auch: institutioneller Rassismus) werden Rassismen bezeichnet, die von Institutionen der Gesellschaft, von ihren Gesetzen, Normen und ihrer internen Logik ausgehen, unabhängig davon, inwiefern Akteure innerhalb der Institutionen absichtsvoll handeln oder nicht.

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Was sind deine eigenen Erfahrungen mit Rassismus?

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In zahreichen deutschen Städten wurde Anfang Juni gegen Rassismus und Polizeigewalt demonstriert. Am Münchner Königsplatz versammelten sich etwa 25.000 Menschen, um ihre Anteilnahme und Solidarität für George Floyd zu zeigen.

Die sind abendfüllend. Das kommt auch daher, weil ich mich schon lange mit dem Thema analytisch auseinandersetze. Bahnbrechend war für mich die Erkenntnis des gemeinsamen Nenners: Ich werde in dem Moment nicht als Teil der Gesellschaft wahrgenommen, sondern als „die Andere“, „die Fremde“ ausgegrenzt. Deutschland ist aber mein Zuhause und somit Teil meiner Identität. Das kann sehr verletzend, ja, auch verwirrend und verunsichernd sein, wenn man nicht dazugehören darf, obwohl man ja per Geburtsrecht und im Selbstverständnis Teil dieser Gesellschaft ist. Oder sich das wünscht.

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„Ich ermutige zum angstfreien Dialog“

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Hast du ein konkretes Beispiel für eine Situation, in der du dich so gefühlt hast?

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Sprache und Bilder sind Araba Pilic schon lange ein Anliegen. So war sie 2006 Gründungsmitglied des gemeinnützigen Vereins „SFD – Schwarze Filmschaffende in Deutschland“ mit dem Ziel der bisher vorherrschenden klischeehaften Darstellungen schwarzer Charaktere im deutschen Film und Fernsehen etwas entgegenzusetzen. Auf der Berlinale 2007 hat der SFD unter dem Titel „Neue Bilder“ erstmalig eine Filmreihe von afrodeutschen bzw. in Deutschland lebenden Filmschaffenden afrikanischer Herkunft sowie eine Vortragsreihe und Podiumsdiskussionen präsentiert.

Mein erster Beruf war die Schauspielerei. Hier habe ich einige unschöne, diskriminierende Erfahrungen gesammelt. Die Film- und Fernsehproduzenten waren wohl der Meinung, dass Deutschland Schwarze Frauen ausnahmslos in Rollen wie die Prostituierte, die Heiratsschwindlerin für den deutschen Pass, die Flüchtende oder die exotische Tänzerin sehen möchte. Ich wollte aber auch die Geschäftsfrau, die Bäckerin, eine komplexe Figur oder einfach auch einmal die Hauptrolle spielen. Der ganz normale Alltag von Tausenden von Schwarzen Menschen in Deutschland wurde auf diese paar Stereotype reduziert.

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Es gibt also den einfach zu verstehenden Rassismus, etwa wenn jemand aufgrund seiner Hautfarbe offen beschimpft oder angegriffen wird. Was du beschreibst, geht darüber aber hinaus.

Es gibt diese diffizileren, feinstofflichen Prozesse, die gar nicht so einfach zu beschreiben sind. Schön versinnbildlicht sehe ich dies in der ewigen Debatte über die Frage: „Wo kommst du her?“ Es ist auf den ersten Blick tatsächlich schwer zu verstehen, was an so einer Frage nun anstößig oder gar verletzend sein soll. Natürlich ist es nicht die Frage an sich, die gerade Schwarzen Deutschen aufstößt, sondern die immer wiederkehrende Nichtakzeptanz der Antwort. Das Problem geht also los, wenn die Antwort und damit auch die Identität des Anderen nicht einfach akzeptiert wird, sondern das Fremde „herausgearbeitet“ werden muss. Der Fragende will sich also beispielsweise nicht mit der einfachen Antwort: „Ich bin eine geborene Rheinländerin“ zufriedengeben, weil er eigentlich mit der für IHN richtigen Antwort an die eigenen Erlebnisse anknüpfen möchte. Oder: Die oder der Gefragte soll eigentlich die Runde mit einer „exotischen“ Geschichte unterhalten. Deshalb reicht die Antwort „Rheinland“ nicht. Es wird nachgehakt. In dem Moment tritt der Mensch in den Hintergrund und die Hautfarbe in den Vordergrund. Da geht das sich Fremdfühlen im eigenen Land und die Verletzung los. Wenn sich dies zigfach wiederholt, dann wird alleine die Frage zum Affront. Man darf nicht vergessen: Menschen mit sichtbarem Migrationshintergrund haben ja nicht nur ein solches Erlebnis, sondern zahlreiche. Das Maß wird quasi mit der Fülle der Erlebnisse voll.

