Es gibt also den einfach zu verstehenden Rassismus, etwa wenn jemand aufgrund seiner Hautfarbe offen beschimpft oder angegriffen wird. Was du beschreibst, geht darüber aber hinaus.
Es gibt diese diffizileren, feinstofflichen Prozesse, die gar nicht so einfach zu beschreiben sind. Schön versinnbildlicht sehe ich dies in der ewigen Debatte über die Frage: „Wo kommst du her?“ Es ist auf den ersten Blick tatsächlich schwer zu verstehen, was an so einer Frage nun anstößig oder gar verletzend sein soll. Natürlich ist es nicht die Frage an sich, die gerade Schwarzen Deutschen aufstößt, sondern die immer wiederkehrende Nichtakzeptanz der Antwort. Das Problem geht also los, wenn die Antwort und damit auch die Identität des Anderen nicht einfach akzeptiert wird, sondern das Fremde „herausgearbeitet“ werden muss. Der Fragende will sich also beispielsweise nicht mit der einfachen Antwort: „Ich bin eine geborene Rheinländerin“ zufriedengeben, weil er eigentlich mit der für IHN richtigen Antwort an die eigenen Erlebnisse anknüpfen möchte. Oder: Die oder der Gefragte soll eigentlich die Runde mit einer „exotischen“ Geschichte unterhalten. Deshalb reicht die Antwort „Rheinland“ nicht. Es wird nachgehakt. In dem Moment tritt der Mensch in den Hintergrund und die Hautfarbe in den Vordergrund. Da geht das sich Fremdfühlen im eigenen Land und die Verletzung los. Wenn sich dies zigfach wiederholt, dann wird alleine die Frage zum Affront. Man darf nicht vergessen: Menschen mit sichtbarem Migrationshintergrund haben ja nicht nur ein solches Erlebnis, sondern zahlreiche. Das Maß wird quasi mit der Fülle der Erlebnisse voll.
Was sagst du Weißen Menschen, die – aus Angst, etwas Falsches zu sagen – davor zurückschrecken, sich überhaupt zum Thema Rassismus zu äußern?
Ich ermutige, wo ich kann, zum angstfreien Dialog. Und zu einer interessierten Selbstbetrachtung. Das geht auch ganz alleine, wenn man eine Hemmschwelle hat, mit Menschen zu reden. Denn heutzutage gibt es viel Literatur zu dem Thema, das Internet ist ebenso voll mit Informationen. Generell kann ich aus der eigenen Erfahrung sagen, dass Offenheit in der Kommunikation Wunder wirkt. Eine Weiße Freundin sagte mir neulich: „Wir müssen erst einmal lernen, miteinander über Rassismus zu reden. Ich kann das noch gar nicht so gut.“ Das fand ich eine sehr kluge und auch befreiende Sichtweise. Wichtig ist mir in der ganzen Debatte immer wieder zu betonen, dass man in solche Systeme hineingeboren wird. Dafür kann man nichts. Wie man sich dann innerhalb des Systems bewegt, da beginnt die individuelle Eigenverantwortung und das Menschsein.
Vielen geht es so ähnlich wie deiner Freundin: Spreche ich die Dinge aus, erneuere ich die Diskriminierung. Benenne ich sie nicht, tue ich so, als gäbe es kein Problem.
Viele sehen sich überhaupt zum ersten Mal mit dem Thema konfrontiert. Beide Seiten haben gerade viel zu verdauen. Die einen sind verletzt, wütend oder aufgekratzt. Es kommen bei manchen tief vergrabene Erinnerungen hoch. Dazu kommt die Sorge, dass die ganze Welle am Ende einmal wieder keine Besserung bringen wird. Die Weiße Gesellschaft sieht sich womöglich zum ersten Mal „persönlich“ mit einem negativ aufgeladenen Wort konfrontiert und soll jetzt ihren systemischen Rassismus akzeptieren und noch dazu, dass Weiße Profiteure dieses Systems sind. Die Situation verlangt uns allen gerade viel ab. Deshalb ist die Kommunikation umso wichtiger, damit wir voneinander lernen und uns verbessern können. Aber Spielregeln muss es geben.
Welche Spielregeln sind das?
Schwarze wollen zum Beispiel nicht ständig über ihre rassistischen Erfahrungen reden müssen. Die Erfahrungen sind persönlich, verletzend und oft traumatisch. Wir gehen ja auch nicht zum Thema Mobbing auf den Nachbarn zu und fordern ihn zum Einstieg auf, davon zu erzählen, wie er jahrelang im Büro fertiggemacht wurde. Das darf man nicht voraussetzen. Eine gute Alternative finde ich hier, den anderen erzählen zu lassen. Nämlich wann Weiße Menschen schon einmal Zeuge von Rassismus waren oder gar selbst rassistisch gehandelt haben. Das kann ein vermeintlich harmloser Witz gewesen sein, das Kind am Schulhof, das nicht mitspielen durfte oder ein Klischee im Kopf, dass einem selbst aufgefallen ist. Der erste Schritt ist zu reflektieren, wie man damit umgegangen ist. Zuhören ist wichtig. Nicht gleich in die Defensive gehen, sondern gerade den Betroffenen Raum für ihre eigene Wahrnehmung lassen.