Was sagst du Weißen Menschen, die – aus Angst, etwas Falsches zu sagen – davor zurückschrecken, sich überhaupt zum Thema Rassismus zu äußern?

Ich ermutige, wo ich kann, zum angstfreien Dialog. Und zu einer interessierten Selbstbetrachtung. Das geht auch ganz alleine, wenn man eine Hemmschwelle hat, mit Menschen zu reden. Denn heutzutage gibt es viel Literatur zu dem Thema, das Internet ist ebenso voll mit Informationen. Generell kann ich aus der eigenen Erfahrung sagen, dass Offenheit in der Kommunikation Wunder wirkt. Eine Weiße Freundin sagte mir neulich: „Wir müssen erst einmal lernen, miteinander über Rassismus zu reden. Ich kann das noch gar nicht so gut.“ Das fand ich eine sehr kluge und auch befreiende Sichtweise. Wichtig ist mir in der ganzen Debatte immer wieder zu betonen, dass man in solche Systeme hineingeboren wird. Dafür kann man nichts. Wie man sich dann innerhalb des Systems bewegt, da beginnt die individuelle Eigenverantwortung und das Menschsein.

Vielen geht es so ähnlich wie deiner Freundin: Spreche ich die Dinge aus, erneuere ich die Diskriminierung. Benenne ich sie nicht, tue ich so, als gäbe es kein Problem.

Viele sehen sich überhaupt zum ersten Mal mit dem Thema konfrontiert. Beide Seiten haben gerade viel zu verdauen. Die einen sind verletzt, wütend oder aufgekratzt. Es kommen bei manchen tief vergrabene Erinnerungen hoch. Dazu kommt die Sorge, dass die ganze Welle am Ende einmal wieder keine Besserung bringen wird. Die Weiße Gesellschaft sieht sich womöglich zum ersten Mal „persönlich“ mit einem negativ aufgeladenen Wort konfrontiert und soll jetzt ihren systemischen Rassismus akzeptieren und noch dazu, dass Weiße Profiteure dieses Systems sind. Die Situation verlangt uns allen gerade viel ab. Deshalb ist die Kommunikation umso wichtiger, damit wir voneinander lernen und uns verbessern können. Aber Spielregeln muss es geben.

Welche Spielregeln sind das?

Schwarze wollen zum Beispiel nicht ständig über ihre rassistischen Erfahrungen reden müssen. Die Erfahrungen sind persönlich, verletzend und oft traumatisch. Wir gehen ja auch nicht zum Thema Mobbing auf den Nachbarn zu und fordern ihn zum Einstieg auf, davon zu erzählen, wie er jahrelang im Büro fertiggemacht wurde. Das darf man nicht voraussetzen. Eine gute Alternative finde ich hier, den anderen erzählen zu lassen. Nämlich wann Weiße Menschen schon einmal Zeuge von Rassismus waren oder gar selbst rassistisch gehandelt haben. Das kann ein vermeintlich harmloser Witz gewesen sein, das Kind am Schulhof, das nicht mitspielen durfte oder ein Klischee im Kopf, dass einem selbst aufgefallen ist. Der erste Schritt ist zu reflektieren, wie man damit umgegangen ist. Zuhören ist wichtig. Nicht gleich in die Defensive gehen, sondern gerade den Betroffenen Raum für ihre eigene Wahrnehmung lassen.

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„Systemischen Rassismus beenden“: Die Kernforderung vieler BLM-Proteste auf der ganzen Welt. Foto: pixabay
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Du setzt dich seit langem aktiv gegen rassistische Diskriminierung ein, sitzt zum Beispiel im Advisory Board der Filmproduktion Panthertainment, die sich auf Geschichten aus afrozentrischer Sicht fokussiert. Wie sehr ist struktureller Rassismus aus deiner Sicht in unserer Gesellschaft verankert?

Deutschland ist nicht mehr oder weniger rassistisch als andere Länder. Das konnte man an den weltweiten Demonstrationen klar ablesen. Alle Länder der Welt, die eine Kolonialgeschichte haben, leben heute mit strukturell verankertem Rassismus und somit dem System des White Privilege, des Weißen Privilegs, und der White Supremacy, also der Weißen Überlegenheit. Das Herabschauen, der Argwohn, das Ausgrenzen und die strukturelle Benachteiligung von Menschen mit Migrationshintergrund steckt Deutschland quasi noch historisch verankert in den Knochen. Das äußert sich auf dem Arbeitsmarkt, auf dem Amt, bei der Wohnungssuche oder im Bildungsapparat.

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„Postkoloniale Sprache und Bildsprache sind allgegenwärtig“

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Du hast die Kolonialgeschichte schon angesprochen. Nun ist die Shoa in der deutschen Vergangenheitsbewältigung zurecht sehr präsent, im Gegensatz aber etwa zum massenhaften Mord an den Volksstämmen der Herero und Nama im heutigen Namibia. Ist die Kolonialzeit ein blinder Fleck in der deutschen Geschichte?

Ich höre immer wieder das Argument, dass Deutschland ja im Vergleich mit den anderen Ländern nur ganz kurz „aktiv“ gewesen sei und der Schwarzen Bevölkerung zum Beispiel in Namibia im Gegenzug den Fortschritt in Form von Infrastruktur und Bildung gebracht habe. Diese Gelassenheit und die echte Überzeugung, mit der so eine absurde Aussage getroffen wird, spiegeln ein Überlegenheitsgefühl wieder. Es gibt nur eine Sichtweise, nämlich die der Weißen Mehrheitsgesellschaft. Man kommt nicht mal auf die Idee zu fragen: Oder? Wie siehst du das? Genau diese unbeugsame Selbstsicherheit und der stete Versuch der Verharmlosung oder Ignoranz einer menschlichen Greueltat verhindert jegliche Aufarbeitung und somit auch eine Weiterentwicklung. Denn wer misshandelt und ausgebeutet wurde, will nicht hören: Die anderen waren ja noch viel schlimmer.

Was hat dieses Geschichtsverständnis mit dem heutigen Umgang Deutschlands mit Afrika zu tun?

Es gibt einen guten englischen Spruch: Know better, do better. Frei übersetzt bedeutet das in etwa: Informiere dich und mach es besser. Wer nicht weiß, was passiert ist, wird auch keine Verantwortung oder keinen Verbesserungsbedarf verspüren. Wen ich auch frage – das Thema deutscher Kolonialismus war bei den meisten in den Schulen im besten Fall ein kurzes Randthema. Wer kennt die deutsche Kolonialgeschichte? Welche Länder wurden kolonialisiert? Wer kennt die Geschichte der Herero und Nama? Nicht wenige Historiker sprechen heute von einem Völkermord. Hamburg hat sich 2018 als erste deutsche Stadt für die grausamen Taten diesbezüglich bei den Nachfahren offiziell entschuldigt. Das ist ein Anfang.

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People of Color

Unter den Begriff „People of Color“ (PoC) fallen alle Menschen, die in der Mehrheitsgesellschaft als nicht-Weiß angesehen werden, und wegen ethnischer und/oder rassistischer Zuschreibungen unter alltäglichem, institutionellem und anderen Formen von Rassismus leiden.

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Inwiefern beeinflusst aber nicht nur mangelndes (Geschichts-)Wissen, sondern auch Sprache und Bildsprache das Bild von Afrika bzw. von People of Color?

Wir sind als deutsche Gesellschaft durch unsere Historie quasi rassistisch sozialisiert, das heißt: Wir wachsen alle zusammen mit einer Sprache und Bildern auf, die auf kolonialen Strukturen gewachsen sind. Der afrikanische Kontinent trägt bis heute Bezeichnungen wie „der dunkle Kontinent“ oder wird mit Armut und Elend in Verbindung gebracht. Fakt ist, dass der afrikanische Kontinent und die darin lebenden Menschen einmal sehr reich waren. Zudem sind die 55 unabhängigen Staaten Afrikas sehr heterogen und differenziert zu betrachten. Die postkoloniale Sprache und Bildsprache sind heute quasi allgegenwärtig. Nur überprüfen wir diese je nach familiärem und sozialem Hintergrund anders.

Kannst du dafür ein Beispiel nennen?

Ein hartnäckiges Klischee betrifft z.B. musische oder tänzerische Fähigkeiten. Nicht alle Schwarzen Menschen haben eine Begabung für Gesang oder Tanz. Auch wenn uns das viele Bilder aus der Mediennarrative beschreiben. Diese Zuschreibung greift schon in meiner eigenen Familie nicht. Sorry, liebe Familie! (lacht) Ein anderes Beispiel ist das beliebte Kinderspiel „Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?“ Es ist nur logisch, dass dann manche Menschen Angstbilder von Schwarzen Männern haben und die Straßenseite wechseln, wenn sie diese sehen. Das kombiniert man dann noch mit einem eher Weißen Umfeld im Alltag und unsachlich geschriebenen Presseberichten über Kriminalität von Menschen mit Migrationshintergrund und schon haben wir zwei Welten geschaffen. Was ich damit sagen will: Unsere Sprache und Bildsprache schaffen eine Wirklichkeit. Deshalb gilt es bewusst und achtsam damit umzugehen, da wir damit unmittelbar die Wahrnehmung von Schwarzen Menschen und People of Color beeinflussen.

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„Zusammenarbeit mit“ anstatt „Hilfe für“

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Sprache und Bildsprache sind auch elementare Fundraising-Werkzeuge von Non-Profit-Organisationen wie Menschen für Menschen. Wie bewertest du den Umgang damit in diesem dritten Sektor?

Gemeinnützige Organisationen, vor allem diejenigen die internationale Entwicklungszusammenarbeit und Katastrophenhilfe leisten, stehen vor derselben Herausforderung wie alle anderen: ihre Mediennarrative gemäß den eigenen ethischen Werten oder dem Bildungsauftrag stetig zu reflektieren und gegebenenfalls zu verändern. Im Austausch mit einigen Organisationen fällt mir immer wieder auf, dass mehr diskutiert wird, was man nicht tun sollte – anstatt, dass man über die Vision spricht, was man stattdessen besser machen kann. Das halte ich für etwas kurz gedacht.

Was sind für dich Beispiele für eine gelungene Spenderansprache?

Auch mit kleinen Justierungen kann man schon viel verändern. Heute werden eher Erfolgsgeschichten erzählt als Elendsgeschichten. Das ist den Betroffenen gegenüber wesentlich respektvoller. Die Fragen, die ich mir in meinem Bereich bei der Öffentlichkeitsarbeit stelle, sind: Wo verstecken sich alte Erzählweisen von Schwarzer Unterlegenheit und Weißer Überlegenheit? Welche Worte sind unpassend oder völlig fehl am Platz? Das immer noch vielbenutzte Wort „Nutznießer“ wäre so ein Negativbeispiel. Ich achte auf eine „Zusammenarbeit mit“ anstatt einer „Hilfe für“.

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In der Bildsprache bevorzuge ich – je nach Vorhaben, aber gerade in der Fotodokumentation der Projektarbeit – Bilder, auf denen der Mensch nicht ausgestellt, sondern eher in Aktion gezeigt wird, um ein paar Beispiele zu nennen. Die Kür bleibt allerdings für mich, kreativ zu arbeiten und andere Zugänge zum Spender in der Ansprache zu finden als die klassischen.

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Aber läuft man damit nicht Gefahr, eben auch klassische Spender zu verlieren, und gefährdet als Folge das Fortbestehen der (überlebens-)wichtigen Projekte?

Auch die Ansprüche von Spendern verändern sich. Fundraiser wissen, dass die Altersgruppe über 70 Jahren derzeit am meisten für gemeinnützige Zwecke spendet. Diese Gruppe hat in der Regel in der Mitte ihres Lebens, also vor rund 30 Jahren, angefangen zu spenden. Zu dieser Zeit wurde vor allem Katastrophenhilfe geleistet. Informationsbroschüren und Spendenbriefe sollten damals wie heute Emotionen und den Intellekt wecken. Damals waren die Bilder eindeutig. Das waren meist Kinder in lebensbedrohlichen gesundheitlichen Zuständen. Das Elend sollte unmissverständlich sichtbar sein, sodass man schnell zum Handeln überzeugte. Heute sind solche Bilder nur noch selten zu finden, weil der Rückhall auch von den Gebern selbst kam. Sie bestätigten dem dritten Sektor, dass sie gerne auf dem Bildmaterial die Würde der Menschen gewahrt sehen und sich durch die plakative Bildsprache nicht emotional unter Druck gesetzt fühlen wollen.

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Was können wir besser machen?

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Das heißt, der potenzielle Spender bekommt das zu sehen, was er sehen will?

Ja und nein. Der dritte Sektor orientiert sich bei Sprache und Bildsprache schon vor allem am eigenen ethischen Anspruch. Das Konsum- und Spendenverhalten hat sich jedoch in den letzten Jahren stark verändert. Gerade die Geberin und der Geber von Morgen und die passende Ansprache ist aus verschiedenen Gründen noch nicht ganz greifbar. Interessanterweise kommen Menschen mit Migrationshintergrund bei den gesamten intensiven und durchaus komplexen Überlegungen von Fachpersonen überhaupt nicht vor. Hier sprechen wir von mehr als einem Viertel der deutschen Bevölkerung. Das zeigt mir, dass auch hier noch Lernbedarf und ein „Anschlussproblem“ besteht. Sonst laufen die Organisationen Gefahr, den Geber von Morgen nicht mehr zu verstehen.

Was kann darüber hinaus im dritten Sektor besser werden?

Mir fällt auf, wie wenig auf Diversität in der Einstellungspolitik geachtet wird. Ein diverser Austausch wäre sehr bereichernd für den dritten Sektor. Das Argument, dass die bislang wenigen Bewerber nicht die geeigneten Qualifikationen mitbringen, sollte meines Erachtens einer anderen Fragestellung weichen: Warum wirken wir so wenig attraktiv auf Fachpersonal mit migrantischem Hintergrund? Und wie können wir das verbessern?

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Eines unserer wichtigsten Prinzipien ist seit jeher, den Menschen in Äthiopien auf Augenhöhe zu begegnen. Was können aber auch wir als Stiftung Menschen für Menschen noch besser machen?

Alleine dass du diese Frage stellst, macht den großen Unterschied (lacht). MfM hat von Grund auf eine andere DNA. Der Gründer Karlheinz Böhm war in vielerlei Hinsicht ein Visionär und absoluter Vorreiter. Dazu gehört auch von Beginn an die Zusammenarbeit mit äthiopischem Fachpersonal, wobei nicht wenige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Führungspositionen verantworten. Die Kollegen werden bewusst in die Öffentlichkeitsarbeit mit einbezogen. Wo immer es möglich ist, ergreifen die Expertinnen und Experten das Wort und sind gleichberechtigt sichtbar. Aber auch wir – mich eingeschlossen – können uns nicht ausruhen und müssen uns weiterentwickeln. Auf der Suche nach neuen Narrativen stoßen auch wir immer wieder an Grenzen, die es zu überwinden gilt. Meine Antwort wäre also: Zuhören und nicht den Anspruch zu haben, alles schon zu wissen – das ist für uns alle eine große Chance zur Weiterentwicklung.

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Etwa 640 fast ausschließlich einheimische Mitarbeiter setzen die Projekte von Menschen für Menschen in Äthiopien um, ob als Führungskräfte im Project Coordination Office (PCO) in Addis Abeba (links) oder als Projektmanager und Facharbeiter in den einzelnen Projektgebieten (rechts). Fotos: Rainer Kwiotek.

Die Wörter „Schwarz“ und „Weiß“ sind in diesem Text bewusst großgeschrieben und meinen nicht bloße äußerliche Merkmale wie die Hautfarbe. „Schwarz““mit großem S ist eine Selbstbezeichnung und bedeutet, dass Menschen durch gemeinsame Erfahrungen von Rassismus miteinander verbunden sind und auf eine bestimme Art und Weise von der Gesellschaft wahrgenommen werden. „Weiß“ bezeichnet demgegenüber Menschen, die nicht Rassismus ausgesetzt sind, sondern sich aufgrund von sozialen, politischen und kulturellen Privilegien in einer machtvolleren Position befinden. Die Antirassismus-Bewegung nutzt diese Bezeichnungen, um Rassismus in der Sprache entgegenzutreten.

Interview: Albert Linner
Sie haben Anmerkungen oder Fragen zum Thema? Schreiben Sie uns: a.linner@menschenfuermenschen.org

Die Stiftung Menschen für Menschen - Karlheinz Böhms Äthiopienhilfe ist eine öffentliche Stiftung des bürgerlichen Rechts. Sie wird beim Finanzamt München unter der Steuernummer 143/235/72144 geführt und wurde zuletzt mit Bescheid vom 6. September 2021 wegen Förderung steuerbegünstigter Zwecke von der Körperschafts- und Gewerbesteuer befreit und somit als gemeinnützige Organisation anerkannt.